...How long would...

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Als meine 'Freunde' mich nach und nach fallen gelassen hatten, hatte ich die Fehler stehts bei mir gesucht.

Anfangs hatte ich gedacht, diese Zeit sei der Auslöser für meine Selbstzweifel, meinen Selbsthass gewesen.
Erst viel später wurde mir klar, dass dieser schon viel früher in mir geschlummert hatte. Als Kind hatte ich ihn nur noch nicht bemerkt.

Doch bei genauerem Überlegen fällt mir auf, dass er schon früh immer öfter aus der Dunkelheit meines verletzen Herzens gekrochen und sichtbar geworden war.

Sei es bei Banalitäten, wie die unfassbare Wut auf mich selber, wenn zweimal infolge eine Playmobilfigur umgekippt war. Gott, war ich ausgerastet. Immer und immer wieder hatte ich mich selber geschlagen, weil mich der Gedanke, sogar zu dumm zu dein so eine Figur stehen zu lassen, zum Explodieren gebracht hatte.

Etwa mit acht Jahren begannen dann die Gedanken in meinem Kopf zu kreisen, was eine schlechte Tochter ich war, und dass meine Familie soetwas nicht verdient hatte.
Dass Livia an meiner Stelle hätte sein sollen.

Irgendwann waren diese Gedanken vollkommen über mir hereingebrochen.
Wie eine dunkle Wolke, die stehts über mir geflogen und alles Licht ferngehalten hatte.

Mit dem Licht war auch die Wärme aus mir verschwunden.
Ich war gefüllt gewesen von Kälte, Traurigkeit, Wut auf mich selbst.
Und gleichzeitig war ich Leer.

Oft hatte ich in einem komplett dunklen Zimmer gelegen, weil ich nicht die Kraft gefunden hatte aufzustehen und das Licht anzuschalten.
Eigentlich hätte ich auch keinen Sinn darin gesehen.

So hatte ich Monate in meinem Zimmer verbracht.
Ich war von der Schule gekommen, hatte meinen Eltern gegenüber ein Lächeln aufgesetzt und kaum war zwischen uns eine geschlossene Türe war alle Emotion aus meinem Gesicht verschwunden.

Ich hatte mich in mein Bett fallen lassen und einfach dort gelegen.

An guten Tagen hatte ich nachgedacht.
Über meine Dummheit, meine Hässlichkeit, über meine Verluste.
Über Livia.

An Schlechteren war ich nur da gelegen. Leer. Emotionslos. Kalt.

Jeden Tag war es mir wie eine Befreiung vorgekommen endlich schlafen gehen zu können. Auch wenn es mich mindestens 3 weitere Stunden gequält hatte, bis ich eingeschlafen war.
Die Hoffnung hatte ich nie aufgegeben.
Jeden Abend hatte ich gehofft rasch einzuschlafen.
Und einfach nicht mehr aufzuwachen.

Einige Jahre hatte ich den Autos keines Blickes gewürdigt, war ohne zu schauen über jede Straße maschiert, mit der Hoffnung mitgerissen zu werden.

Mein Schutzengel hatte ganze Arbeit geleistet.

So viele Jahre... und nichtmal ein Kratzer.

Irgendwann hatte meine Selbstverletzung eine andere Stufe erreicht.

Dumm, dass die Menschheit es erst dann als Selbstverletzung ansieht, wenn es körperlich wird.
Wo doch deine Gedanken deiner Seele so viel mehr Schaden zufügen.

Ich hatte begonnen mir tagtäglich mit einem stumpfen Taschenmesser meine Haut aufzutrennen.
Schicht für Schicht.

Es war mir nie darum gegangen möglichst tief zu schneiden, Blut zu sehen und Narben zu hinterlassen.

Ich wollte, dass es lang ging und weh tat.

Dann kam die Zeit, in der ich aufgehört hatte zu Essen.

Natürlich nicht komplett, ich hatte nur aufgehört in der Schule zu essen, was den praktischen Nebeneffekt hatte, dass ich mehr Geld hatte.
Wenig später war mir auch das Abendessen überflüssig vorgekommen. Nur wenn ich mittags Zuhause war hatte ich ein wenig gegessen.
Für meine Mutter.

Das Hungergefühl war zu einer Sucht geworden. Ich hatte diese Leere in meinem Magen geliebt. Auf eine eigene Art und Weise löste es in mir ein Glücksgefühl aus.

Wie nicht anders zu erwarten hatte ich stark abgenommen.
Meine Haut hatte kaum noch Farbe, meine Haare waren dünn geworden.

In der Schule war es nie jemandem aufgefallen. Wobei, vermutlich interessierte es nur niemanden.

Oder sie genossen es.

Nur meine Mutter tat mir Leid. Ich konnte in ihren Augen sehen, dass es sie kaputt machte.

Schon eine Tochter war ihr genommen worden. Das Universum hatte anderes mit ihr vor.
Nun musste sie zusehen wie ihre verbliebene Tochter es selbst in die Hand nahm.

Also gab ich mir Mühe wenigstens mittags zu essen.
Auch abends hatte ich mir oft etwas genommen und es dann einfach die Toilette runtergespühlt. Da ich schon lange alleine in meinem Zimmer gegessen hatte, war es nie aufgefallen.

Vor Menschen konnte ich nicht mehr essen. Es ging einfach nicht.

Die Musik war mein Rettungsanker. Ab und an hatte ich mich meiner Cellolehrerin gegenüber geöffnet die mich dann motivierte.

"Es kommt immer alles zurück!"

"Es hat einen Sinn, du wirst schon sehen! Du wirst stark darauß hervorgehen!"

"Viel Lebensschule in deinen jungen Jahren... Aber sei dankbar, nimm es an, vertraue! Du wirst schlussendlich wachsen! Und wenn du aufgibst, wirst du im nächsten Leben die selbe Scheiße nochmal durchmachen, bis du es gelernt hast!"

Ihre Stunden hatten mir Kraft gegeben.
Und mit der Musik hatte ich plötzlich etwas, indem ich gut war.
Zumindest hatte mir das jeder gesagt.

Die Stunden in meinem Zimmer waren ab da viel von Musik erfüllt gewesen.

Anfangs nur Cello, später auch Klavier.

Ich hatte meine Sprache gefunden, meine Art mich auszudrücken, meinem Kummer Raum zu geben.

Von da an kämpfte ich mich nach oben. Plötzlich wurde ich bewundert, für mein musikalisches Talent.

Und irgendwann war eine Freundin meiner Mutter auf mich zugekommen und meinte, ich hätte ein wenig  zugenommen und ein bisschen Farbe bekommen, was sie sehr freut.

Sie hatte Recht.

Ich kämpfte weiter.

Auch wenn du es nie ganz loswirst, auch wenn du immer wieder mal rückfällig wirst, in schlechten Zeiten nichts essen kannst, Phasen der Leere hast,

Auch wenn du dir erstmal nicht verzeihen kannst, dir selber nicht vertraust, anderen nicht vertraust,

die Zeiten werden besser.

Das Leben wird schöner.

Und meine Lehrerin hatte Recht, ich war stärker geworden.

Ich hatte mich entscheiden müssen in jungen Jahren erwachsen zu werden und zu kämpfen, oder als Kind daran zu Grunde zu gehen.

Mit 13 Jahren wurde ich erwachsen.

Mit 15 Jahren hielt mich jeder für 20.

Für selbstbewusst.
Für stark.

Ich hätte eine tolle Ausstrahlung, eine gute Energie, sagten viele.

Nur mich selber musste ich noch überzeugen.
In guten Zeiten war ich für mich da.

In schlechten war ich die erste, die sich von mir abwandte.

Wie könntest du mich lieben, wenn nichtmal ich es kannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt