1. Augen auf

16 0 0
                                    

Es roch stark nach Erde und es war dunkel, ich sah nichts. Plötzlich regte sich etwas neben mir, ich erschrak. Dann hörte ich eine Stimme, sie war sanft und beruhigte mich: „Ganz ruhig, Frost", so hiess ich also.. Frost. Nicht schlecht. Ich kuschelte mich wieder an meine Mutter, das heisst: ich wusste nicht ob es wirklich meine Mutter war, aber ich nahm es an. Es war warm und kuschelig in ihrem weichen Fell. Sie leckte über mein Ohr, ihre Zunge fühlte sich rau an. Bald schlief ich wieder ein.

„Aufwachen, ihr Schlafmützen!", ich schreckte aus dem Schlaf auf. Wer hatte mich gerufen? Gab es hier etwa noch ein Fellbündel? Ich hörte leise Pfoten auf der weichen Erde trappeln. Ich schaute mich um, es war immer noch finster vor meinen Augen. Und doch spürte ich etwas Warmes.. „Lass die anderen noch ein wenig schlafen, Streif", ertönte wieder die sanfte Stimme meiner Mutter. Streif?? Wer war bloss Streif? Ich überlegte gerade fieberhaft, wer das sein könnte, als mich plötzlich etwas weiches anrempelte. „He!", rief ich aus, „Entschuldigung, das wollte ich nicht", erwiderte eine piepsige Stimme. „Wer bist denn du?", fragte ich, ich wollte unbedingt wissen wer hier noch im Bau war. „Ich bin Streif, und du?", erwiderte die hohe Stimme. „Ich heisse Frost", sagte ich und versuchte dabei möglichst vernünftig und weise zu wirken. Ich spürte wie Streif an mir schnupperte, das machte ich dann auch. Er roch fast genauso wie meine Mutter, bemerkte ich zu meinem Erstaunen. „Gehen wir spielen?", fragte Streif mit einem verspieltem Unterton. „Na na na, nicht so schnell ihr kleinen Fellbälle", warnte ihre Mutter. „Wir sind nicht klein!", riefen ich und Streif gleichzeitig. Da legte sich ein besänftigender Schwanz um mich und zog mich zu ihren Milchzitzen. Der Geruch von Milch strömte in meine Nase und ich fing an gierig daran zu trinken. Erst jetzt merkte ich, wie sehr ich Hunger hatte. Warm floss die dickflüssige Milch über meine Zunge. Dann schlief ich ruhig wieder ein.

Als ich aufwachte, war es kalt um mich herum. Ich lauschte, doch ich hörte kein ruhiges Atmen mehr. Ich bekam ein mulmiges Gefühl. Ich versuchte meine Augen aufzukriegen, doch es ging nicht. Sie klebten zu sehr aneinander. Ängstlich wollte ich nach meiner Mutter rufen, doch ich wusste ja gar nicht wie sie heisst. Unruhig versuchte ich aufzustehen, aber es war gar nicht so einfach. Beim ersten Versuch fiel ich gleich wieder auf die Seite. Ich rappelte mich auf und versuchte es nochmal, es klappte schon besser. Ich durfte bloss nicht aufgeben. Endlich hatte ich es geschafft. Wackelig stand ich auf meinen vier Pfoten. Ich, Frost. Vorsichtig tapste ich in eine Richtung. Ich hatte jedoch keine Ahnung, wo der Ausgang des Baus war. So kam es wie es kommen musste, ich tappte geradewegs in eine Wand. Erschrocken machte ich ein paar unbeholfene Schritte zurück. Ich hatte vergessen, dass das Nest gleich hinter mir war und so stolperte ich auch gleich drüber. Zum Glück war das Nest gut ausgepolstert, dies dämpfte meine Landung. Ein paar Mal strich ich mit der Zunge über mein Fell um es zu glätten. Dann stand ich entschlossen wieder auf und setzte vorsichtig eine Pfote nach der anderen auf, diesmal in die entgegengesetzte Richtung. Langsam füllten hunderte von Gerüchen meine Nase. Es roch gut, ich kannte die Gerüche aber nicht. Etwas kitzelte in meiner Nase.. Von allen Seiten hörte ich fremde Stimmen. Irgendwo in der Nähe raschelte es unter einem Strauch und ich hörte einen Vogel pfeifen. Neugierig streckte ich meinen Kopf aus dem Loch, welches in den Bau führte. Nun drangen die verschiedenen Stimmen noch viel stärker auf mich ein. Plötzlich hörte ich Pfotengetrampel, das immer näher kam. Dann sagte eine weiche, aber beunruhigte Stimme (die ich sehr gut kannte): „Frost, was machst du denn hier draussen? Das ist gefährlich!", meine Mutter schubste mich zurück in die Richtung des Baus. „Ich will aber nicht, hier ist es viel spannender!", entgegnete ich trotzig. „Du bist noch zu jung dafür", erwiderte sie sanft aber bestimmt, „erst musst du deine Augen öffnen". Widerwillig trippelte ich wieder in den Bau, gefolgt von meiner Mutter. Ich legte mich neben meine Mutter und meine Augen fielen mir zu... Ich blinzelte. Konnte das war sein? Ich befand mich auf offenem Gelände, am Horizont ragten spitze Berge aus dem Nebel. Unter meinen Pfoten war das Gras verdorrt, nur wenige, vereinzelte Sträucher wuchsen aus der Erde. Heisst das.. Ich kann sehen!! Meine Augen sind offen! Wild rannte ich umher und machte Freudensprünge. Da merkte ich das etwas nicht stimmte.. Wo waren die anderen? Wo waren die fremden Stimmen? Die zwitschernden Vögel? Plötzlich bekam ich Angst.. Ich rief nach meiner Mutter, doch ich erhielt keine Antwort. Dann jaulte ich verzweifelt. „Was ist los, Frost?", ertönte die Stimme meiner Mutter. Blitzartig schoss ich in die Höhe. Es war alles nur ein Traum..Ich seufzte erleichtert auf. „Warum hast du so geschrien?", wiederholte meine Mutter. „Nur ein Alptraum..", antwortete ich. Dann bemerkte ich etwas.. Ich konnte sehen!! Nicht nur in Träumen. Meine Augen waren jetzt wirklich offen!! Freudig rannte ich im Bau umher, meine Mutter schaute mich belustigt an. „Komm, du kannst ja kaum still bleiben. Es wird Zeit für deinen ersten Rundgang!" Glücklich hüpfte ich hinter ihr her, bis an die Helligkeit. Hier fing das Leben erst richtig an.

Frostmond - Legends Of The WolfsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt