VII

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"Also, Zachary, wie alt bist du?" "Ich bin neunzehn. Und du?"
"Sechszehn. Linda auch."
Ich starrte sie wütend an. Wollte sie es noch offensichtlicher machen, dass sie wollte, dass wir zusammenkamen? "Gut zu wissen." Erwiderte Zachary ruhig und gelassen genauso wie zu den tausend anderen Fragen die Alex ihm gestellt hatte.
"Und bist du schon mit der Schule fertig?" "Ja." "Hast du schon eine Idee was du danach machen willst?"
"Alex!" zischte ich leise zu ihr hinüber, während ich neben ihr hinten saß, Zachary hinterm Steuer und Darian saß auf dem Beifahrer-Sitz. "Was?" flüsterte sie verwirrt zurück, obwohl wir beide wussten was mir gerade nicht gefiel.
"Ich finde du hast für heute genug Detektive gespielt, findest du nicht?"
Sie verschränkte die Arme.
"Ist kein Problem, Linda, keine Sorge. Ich studiere gerade Medizin."
Meinem Wangen wurden rot, weil ich nicht erwartet hatte das er mich hören würde und während Alex mir einen triumphierenden Blick zu warf―vielleicht ein bisschen zu triumphierenden―fragte sie weiter: "Und willst du lieber deine eigene Praxis aufmachen oder im Krankenhaus arbeiten―Hab gehört, dass es da ziemlich heftig zugeht."
Aus dem Rückspiegel blickte er sie zuerst und danach mich an. "Ich werde wahrscheinlich im Krankenhaus arbeiten. Ich meine, das Leben von Leuten ist in deinen Händen, klar, viel Verantwortung, aber dann den Familien sagen zu können, dass ihr Angehöriger überleben wird ist es wert."
Ich schaute ihn an. Versuchte ihn zu lesen, seine Umgangssprache, seine Gedanken und Gefühle. Und obwohl er nicht viel Preis gab, konnte man doch erkennen, dass er voll und ganz hinter seinen Worten stand.
Beeindruckend.
Ich könnte niemals an einer Person operieren, dessen Leben am seidenen Faden hing. Nuh-uh. Ohne mich.
"Krass das du das kannst." Meinte Alex. Sie hatte Recht. "Und was wollt ihr später machen, Ladies?" meinte Darian keck, schaute dabei aber nur Alex an.
Große Überraschung.
Nicht.
Jetzt blickte auch Zachary in den Rückspiegel, jedoch zu mir und nicht zu meiner besten Freundin.
"Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Ich gehe wahrscheinlich einfach zu irgendeinem College und gucke dann wohin es mich führt." Ich wusste Alex Pläne schon (Obwohl nicht wirklich Pläne waren.), sie hatte mir schon öfter davon erzählt. Klar hätte ich jetzt auch einfach sagen können 'Ich gehe halt einfach studieren und dann finde ich schon was.', aber das wollte ich nicht.
Ich wollte einen Job haben, den ich liebte, klar, aufstehen war scheiße, aber ich wollte nicht irgendwo arbeiten, wo das ein Anlass war, im Bett zu bleiben.
"Und du, Linda?" fragte eine tiefe Stimme.
ich schaute verwirrt auf. "Ja?" fragte ich aus Reflex. Alex kicherte, Darian gluckste und Zachary schmunzelte auf meine Antwort.
"Was?" fragte ich verwirrt. "Nichts, nichts," winkte meine Freundin ab, aber sie wusste ziemlich genau, dass ich diese Antwort nicht mochte.
Ich war halt neugierig.
"Was!?" fragte ich nun leicht an genervt. "Nichts, du hast nur eine gute Antwort auf 'Und du, Linda?' gegeben, das ist alles." Antwortete Darian, immer noch amüsiert.
Oh.
Passiert aber auch immer nur mir, oder?
Super.
Also suchte ich schnell nach einer Antwort in meinem überforderte Gehirn, "Äh . . . so wirkliche Pläne habe ich noch nicht, aber ich will schon für ein Jahr eine Pause machen, ein halbes Jahr arbeiten und dann reisen, entspannen und einfach ein bisschen vom Leben genießen, glaube ich." Bekam ich irgendwie eine Antwort zustande. "Und danach keine weiteren Pläne mehr?" fragte Zachary wieder, Neugier spielte dabei in seinen Augen. "Nope, hoffe das kommt noch." Entgegnete ich.
Er grinste mich schief zu.
"Keinen Stress, nach einem Jahr Pause hast du wahrscheinlich schon viele Ideen." Bezweifelte ich zwar, es war aber gut zu wissen, dass einer an mich glaubte.
"Ich glaube nicht, dass das so funktioniert, aber hey, schön, dass du an mich glaubst." sagte ich zu ihm, was ihn leicht Lachen ließ.
Stand ihm.
Dann wiederrum, ich glaube nicht das da irgendwas war, dass ihm nicht stand.
Unfair.
Während ich eine ganze Gesichtsbemalung und etwas Schmeichelndes anziehen musste, damit ich überhaupt auf die Straßen konnte.
"Willst du eine Familie gründen?" platzte es aus Alex heraus.
Typisch.
"Gut, dass du so taktvoll bist Alex, hätte fast gar nicht bemerkt, dass du ihm eine Frage stellen willst." Rollte ich die Augen. Sie drehte ihren Kopf langsam zu mir und schaute mich einfach an. "Was?" fragte ich nun verwirrt. "Ich mach das hier für dich, also halt's Maul!" keifte sie mir leise zu.
Hä?
Ich schaute sie immer noch verwirrt an, woraufhin sie die Augen verdrehte. Sorry, dass ich keine Gedanken lesen kann.
Langsam dämmerte es mir aber. Das konnte sie doch nicht ernst meinen! Sie wollte mich mit Zachary verkuppeln?
Super.
"Du willst mich mit Zachary verkuppeln!? Sag mal hast du mal dran gedacht mich zu fragen ob ich das will?" wollte ich wütend wissen, während sie mich gelassen entgegen starrte. "Erstens: Nö. Zweitens: selbst, wenn, ich wäre geisteskrank, wenn ich Tipps von dir in meinem Liebes-Leben will." Beantwortete sie.
Ich sah sie fassungslos an.
Dann verschränkte ich beleidigt die Arme und drehte meinen Kopf weg.
Alex stöhnte genervt auf. "Och, nö!" rief sie genervt aus.
"Alles gut bei euch, Ladies?" fragte Darian neugierig.
Ich antwortete nicht, konnte aber beobachten wie auch Zachary neugierig in den Spiegel schaute, um seinen Blick auf mich zu setzten. "Linda spielt wieder beleidigt, weil ich ausgesprochen habe, was alle anderen denken." Sagte Alex genervt, weshalb ich sie fassungslos ansah. "'Ausgesprochen was alle anderen denken?' Ausgesprochen was alle anderen denken!?' Wie fällt es dir ein mir zu sagen, dass ich überhaupt keine Ahnung von Liebe habe, wenn du genauso wenig weißt! Außerdem bin ich nicht eine komplett dämliche Jungfrau!" zeterte ich.
"Ich nehm' das mal als nein." Murmelte Darian leise, zu keinem bestimmten. Zachary gab ihm einen amüsierten Blick und hatte wohl beschlossen, dass er keine Augen zum fahren brauchte.
"Wie bitte!? Ich habe ja mal sowas von mehr wissen als du! Ich glaube es geht los! Das du einfach so tust als wären wir auf gleicher Ebene, obwohl wir beide Wissen, dass ich viel mehr weiß!" schoss Alex zurück.
"Achso, was weißt du denn, was ich nicht weiß, huh? Denn ich bin mir ziemlich sicher, dass―"
Ein Räuspern unterbrach mich.
Zachary hatte sah uns beide an, während seine Hand sank, die er bisher vor seinem Mund hatte.
"Sorry dieses äußert unterhaltende Gespräch untersprechen zu müssen, aber wir stehen schon seit so fünf Minuten vor eurem Haus, und ich habe das Gefühl ich könnt euch für scheiße lange so anzicken, also habe ich beschlossen euer Retter in der Not zu sein und ich darauf aufmerksam zu machen." Sagte er.
Oh.
Ups.
Meine Wagen färbten sich leicht rötlich, doch ich ignorierte das, schnallte mich ab, kickte meine Tür auf und drehte mich noch einmal zu den beiden Jungs.
"Danke ihr beiden. Ich weiß nicht genau wie ich euch genug danken kann, aber ich bedanke mich zuerst mal so: ich will mir nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn ihr nicht gekommen wärt, uns danach noch bei euch aufgenommen habt und sogar Essen vor die Nase gestellt. Also danke." Ich lächelte sie an und meinte alle Worte, die ich gesagt hatte.
Währenddessen war Alex ausgestiegen und nickte den beiden auch noch mit einem herzlichen Lächeln zu, bevor wir beide die Autotüren zuknallten und gemeinsam auf das Weiße Haus zugingen.
Ich sahen kurz zurück, um zu sehen, dass das Auto noch dastand und wahrscheinlich darauf wartete, dass wir rein gingen.
Also drückte ich die Tür auf und trat mit Alex hinein.
"Hallo?" erklang es aus dem inneren, während wir unsere Schuhe auszogen und sahen, wie Thomas auf uns zu gejoggt kam, mit einem besorgten Blick auf seinem Gesicht.
Sobald er bei uns an kam, zog er mich an sich und gab mir eine Umarmung.
Eine knochenbrechende Umarmung.
"Kriege . . . keine . . . Luft." Sagte ich und klopfte ihm dabei mehrmals heftig auf den Rücken.
Er ließ von mir ab und begleitete uns ins Wohnzimmer, wo er uns auf das Sofa drückte, während er nach oben sprintete um meinen Eltern bescheid zu sagen, dass wir wieder da waren.
Wahrscheinlich hatte er ihnen versprochen das zu tun, ich bezweifelte nämlich das meine Mutter sonst nicht mit ihm auf uns gewartet hätte.
Zu unserer Überraschung kam nicht nur meine restliche Familie die Treppe nah unten, sondern auch Alex Eltern kamen mit und sahen genauso besorgt aus wie meine Eltern.
Das würde ein interessantes Gespräch.
Alle quetschten sich irgendwie auf unsere beiden mittel großen grauen Couch.
(Nicht bevor wir von jedem fest umarmt wurden, versteht sich.)
Danach sahen alle abwartend zu uns und nachdem ich tief Luft geholt hatte, begann ich zu erzählen.
Und ich erzählte alles.
Von vorne bis hinten.
Als ich damit fertig war, betrachtete ich meine Familie und die von Alex: Mein Bruder und Dad waren circa in der Mitte der Erzählung aufgesprungen und hatten angefangen wie wild hin- und her zu trampeln und dabei immer wieder ihre Fäuste zu ballen. Alex Vater war nicht anders drauf, riss sich aber anscheinend zusammen beruhigte seine Frau. Oma und Mum hatte sich gegenseitig im arm und unterstützen sich wohl so gegenseitig. Doch ihre Stimmung änderte sich auch von Minute zu Minute. Einmal todtraurig, die andere stinksauer.
Ein paar Morddrohungen, Tränen und Vorwürfe später hatten sich Alex und ihre Eltern entschlossen zu gehen, verabschiedeten sich und machten ihren Weg nach Hause.
Nachdem ich jedem versichert hatte, dass es mir gut ging, entschuldigte ich mich nach ober sank mich auf mein Bett.
Ich dachte einfach nach―wahrscheinlich das letzte was ich tun sollte―, dabei wusste ich, dass sich Tom Vorwürfe machte, ich bezweifelte jemals richtig schlafen zu können, Tom mich jetzt voraussichtlich bis auf's Klo verfolgen würde, wie ich Zachary bestimmt nie wieder sehen würde und wie ich nicht wusste wie es jetzt weiter ging.
Ich hatte keine Ahnung, wusste genauso wenig ob ich es wissen wollte.
Ich seufzte, setzte mich auf, machte meine Hausaufgaben (Okay, vielleicht machte ich den Hefter auch nur auf und schmiss ihn dann gegen die Wand, aber musste ja keiner wissen.) und ließ einfach irgendwie den Tag vergehen.
Als ich dann Bett fertig war und unter meine Decke schlüpfte, kamen schon wieder die Erinnerungen hoch und ich betete einfach, dass mich das nicht vom Schlafen abhalten würde.
Das tat es nicht.
Ich schlief also irgendwann ein, mich nicht erinnernd mach welchem schlechten Gedanken es war.

"WIR WERDEN viel Spaß miteinander haben." Hörte ich den Typen sagen, bevor er mich in eine Gasse zog und begann meine Klamotten auszuziehen.
Ich begann zu schluchzten, obwohl ich es immer hasste zu weinen. Er lachte leicht, als er die Töne hörte, die aus meinem Körper drangen.
Als ob es ihm zu langweilig wäre, mich einfach zu vergewaltigen, begann er plötzlich, meinen Kopf gegen die Wand zu schlagen, was mich dazu brachte die Welt drehend zu sehen, einen unglaublichen Schmerz zuerst an meinem Kopf und dann überall zu spüren, letztlich bemerkte ich noch wie eine warme Flüssigkeit meinen Hinterkopf hinunterfließ.
Blut.
Meinen Köper verließ erneut ein schluchzen.
Ich war zu sehr mit allem anderen beschäftigt gewesen, dass ich nicht bemerkt hatte, wie der Kerl mein Kleid weggerissen hatte und dieses jetzt irgendwo auf dem Boden lag.
Also tat ich das einzige woran ich auf die schnelle denken konnte.
Ich schrie.

"LINDA? LINDA!" rüttelte mich eine tiefe Stimme aus meinem Albtraum.
Verschwitzt und verwirrt setzte ich mich in meinem Bett auf und knipste meine Nachttischlampe an, um in die besorgten Augen meines Bruders zu blicken.
"Hey." Sagte ich benommen und rieb meine Augen.
Er sagte nichts, sondern nahm mich einfach in die Arme.
Und als ob das auf irgendeine Weise alle dämme gebrochen hätte, liefen Tränen über Tränen über mein Gesicht.
Mein Bruder nahm mich fester in die Arme und begann leise Töne zu sprechen, die mich auf eine komische Art und Weise beruhigten.
Als dann irgendwann aufgehört hatte vor mich hinzurötzen erwartete ich, dass mein Bruder wieder zurück in sein Zimmer ging um dort weiter zu schlafen, doch er hatte einen anderen Plan.
Er kuschelte mit mir unter die Decke und hielt mich in seinen Arme.
Ich seufzte glücklich und kuschelte mich an ihn.
Egal wie sehr er nervte, ich erwürgen oder alle Knochen in seinem Körper brechen wollte, in diesen Zeiten war mein Bruder immer für mich da.

Dieses Kapitel ist in irgendeiner Weise an meinen Bruder gewidmet, weil ich auf ihn zählen kann, egal wo er ist.
Ich weiß wie sehr Geschwister nerven können (Ich will gar nicht wissen wie oft ich meinen Bruder schon in eine Box packen, mit Klebeband feste zukleben und in ans andere Welt schicken wollte.) aber haltet sie nicht für selbstverständlich.
Denn diese Leute werden euch nicht verlassen. Freunde, Klassenkameraden oder sogar eure Lebenspartner.
Aber nicht eure Familie.
Schätzt das.
Hat euch das Kapitel gefallen?
Voten, kommentieren und Liebe verteilen.
Grüße,

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