Jeden Tag sitze ich vor dem Fenster und spähe durch die Gitterstäbe meines rosa Käfigs.
Jeden Tag sitze ich dort und frage mich, warum ich hier bin.
Die Zeit verliert an Bedeutung, wenn man nichts tun kann, außer vor sich hin zu vegetieren. Dabei würde ich viel lieber leben, als mein Dasein im Schatten zu fristen. Aber was kann man in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie großartig machen? Ich bin eingepfercht in einem Zimmer, das die Größe eines Schuhkartons besitzt. Dazu verdammt, jeden Tag auf die gleiche Weise zu erleben. Jeden Morgen weckt mich Weißkittel Malcolm und legt mir die Zwangsjacke an. Danach kommt Schwester Susanna herein, mit dem Frühstückstablett in den Händen und einem herausfordernden Blick in den Augen.
Es ist immer dasselbe. Ich bitte sie, näher zu kommen, um mir zu erklären, was die Weißkittel mir diesmal in den Brei gerührt haben. Die Schwester beugt sich herunter und versichert mir: „Es ist nur Grießbrei." Schnell hebt sie ihren Kopf. Zu schnell, um mit meinem Mund nach ihrem langen Haar schnappen zu können. Ich fluche. Susanna schaut mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Ich weiche ihrem wissenden Blick aus. Sie verlässt mein Zimmer und Malcolm kommt erneut herein. Seine Glatze reflektiert das Licht der Lampe. Er setzt sich zu mir und beginnt mich zu füttern. Die Weißkittel sagen, ich sei gemeingefährlich. Keine Ahnung, was ich verbrochen habe, aber es muss beachtlich gewesen sein, um hier zu landen.
Mittags bringen sie mich in einen Raum mit Tisch, in dem Handschellen eingelassen sind. Zwar wird mir die Zwangsjacke abgenommen, doch dafür bekomme ich die Handschellen angelegt. Dort am Tisch darf ich eine Stunde lang malen. Anschließend heißt es wieder Zwangsjacke und Malcolm bringt mich zurück in den Schuhkarton. Dann bekomme ich mein Mittagessen; meistens irgendeine Kraftbrühe und wenn Weißkittel Malcolm niemand anderen zu betreuen hat, bleibt er auch nach dem Essen noch eine Weile bei mir. Er erzählt mir von der Welt draußen. Der echten Welt.
Ich stelle mir immer vor, dass das alles bloß eine Verwechslung ist. Dass ich keine Irre bin, die man vor den Augen der Menschen wegsperren muss. Ich stelle mir vor, dass ich wie früher auf meinem blauen Schaukelpferd sitze und in meiner Hand eine Puppe halte, die Mutter nicht sehen darf. Die Erinnerungen an meine glücklichen Tage sind wichtiger, als das Wissen um das, was mit mir geschehen ist. Denn sie sind das einzig Schöne, an dem ich mich festhalten kann. Die Hoffnung, eines Tages den Erwartungen der Weißkittel zu entsprechen und den Schuhkarton hinter mir lassen zu können, gebe ich langsam auf.
Aber mit meinen Erinnerungen kann ich nicht alles ausblenden. Die Psychiatrie ignoriert dich, aber du kannst sie nicht ignorieren. Du kannst die Zwangsjacke, die kahlen Wände und die Weißkittel nicht ignorieren. Sie beherrschen meine Gedanken jede Minute. Weiß, Weiß, Weiß; überall Weiß. Weiße Türen, weiße Gitter, weiße Gurte. Wenn ich nicht schon verrückt wäre, würde ich es hier sicherlich werden. Das Weiß macht mich krank.

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Der rosa Käfig
Cerita PendekÜber Yuri, die irgendwo zwischen Schaukelpferd und Zwangsjacke zu verstehen versucht, wer sie ist - oder auch warum Wahnsinn relativ ist. © Amy Daltrey, moonriverblues Das fantastische Cover ist von Amena @thejumpingjellyfish