>2<

211 21 14
                                    


„Hobi, geht daaas?", fragte Taehyung und zeigte auf seine frisch gestylten Haare. Ich warf ihm einen flüchtigen Blick zu, darauf bedacht, nicht zu lange hinzusehen, sonst würden wir heute nicht mehr zur Schule kommen. „Du siehst toll aus, wie immer." Er grinste mich an. „Schleimer" „Wieso, bis jetzt bin ich noch nicht ausgerutscht", erwiderte ich frech und putzte schnell meine Zähne. 

Er betrachtete sich nachdenklich im Spiegel. Ich sah zu ihm hinüber. „Worüber denkst du nach?", fragte ich. 

„Sehe ich gut aus?", fragte er schüchtern. Ich wandte mich zu ihm um und blickte ihm direkt in die Augen. „Du bist die hübscheste Person, der ich jemals begegnet bin und jetzt putz deine Zähne oder ich versohl dir den Hintern." „Mach doch." Er grinste frech. Ich warf ihm einen drohenden Blick zu und verließ das Badezimmer. „Keine Musik für dich!", rief ich. „Neiiiiin", rief er mir nach. 

„Ich beeil mich auuuch."

„Das will ich mal hoffen", sagte ich und zog mir meine Schuhe an. Eine Minute später stand er neben mir im Flur, zog sich an, schnappte seine Tasche und griff nach meiner Hand. Ich lächelte, schloss die Kopfhörer an mein Handy an und bot Tae einen an, welcher ihn freudestrahlend nahm. Ich verdrehte die Augen, musste aber grinsen. Er hatte vor drei Wochen sein Handy geschrottet und musste nun wohl oder übel auf seinen Geburtstag warten. Gemeinsam liefen wir los, unsere Hände verschränkt. Unser Bus kam in zwei Minuten. Tae seufzte. „Ich sag dir das schon seit zwei Jahren, wir können ein wenig später losgehen."

„Kannst du ja tun, ich bin lieber zu früh als zu spät", erwiderte ich ruhig. Er zog einen Schmollmund. „Aber ich will bei dir sein." „Tja", schmunzelte ich. „Dann musst du wohl mit meiner Pünktlichkeit auskommen." Er boxte mich mit seiner freien Hand spielerisch in die Seite.

Der Bus kam und wir setzten uns wie immer ganz nach hinten, auf die freien Plätze. Da wir schon an einer ziemlich frühen Haltestelle einstiegen, war der Bus noch leer. Tae legte seinen Kopf auf meine Schulter. Mein Bauch kribbelte, doch ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Ein paar Haltestellen später ließ er meine Hand los und setzte sich gerade hin. Die gewohnte Enttäuschung und Kälte machte sich in meinem Körper breit, als unsere Freunde einstiegen. Jeder von ihnen begrüßte uns mit einem Handschlag. Jin, Yoongi, Namjoon, Jimin und Jungkook. Sie setzten sich auf freie Plätze in unserer Nähe und diskutierten lautstark über irgendein neues Videospiel, wobei Yoongi sich eher im Hintergrund hielt, vermutlich mal wieder zu faul, um mit Menschen zu kommunizieren.

Im Schulgebäude trennten sich unsere Wege, er ging mit Jungkook und Jimin in seine Klasse, während ich den anderen in unsere Klasse folgte.

Der Rest des Schultages verlief sterbenslangweilig, bis auf die kurzen Lichtblicke in Form von Pausen, die ich mit meinem kleinen Bruder verbringen konnte. Sein Lächeln erhellte meinen Tag und lichtete die trüben Regenwolken in meinen Gedanken.

Noch zwei Stunden Mathe, dann hatte ich es endlich geschafft.

Ich streckte mich und blickte in den strahlenden Himmel. „Ist das nicht ein schöner Tag?, fragte ich. „Mhm", machte Tae. „Gehen wir nachher noch spazieren?", fragte ich. „Meinetwegen", brummte er. „Okay", sagte ich unsicher und wir setzten den Weg schweigend fort.

Nachdem wir unsere Taschen abgestellt hatten, liefen wir los. Nach einer Weile konnte ich sein Schweigen nicht mehr ertragen. „Was ist los, Tae? Was beschäftigt dich?", fragte ich. Er schreckte aus seinen Gedanken. „Ich... äh, nichts, mir geht's gut", sagte er schnell und lächelte. Er griff nach meiner Hand. Ich seufzte und betrachtete unsere verschränkten Hände. Wieso lagen sie so perfekt ineinander? Als wären sie füreinander geschaffen. Dann blickte ich ihm ins Gesicht. Hier traute er sich, meine Hand zu nehmen, doch vor unseren Freunden nicht. War es ihm peinlich? Hatte er Angst, möglicherweise ausgelacht zu werden, weil er mit seinem Bruder Händchen hielt? Oder wollte er nicht für schwul gehalten werden? Beides berechtigte Ängste; Homosexualität wurde an unserer Schule nicht gerade geschätzt, doch unsere Freunde würden ihn nie deswegen verurteilen, oder?

Ich drückte seine Hand fest und lächelte ihn an. Er sah leicht nervös zurück. „Kann ich dir vielleicht was erzählen?", fragte er zaghaft. „Klar", antwortete ich. „Du kannst mir alles erzählen, kleiner Bruder."

Er zuckte zusammen und sah bedrückt auf den Boden. „Gehen wir auf den alten Spielplatz?"

Ich nickte und wir schlugen die Richtung ein. Der alte Spielplatz war unser Ort. Wir waren dort, wenn wir traurig waren, wenn es etwas zu feiern gab oder wir einfach reden wollten. Wir setzten uns gegenüber in die Korbschaukel, die leise quietschte. Er setzte sich in den Schneidersitz, ich streckte meine Beine so aus, das er zwischen ihnen saß und ließ mich entspannt zurücksinken. Ich schloss die Augen, wohlwissend, dass Tae gerade knallrot angelaufen war. Ich grinste und öffnete meine Augen einen Spaltbreit, nur um zu sehen, dass Tae sein Gesicht mit seinen beiden Händen verdeckt hatte. Ich entfernte sie lachend und hielt sie fest. „Kannst du dich bitte richtig hinsetzen?", murmelte er beschämt. „Wieso? Lenk ich dich ab?", fragte ich und zog eine Augenbraue hoch. „Mann, Hobi!" Er gab mir einen Klaps auf den Arm und lachte. „Ist ja gut, nicht gleich gewalttätig werden", sagte ich beleidigt, musste jedoch schmunzeln und setzte mich ordentlich hin, eine seiner Hände immer noch in meiner. Er räusperte sich. „Ich will dir etwas erzählen. Bitte sag, dass du mich nicht verlässt oder böse wirst oder so, ja?", fragte er traurig. Ich runzelte die Stirn. „Wieso sollte ich das jemals tun?"

„Bitte, Hyung." Er sah mich flehend an.

„Ich würde das niemals tun", stellte ich klar.

„Okay." Er holte tief Luft. „Ich bin verliebt."

Ich sah ihn kurz an und prustete dann laut los, das Ziehen in meiner Brust ignorierend. „Tae, verliebt zu sein ist kein Verbrechen", sagte ich immer noch lachend. Er lief rot an. „Ja, ich weiß, aber..."

„Aber?", hakte ich nach.

„In einen Jungen", murmelte er leise.

„Auch das ist kein Verbrechen", sagte ich und sah ihn liebevoll an. Er blickte verzweifelt zurück. „Ich glaube aber, er mag mich nicht so wie ich ihn", sagte er leise.

Ich wurde wütend. „Wenn jemand in den du verliebt bist, das nicht erwidert, dann möchte ich nur mal sagen, ist er ziemlich bescheuert!", rief ich. Tae sah nur traurig in seinen Schoß. Ich blieb ebenfalls stumm. Und dann wurde mir die Bedeutung seiner Worte erst richtig klar. Sie sickerte durch mein Gehirn und vergiftete meine Gedanken. Er war verliebt. Er gehörte nicht mehr mir. Zumindest nicht mehr so. Ja okay, ich gebe es zu, ich empfand mehr für ihn als Geschwisterliebe. Aber das durfte ich nicht mehr zeigen. Ich ließ seine Hand los. Meine Finger fühlten sich kalt und leer an. An dieses Gefühl würde ich mich gewöhnen müssen.

Wir schwiegen uns noch eine Weile lang an, dann schlug er leise vor, dass wir langsam wieder nach Hause gehen sollten.

Zuckerwatte || VhopeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt