„Die Dinge haben nur den Wert, den man ihnen verleiht."
(Molière)
Als ich am späten Nachmittag nach Hause komme, ist es an der Zeit, die zweite Person in mein Versagen einzuweihen.
Meine kleine Schwester kommt mir bereits entgegen und will den Ausgang jener Situation wissen, durch die mein Unglück seinen Lauf genommen hat.
Ich schüttele nur mit dem Kopf. Ein Zeichen, dass ich gescheitert bin und Nachhaken zwecklos ist.
„Du siehst echt niedergeschlagen aus", stellt sie fest.
„Ja, das bin ich wohl auch."
„Warum denn?"
Weil mir dieser Sieg alles bedeutet hätte. Und weil ich ihn nicht davon getragen habe.
Ehe ich jedoch zu dieser oder einer ähnlichen Antwort ansetzen kann, spricht sie schon weiter: „Ist doch kein großes Ding."
Meine kleine Schwester ist fast ein Jahrzehnt jünger als ich, es ist also nicht verwunderlich, dass sie noch im Besitz dieser kindlichen Naivität ist.
Und auch wenn ich nicht ihrer Meinung bin, so fühle ich mich einer Diskussion gerade nicht gewachsen. Ich bin ja schon froh, nicht direkt wieder in Tränen ausbrechen zu müssen.
Also zucke ich einfach nur mit den Achseln.
„Sag mal, kannst du mir bei den Hausaufgaben helfen?", plappert sie weiter.
Nein, ich bin ein Wrack. Ich bin zu nichts zu gebrauchen.
Ich habe versagt.
Auch diese Worte spreche ich alle nicht laut aus, stattdessen zögere ich.
„Komm schon, du kannst doch nicht ewig Trübsal blasen!" Dann fasst sie mich an der Hand, um mich in ihr Zimmer zu zerren.
Es ist ihr egal. Es ist ihr völlig egal, dass ich gescheitert bin.
Sie kann kein Mitleid für mich aufbringen, weil es ihrer Meinung nach nichts gibt, das es notwendig machen könnte.
Kein großes Ding, wiederhole ich ihre Worte in meinen Gedanken.
Und während wir dir Treppe rauf zu ihrem Zimmer gehen, führt mein Verstand einen Kampf gegen die Worte meiner Schwester.
Du bist gescheitert, macht er mir klar.
Ist doch kein großes Ding, hält meine Schwester dagegen.
Du bist gescheitert, wiederholt mein Verstand.
Ist doch kein großes Ding, beharrt meine Schwester.
Du bist ge-
Und dann erreichen wir ihr Zimmer.
DU LIEST GERADE
Ein Schritt zurück
Short Story„Ein Schritt zurück ist nicht immer ein Rückschritt." Kurzgeschichte über eine Niederlage, an der jemand wuchs. (c) kvnstlermxdchen All Rights Reserved April 2018