VI

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Mit dem Wissen, dass ich in der Mitte meines Bettes lag, drehte ich mich nach rechts. Dass das ein Fehler war, bemerkte ich, als ich mit einem krachenden Geräusch auf dem Boden landete.
Verwirrt öffnete ich langsam meine Augen, erwartete den Anblick meines weißen Zimmers, wurde jedoch mit grauem Holzboden sowie Wänden begrüßt. Außerdem war mein Bett ein träumerisches weißes Exemplar, dieses hier schwarz und kantig. Schwarzes Holz, schwarze Decke und —soweit ich es erkennen konnte—weiße Kissen.
Das war ja mal sowas von nicht mein Zimmer.
Ruckartig stand ich auf.
Na ja, wollte aufstehen, denn Schmerzen in meinem Bauch stoppten mich.
Was war gestern noch mal passiert? . . . Alex Geburtstagsfeier, der Weg, die Gasse, Rico und Wiederling—Alex! Diesmal stand ich wirklich auf, zwar unter Schmerzen, aber ich schaffte es. Dann machte ich einen kleinen Schritt vorwärts, hob den linken Fuß für einen weiteren an und—flog voll auf die Fresse. Wundervoll.
Ich wusste nicht wo ich war, wie es Alex ging und konnte nicht mal laufen.
Besser konnte es ja nicht laufen. Stöhnend rollte ich mich auf den Rücken, mein Bauch—der sowieso schon den begriff 'Muskeln' nicht kannte—hielt die Belastung nicht mehr aus. "Na von dir hätte ich dann doch ein bisschen mehr Eleganz erwartet." stichelte eine bekannte Stimme. Erschrocken zuckte ich zusammen und schrie auf. Ich würde mich jetzt zwar nicht als schreckhaft bezeichnen, aber . . . okay, vielleicht hatte ich eine kleine Tendenz mich ein bisschen zu erschrecken.
Ganz kleines bisschen.
"Was, wo, wie . . . häh?" gab ich äußerst schlau und innovativ von mir. Jemanden gluckste leise, doch dann hörte es auf und die Decke bewegte sich.
Ich kannte diese Stimme doch . . . der Junge der mir geholfen hatte.
Zachary, das war sein Name. Der Boden knarzte leise als sich der Körper des Jungen dort hin verlagerte.
Ich richtete mich langsam auf, da ich nicht auf dem Boden liegen wollte, wenn ich ihn zum ersten mal sah. Unter ertragbaren Schmerzen stemme ich mich am Bett hoch, welches noch hinter mir stand, denn meine Fall-Eskapade hatte mich offensichtlich nicht sehr weit gebracht.
Inzwischen war ich schon in einer Sitzenden Position, doch bevor ich mich selbst weiter hoch hiefte, halfen mir zwei Hände, indem sie unter meine Achseln griffen und ich so stand. Ich blickte leicht hoch und traf auf zwei bernsteinfarbende Augen, wellige, schwarze Haare, welche in alle Richtungen abstanden, gebräunte Haut und ein leichtes Lächeln um die Lippen.
Heiß.
War wohl das erste was mir zu diesem Gesicht einfiel.
(Die hohen Wangenknochen und der stärkere Kiefer mussten jetzt ja auch nicht erwähnt werden.) Seine Miene wurde ernster und er sah mir tief in die Augen "Wie geht es dir?" fragte er vorsichtig. Ja, wie ging es mir? Ich wurde gestern bedroht, geschlagen und genötigt, wurde Zeuge einer beinahe-Vergewaltigung, also zusammengefasst: "Ganz ok." antwortete ich ausweichend. Mir ging es nicht gut, aber ich war schon immer verschlossen gewesen, sprach nicht gerne über die Dinge die gerade passiert waren. Es war kein Selbstschutz, denn ich wusste das meine Familie und Freunde mich unterstüzten wo sie konnten, sondern einfach, dass ich meine Gefühle lieber für mich behielt. Ich hatte vor Alex keine wirklichen Freunde gehabt und hatte so gelernt, mit meinen Gefühlen alleine umzugehen. "Ich weiß, dass du lügst. Du fühlst gerade verdammt viel, aber das hat alles nichts mit Freude zu tun." ich wandte meinen Blick ab. Er hatte Recht, hatte zu hundert Prozent recht. "Wie geht es Alex?" fragte ich, seinem Blick immer noch ausweichend. "Ihr geht es besser. Dir hoffentlich auch." da brauchte ich nicht zu lügen, denn es ging mir tatsächlich besser. Klar, die Schläge waren nicht spurlos verschwunden, doch ich konnte mich einigermaßen bewegen. Ich wollte jedoch wirklich nicht wissen wie mein Gesicht aussah. Meine Augen wollten wieder in die seinen blicken, als ich bemerkte, dass ich weder meine Schuhe, noch mein Kleid trug. Stattdessen kleidete mein Körper ein größeres T-Shirt, wahrscheinlich von ihm, es ging mir zwar nicht zu den Knien, doch wegen dem Größenunterschied verdeckte es das nötigste, und meine Füße waren nackt. Ich runzelte die Stirn "Wie bin ich hier rein gekommen." zeigte ich auf die Kleidung.
"Ich habe dich umgezogen."
sagte er unverblühmt. Ich zog nun die Augenbrauen hoch "Wer hat gesagt das ich dir dazu die Erlaubnis gegeben habe?" wollte ich wissen. Er hob eine Augenbraue. Wieso konnten das alle außer ich? Na ja, meine Mutter konnte es auch nicht und meine Amerikanische Oma hatte auch nicht die Fahigkeit dies zu tun. Lag wohl an den Genen (Mein Bruder konnte es aber, was mich schon seit langer Zeit neidisch machte) Mein Bruder . . . wenn er herausfand was gestern passiert war, würde er mir bis aufs Klo folgen, sich Vorwürfe machen und dafür sorgen das den Kerlen nicht mehr wussten wo links und rechts war. "Niemand. Aber du warst am schlafen und in dem Kleid konnte ich dich ja wohl kaum schlafen lassen, wäre wahrscheinlich verdammt unbequem gewesen. Bei den Schuhen fang ich am besten gar nicht erst an." riss mich Zachary aus den Gedanken.
Mir fiel auf, dass ich mich kaum bedankt hatte. Das musste ich nachholen "Danke, Zachary. Danke für alles." blickte ich ihn nun an. Die Spur von Überlegenheit verschwand aus seinem Gesicht und sein Blick wurde sanfter. "Das ist kein Problem, normal sowie selbstverständlich." winkte er ab. "Nein, das ist es nicht. Nicht jeder hätte das gemacht, vielleicht geholfen oder die Polizei gerufen, mich dann aber einfach aufgeweckt und bei meinem Haus abgesetzt. Du hast das nicht. Und dafür bin ich dir dankbar." wiedersprach ich ihm. Auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus "Süß von dir. Bitteschön. Ich kann dich nachher zu deinem Haus fahren, aber zuerst wird gegessen." meinte er bestimmend.
Süß von dir.
Meine Wangen wurden leicht rötlich, bevor ich realisierte was er gesagt hatte. "Das kann ich nicht annehmen. So viel kann man nicht verlangen, du hast doch schon zu viel gemacht. Niemals kann ich jetzt noch bei dir essen. Nein, nein, ich gehe jetzt nach Hause. Du kannst mich doch nicht fahren," Ich zeigte ich den Vogel "Als ob ich dich lasse. Über—" "Du isst bei mir, ob du willst oder nicht! Und wenn ich dich tragen muss. Aber ich sollte dich vorwarnen: ich werde lange nicht so nett sein wie vorher und dich im Brautstyle tragen, nein, ich werde dich über die Schulter werfen, auch wenn du, glaube ich, die erste Variante preferieren würdest, so wie du dich gestern an mich gekuschelt hast und dann au—" "Okay, okay, ich esse mit dir!" unterbrach ich ihn mit hochroten Wangen. "Ist Alex hier?" fragte ich, mich schämend, dass ich das nicht früher gemacht hatte. "Ja, sie sollte unten sein und gerade etwas essen." beantwortete er mir, während ich nach vorne schoss und in irgendeine Richtung lief "Ich weiß ja nicht wo du hin willst, aber im Badezimmer ist deine Freundin bestimmt nicht." grinste er. Er deutete auf eine Treppe, die ich vorher gar nicht bemerkt hatte, "Du kannst natürlich auch ins Bad gehen, aber ins Esszimmer geht es hier lang." sagte er und ich folgte ihm ab jetzt einfach. "Du musst was essen." sagte eine Stimme bestimmend
"Ich muss gar nichts!" fauchte eine andere.
Definitiv Alex.
Grinsend ging ich zügiger, oder so zügig wie es mir halt möglich war, bis ich in einem hellen Raum ankam und dort sofort meine Freundin endeckte.
Meine Augen begannen wässrig zu werden, sie blickte zu mir und wir stürzten aufeinander zu. Umarmenten uns so fest wie es ging und waren beide wegen den Erinnerungen niedergeschlagen. "Danke Linda. Ich danke dir so sehr," hauchte sie leise und ich drückte sie noch fester "Das würde jeder für seine beste Freundin tun. Ich würde es genau so wieder tun. Vielleicht würde ich gar nicht erst den Weg lang gehen, aber wenn dann ist es mir wichtiger das es dir gut geht." drückte ich sie lächend noch näher an mich. Sie grinste zurück und wischte sich die Tränen weg "Schluss mit Traurigkeit! Keine einzige Träne wird wegen diesen Bastarden verschwendet! Keine einzige! Wie werden nach vorne schauen und miteinander reden, aber nicht weinen. Das haben diese beschissenen, wiederlichen, hässchlichen, behinderten, ekelhaften, stinkenden, anstandslose—" "Alex, du schweifst ab." schniefte ich grinsend. "—Wichser nicht verdient! Verstanden?" blickte sie mich lächelnd an und ich nickte. "So wirds gemacht, Chefin." unterwarf ich mich. "Und jetzt wird gegessen." meinte . . . Darian. Das stellte ich fest, als ich mich, der Stimme folgend, umdrehte und er dort mit verschränkten Armen stand. Ich drehte mich zurück und sah wie Alex Lächeln erlosch. "Du kannst mich nicht dazu zwingen, ich bin eine freie Frau, mit Rechten, du kann—" "Alex! Komm. Ich weiß doch das du Hunger hast." unterbrach ich sie und drückte sie auf einen Stuhl. Sie streckte mir, genauso erwachsen wie ich, die Zunge entgegen. Die Augen verdrehend setzte ich mich neben sie, blickte auf die Pancakes die vor mich gestellt wurden und spürte Vorfreude in mir hochkommen. Au ja! Auch Alex war verstummt und wandte sich brav ihrem Frühstück zu. Ungläubig blickte Darian sie an. "Dein Ernst? Der ganze Terror wegen nichts! Unfassbar, einfach unfassbar." murmelte er letzteres leiser, guckte Alex an und ich beobachtete wie sie unschudig die Schultern hob. "Du hast mir etwas befohlen und ich kann das nicht ab." erklärte sie. "Bei deiner Freundin ist das aber okay?" zog er die Augenbrauen nach oben. "Ja, sie ist zu stur um etwas dagegen zu sagen. Zumindest wenn man nicht niedergemetzelt werden will und um ehrlich zu sein mag ich meinen Körper noch ganz gerne, also gehe ich auf Nummer sicher" nickend stimmte ich ihr zu und nahm gleichzeitig einen Bissen von den Pancakes vor mir. Sie waren der absolute Wahnsinn! "Wer hat diese Dinger gemacht? Die sind absolut fantastisch" Wollte ich wissen, nachdem ich runtergeschluckt hatte. (Ja, Mama! Ich denke an meine Manieren) "Ich, danke Schätzchen." gab eine weibliche Stimme von sich und brachte mich damit dazu fast vom Stuhl zu fallen.
Aber Schreckhaft war ich nicht.
Uh-uh.
Schnell drehte ich mich um, um eine Frau in der Mitte ihrer Fünfziger zu entdecken. Ihre schwarzen Haare fielen ihr lang und seidig bis zu ihrer Taille, ihr Körper war kurvig, sie schien aber extrem elegant und flink, worum ich sie beneidete. Die Augen strahlten in einem Braun, das schon fast Schwarz war und ihre Haut war genauso dunkel, wenn nicht dunkler, gebrannt wie die von Zachary. Ziemlich offensichtlich wessen Mutter es war, oder? "Danke. Ich hoffe ich esse diese nur weil sie noch übrig waren . . . " sie warf Zachary einen grinsenden Blick zu "Nein, Zachary hat gesagt ich sollte meine Pancakes für eine, beziehungsweise zwei, aber Darian hat das gleiche dann für die andere Schönheit bestellt, besondere Person machen." Zachary sah seine Mutter böse an "Makuahine! was habe ich gesagt?" "Das ich mich zurückhalten soll, aber was soll ich machen? Du bringst ja nie Mädchen nach Hause, da muss man die beiden doch pflegen, wobei ich denke das die hübsche Blonde eher zu Darian gehört . . . " dieser wollte gerade etwas erwidern, bestimmt nichts freundliches, als sie schnell wieder in die Küche verschwand und dort leise vor sich hin kicherte.
Ich musste grinsen und blickte zu meiner Freundin neben mir, wir hatten die selben Gedanken: Wir mochten Zacharys Mutter. Wie von einem Geistesblitz getroffen, ging Zachary plötzlich die Treppe hoch. Verwirrt blickte ich zuerst zu Alex und dann zu Darian, doch beide schienen es auch nicht zu verstehen und zuckten deswegen—fast gleichzeitig—mit den Schultern. Bei deren Anblick musste ich leise kichern, doch bevor Alex fragen konnte was los war, kam Zachary wieder zurück, mit meinem Handy in seiner Hand. "Hab' mich gerade daran erinnert. Jemand hat zweimal angerufen." Ich nahm das Handy in die Hand und erleuchtete mit dem Anchalt-Knopf das Display.
Zwei vermisste Anrufe und 15 neue Nachrichten von Thomas.
Ich stand auf und ging ein wenig abseits, damit ich in Ruhe meinen Bruder anrufen konnte "Hallo?" nahm er nach dem ersten Tuten ab. "Linda?" fragte er weiter. Ich schluckte den Kloß hinunter, der sich plötzlich gebildet hatte. "Ja, ich bins. Du hast angerufen?" versuchte ich meine Stimme normal Klingen zu lassen, doch mein Bruder kannte mich zu gut. "Weinst du? Was ist passiert? Du hast versprochen mich an zu rufen und hast es nicht. Bist du bei Alex?" bombadierte er mich mit Fragen. Ich musste anfangen zu lächeln, weil das einfach so typisch Tom war "Nein, na ja nicht wirklich jedenfalls. Ich komme gleich nach Hause und erkläre es dir dann, okay? Ich würde das nicht gerne übers Handy machen." ich wusste, dass ich so alle Alarmglocken meines Bruders schrillen ließ, doch ich konnte es nicht anders formulieren, denn egal wie, es würde immer schlimm klingen. Ich hörte ihn unzufrieden murmeln, doch schließlich stimmte er doch zu. "Sei bald zu Hause, sonst werde ich verrückt." befahl er mir und ich stimmte zu. "Ich bin dann gleich da Tom. Hab' dich lieb." beendete ich unser Gespräch. Ich fühlte einen Blick auf mir und schaute auf. Zachary hatte seine Augen fragend auf mich gerichtet "Mein Bruder. Er verlangt das ich bald zu Hause bin, also müssen wir jetzt los. Ich zumindest. Willst du dich abholen lassen, Alex?" sie schien es kurz in Erwägung zu ziehen, schüttelte dann aber den Kopf. "was heißt denn bald?" fragte Zachary. "ungefähr eine halbe Stunde." "Wo liegt euer Haus?" "Etwas außerhalb von D.C., Florida Street 4020." beantwortete ich auch diese Frage. "Das ist mit dem Auto aber nur fünf Minuten entfernt." runzelte er die Stirn. "Wir gehen zu Fuß" sagte ich, als ob es offensichtlich wäre. War es ja auch. "Nein, ich fahre euch. Ganz sicher werdet ihr nicht laufen." meinte er stur. "Doch werden wir. Ihr habt schon so viel gemacht und mehr Hilfe können wir nun wirklich nicht annehmen." "Doch das könnt und werdet ihr." "Nein, wir haben gesunde Bein, die uns die halbe Stunde auch genügen!" entgegnete ich wütend. "Ich lasse euch nicht aus diesem Haus wenn ihr nicht mitfahrt." mir klappte der Mund auf. Ein prusten lenkte mich von Zachary ab. Ich drehte mich zu Alex, die schon ganz rot war. "Ihr verhaltet euch wie ein altes, stures Ehepaar. Einverstanden, wir fahren mit dir." ich wollte protestieren, doch Alex zog mich in Richtung Treppe. "Wir holen noch unsere Sachen und sind gleich bei dir" rief sie ihm noch zu. Wissend sah sie mich "Ihr werdet ja mal sowas von zusammen kommen" sagte sie. Ich blickte sie verwirrt an "Ich kenne ihn doch kaum . . ." entgegnete ich. "Na und? Du musst endlich mal Spaß haben und der mega heiße Typ da unten, ist genau das. Außerdem hatte er glaube ich bewiesen, dass er ein guter Kerl ist." Zwinkerte sie mir zu.
Allerdings, das hatte er.
Ich ging nur an ihr vorbei, in Zacharys Zimmer, entdeckte meinen Rucksack, sowie Kleid und Schuhe auf einem dunkelblauen Sessel, schüpfte so schnell es ging hinein und ging dann wieder zu Alex, die auch fertig zu sein schien.
"Bereit für eine Fahrt mit deinem Zukünftigen?" fragte sie, Augenbrauen wackelnd. Ich schüttelte nur den Kopf, konnte das Grinsen jedoch nicht zurückhalten.
Das wird eine peinliche Autofahrt werden.

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Fertig.
Ich glaube das ist eins der längsten Kapitel.
Hoffentlich hat es euch gefallen und wenn ja:
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Grüße,

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