Achter und neunter Lieblingsmensch

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»Du bist so gemein!«

Eine laute, viel zu schrille Stimme durchbrach die Stille, die sich um den Park gelegt hatte, den Jimmy nun wieder betreten hatte. Darauf folgte eine tiefere, noch lautere.

»Du bist auch nicht besser! Wie kann man nur so schnell eingeschnappt sein?!«

Jimmy folgte dem Geschrei und traf auf einen Jungen mit verschränkten Armen und ein kleineres Madchen, das ihm die Zunge herausstreckte.

»Bin ich gar nicht! Aber du nimmst mir immer alles weg!«, schrie das Mädchen.

»Lüge! Mama meinte der Flummi gehört uns beiden!«, brüllte der Junge, vermutlich ihr Bruder.

»Aber DEINETWEGEN ist er über den Zaun geflogen!«

»DAS WAR DOCH NICHT MIT ABSICHT!«

»Hey!«, versuchte Jimmy mit seiner kratzigen Stimme die Aufmerksamkeit der Geschwister auf sich zu lenken. Doch die beiden stritten viel zu laut, als dass sie ihn hätten hören können.

»Wer ist euer Lieblingsmensch?«

Mit einem Mal wurde es still im Park. Jimmy hatte sich zwischen die beiden gestellt, die ihn befremdlich anstarrten.

Nach einigen weiteren stillen Augenblicken gewann das Mädchen ihre Stimme zurück. »Meinst du uns?«

Jimmy nickte nur.

»Das ist eine doofe Frage.«

»Nicht so doof wie sich zu streiten«, erwiderte Jimmy ehrlich. Er hatte das Streiten satt.

Während das Mädchen zu überlegen schien, ergriff ihr Bruder das Wort. »Tut mir leid, dass ich dich so angeschrien habe. Wenn du ab jetzt nicht immer so zickig bist, kaufe ich dir morgen einen neuen Flummi, okay?«

Daraufhin riss sie die Augen auf und umarmte dankend ihren Bruder. »Ich glaube ich habe keinen Lieblingsmensch, aber du wärst es am ehesten.«

»Du auch.« Er legte seine Arme um die hellgraue Jacke seiner Schwester, die sich plötzlich türkis färbte.

Nur Sekunden später umgab beide eine knallige blaugrüne Wolke, die nicht verblassen wollte. Auch am Ende des Parks, wo das Wohnviertel wieder begann, war noch immer ein farbiger Fleck zu sehen. Jimmy musste erneut an seinen Halbbruder und seine Eltern denken, von denen aus eine solche Liebe schon lange nicht mehr gegangen war. Und plötzlich waren all die bunten Punkte nichts im Gegensatz zu dem riesigen, tiefgrauen Loch, in dem sich Jimmy bewegte und das einfach nicht mehr weggehen wollte.

LieblingsmenschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt