Endlich hatte sie es geschafft. Sie hatte sich mit einundzwanzig eine Stelle als Detective bei Scotland Yard erkämpft. Der Traum, auf den sie seit ihrer Kindheit hingearbeitet hatte, war erfüllt worden.
Sie musste sich bemühen, nicht breit wie ein Honigkuchenpferd zu grinsen, als sie zur morgendlichen Besprechung ging. Sie begrüßte jeden ihrer neuen Kollegen, bekamen aber meist nur ein müdes Grummeln als Antwort.
Deswegen ließ sie sich nicht die Laune verderben. Im Konferenzraum setzte sich auf einen freien Stuhl und starrte gespannt auf die Uhr. Die Besprechung würde erst in zwanzig Minuten beginnen. Außer ihr war nur ein Mann Mitte Vierzig im Raum, der ununterbrochen auf sein Handy glotzte.
Zehn Minuten vergingen. Sie tippte aufgeregt mit dem Fuß auf und ab. Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. "Buh!", rief eine ihr bekannte Stimme scherzhaft. "Ryan!", begrüßte sie ihren Kollegen lachend. Ryan war schon mit ihren Eltern in Einsatz gewesen und seit Jahren ein enger Freund ihrer Familie.
Seine grau-schwarzen Haare waren etwas kürzer als beim letzten Mal und er hatte sich einen Bart wachsen lassen. Seine Augen leuchteten immer noch so blau wie sie sie in Erinnerung hatte. Sie umarmte ihn. "Ich hab dich seit zwei Jahren nicht gesehen. Wie geht's dir?" Ryan grinste und wuschelte ihr wie früher durchs Haar.
"Dasselbe wollte ich dich fragen. Du bist jetzt auch offiziell eine von uns. Gratuliere, Kleine." Anouk verdrehte über den Spitznamen die Augen. "Ich bin einundzwanzig, Ryan. Und deine Kollegin. Ich glaube Kleine ist ein bisschen übertrieben." Er zwinkerte. "Du bist immer noch über einen Kopf kleiner als ich."
"Ich bin einen Meter achtzig groß. Kann ich doch nichts dafür, dass du eher einem Bären als einen Mann ähnelst.", brummte sie. Statt sich aufzuregen, prustete er los und nahm sich den Stuhl neben ihr. "Die Eigensinnigkeit hast du eindeutig von deiner Mutter." Sein Grinsen verschwand und wurde zu einem nachdenklichen Ausdruck.
"Sie und dein Vater wären jetzt wirklich stolz auf dich." Anouk spürte das übliche Stechen in ihrer Brust, wenn jemand ihre Eltern erwähnte. "Ich hoffe es." Im selben Moment kam ihr neuer Vorgesetzter, Mr Richards, in den Raum. Hinter ihm weitere Detectives, die sich gähnend mit ihren Kaffeebechern auf den Plätzen verteilten.
Es war doch schon neun Uhr morgens und sie benahmen sich alle wie Murmeltiere. Das hatte Anouk schon als Kind gewundert. Ihre Mutter hatte darauf immer gelächelt und ihr gesagt, dass sie schon noch den wahren Wert des Kaffees zu schätzen lernen würde.
Mr Richards schaltete den Projektor an der Decke ein und eine Karte von der Londoner Innenstadt kam zum Vorschein. "Guten Morgen, Herrschaften.", begrüßte er alle mit strenger Stimme und rückte seine runde Brille zurecht. "Wie ihr bestimmt wisst, will ich heute alle Mitglieder für die Einheit zur Überwachung des Terror Security Systems einteilen."
Anouks Herz machte einen Hüpfer. Es war der Traum eines jedes Einsteigers in das Programm eingeteilt zu werden. Das Terror Security System soll mögliche Terroranschläge voraussagen und jeden Monat wurde eine Einheit zusammengestellt, die dieses dreißig Tage lang im Auge behalten soll.
Mr Richards zog eine Liste hervor und las die Namen der Teilnehmer vor. "Die Detectives Edwards, Lloyd, Harrison, Young, Cox, Hill und Anderson melden sich bei der leitenden Chief Inspector Claire Price in Raum 215." Die Genannten standen auf und verließen den Raum.
Jetzt waren nur noch Anouk, Ryan und zwei weitere übrig. Mr Richards tippte etwas in seinem Laptop und auf der Karte erschien ein blauer Punkt. "Murphy, Davies. Sie beide brauche ich bei einem Banküberfall in Islington. Die Polizei vor Ort meint, es gibt zwei Geiseln. Fahren Sie sofort los." Ein Überfall mit Geiseln? Und alle blieben so gelassen? Sie hatte wohl noch einiges zu lernen.
Als auch die zwei gingen, wanderte sein Blick zu Anouk und Ryan. "Baskin, Ihnen gebe ich einen speziellen Fall. Vor zehn Minuten bekam ich einen Anruf. In der Westsun Road 23 wurde eine Frau ermordet. Und nehmen Sie unsere Anfängerin mit.", sagte er und ließ einen weiteren Punkt erscheinen. Dann sah er Anouk abschätzend an.
"Willkommen bei Scotland Yard, Miss Ross."
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Zwischen Schatten und Licht (Anderwelten - Band 1)
ParanormalNur die wenigsten wissen, dass neben dem normalen auch noch eine anderes London existiert. Der Schatten von London ist eine eigene Welt, in der die Wesen leben, die anders sind. Dort kümmert sich Cole um die, die aus der Reihe tanzen. Um Wesen, die...