Wer war der Kerl? Vielleicht auch von der Polizei? Nein, dann hätte er sie nicht angegriffen. Aber er kannte die üblichen Tricks und war offensichtlich auf Kämpfe trainiert.
Wobei die wohl eher interessantere Frage war, was er von ihr wollte.
Genau das fragte sie ihn auch, aber er sah geschockt an. Natürlich war er überrascht. Er hatte sie wahrscheinlich verwechselt.
Der Typ im Grafenoutfit sah nur von der Seite zu und wechselte nun einen schnellen Blick mit ihm.
"Woher kommt der schwarze Staub auf deiner Jacke?", fragte er stattdessen und machte keine Anstalten, sie loszulassen.
Diesmal war es an ihr, überrascht zu sein. "Was wissen Sie über den Staub?"
Er lockerte seinen Griff etwas, allerdings nicht genug, damit sie sich befreien konnte.
"Hör mal, wenn du mit einem Dämonen zusammenarbeitest, dann rück gleich damit raus und die Strafe fällt etwas milder aus."
Dämonen? Vielleicht hatte er etwas genommen? Aber warum war er dann immer noch so stark?
Vielleicht war er nicht ganz zurechnungsfähig...
Der verkleidete Typ schien ihre Gedanken zu erraten. "Sie hält dich für einen Verrückten, Cole. Sie hat nichts mit den Morden zu tun."
Cole. Jetzt wusste sie zumindest teils, wen sie vor sich hatte.
Die Enttäuschung über die Verwechslung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er war lange genug abgelenkt, damit Anouk seinen Arm wegdrücken, sich darunter hindurchschieben und ihre Waffe ziehen konnte.
"Hände hinter den Kopf und dann sagen Sie mir, was Sie über die Morde wissen!"
Er dachte gar nicht daran und rührte sich nicht.
"Sind Sie schwerhörig!?", rief sie leicht beunruhigt.
"Nein, ich kann Sie kann ganz gut verstehen, Sie brauchen also nicht so zu brüllen.", sagte er gelassen und sie erkannte das amüsierte Funkeln in seinen pechschwarzen Augen.
Er machte sich über sie lustig. Sie hielt die Waffe weiterhin auf ihn gerichtet.
"Was wissen Sie über den Staub?", wiederholte sie sich.
"Sie wissen wirklich nichts darüber, nicht wahr?", wandte sich der andere an sie.
"Ich stelle die Fragen!", fauchte sie. "Sie sind hier schließlich die Mordverdächtigen!"
"Mordverdacht? Sie wissen von den getöteten Engeln?"
Engel? Dämonen? Dieser Kerl war wirklich irre.
"Wenn Sie mit toten Engeln die Mordserie, angefangen bei Brienna McCoy, dann sagen Sie mir, was Sie wissen!"
Die beiden Männer wechselten einen Blick.
"Sie glauben weder an Engel noch an Dämonen.", stellte der kleinere fest. "Aber sie können den Staub ansehen."
Der Typ namens Cole sah sie mit großen Augen an. "Bist du etwa auch ein Halbblut?"
Sein ständiger Wechsel zwischen du und Sie ging ihr langsam auf die Nerven. Sie beschloss, ihn ebenfalls einfach zu duzen.
"Ich weiß nicht, was du meinst. Was soll ein Halbblut sein?"
"Sie kann unmöglich ein Halbblut sein!", widersprach sein Freund.
Cole drehte sich scheinbar gereizt zu ihm um. "Und woher willst du das wissen, Jajan!?", zischte er.
Jajan. Ein ungewöhnlicher Name.
"Warum nehmen wir sie nicht einfach mit und sehen was passiert? Sie muss anderes Blut in sich haben, sonst könnte sie den Staub nicht sehen!"
Jajan sog scharf die Luft ein. "Bist du verrückt? Wenn wir uns irren, dann stirbt sie!"
Nicht nur, dass sie beiden offensichtlich über etwas Gefährliches nachdachten, sie redeten auch noch über sie, als würde sie nicht direkt vor ihnen stehen und würde eine Waffe auf sie richten.
"Genug!", ging Anouk dazwischen. "Ich hole jetzt Verstärkung und keine rührt sich bis dahin!"
Cole kniff die Augen zusammen und machte noch einen Schritt auf sie zu. Instinktiv drückte sie den Abzug.
Ein Schuss löste sich und hallte von den Hausfassaden der Gasse wider. Entgeistert starrte sie auf die Stelle an seiner rechten Seite, wo sie ihn getroffen hatte.
Aber er zuckte nicht einmal und das Blut, das heraus floss, war schwarz wie Tinte, schwarz wie ein Rabe, schwarz wie die Nacht.
"Was zur Hölle..."
"Nein, die ist noch ein bisschen weiter weg als unser Zuhause.", sagte Jajan augenrollend.
Cole konnte ihr nun leicht die Waffe entreißen, während sie ihn weiter anstarrte.
"Das ist ein Scherz, oder!?", rief sie. "Du trägst eine kugelsichere Weste!"
"Jajan, zeichne das Symbol. Wir nehmen sie mit!"
Anouks erster Gedanke war zu kämpfen. Aber nach einer halben Sekunde entschied sie sich doch für die Flucht. Sie wollte aus der Gasse rennen und griff nach ihrem Diensthandy, aber auch das entriss Cole ihr und hielt sie mit derselben Kraft wie vorhin fest.
Mit einer Art Kreide malte Jajan irgendwelche seltsamen Dinge auf den Boden, eher er etwas in einer ihr unbekannten Sprache.
Anouk trat und schlug um sich, als ihr plötzlich schwindelig wurde und die Welt um sie herum zerfloss wie flüssige Farbe.
Es war, als würde sie kurz einschlafen, nur um dann von einem heftigen Ruck, der ihren Körper durchfuhr wie einen Stromschlag, wieder zum Bewusstsein gebracht zu werden.
Mühsam öffnete sie die Augen. Cole hielt sie immer noch fest und sah sie prüfend an. Nachdem sie ihn erschrocken angestarrt hatte, musterte sie die Umgebung. Etwas hatte sich verändert.
Der Himmel war nicht mehr strahlend blau, sondern finster wie vor einem Sturm. Die Gassen waren enger und verwinkelter und der Boden unter ihnen war von Rissen und fehlenden Pflastersteinen übersät. Alles wirkte kaputt. Die Luft war schneidend kalt, sodass sie einmal tief durchatmen musste, um überhaupt welche in ihre Lungen pressen zu können. Und doch fror sie nicht.
"Wo sind wir?", fragte sie zitternd.
"Du weißt es wirklich nicht. Deine Angst ist echt.", stellte Cole fest und ließ sie los.
"Natürlich ist sie das!", fuhr sie ihn an. "Hast du mich unter Drogen gesetzt? Mir einen Stromschlag versetzt? Was habt ihr mit mir gemacht?"
Er sah sie verdutzt an. "Wer bist du?"
Sie stöhnte entnervt. Das konnte doch nicht sein Ernst sein!
"Mein Name ist Anouk Ross. Ich bin Detective bei Scotland Yard und ermittle in zwei Mordfällen, die wohl zusammenhängen und etwas mit diesem schwarzen Staub zu tun haben. Unser Labor hat keine Ahnung, woher er kommt, aber ihr beiden anscheinend schon! Bis jetzt weiß ich nur, dass eure Namen Cole und Jajan sind, soweit das überhaupt die Wahrheit ist!"
"Das sind tatsächlich unsere Namen.", erklärte Jajan ruhig. "Der schwarze Staub stammt von einem Wesen, das wir als eine verlorene Seele bezeichnen. Diese leben wie die gewöhnlichen, wie meinerseits, den Dämonen, Engeln und anderen in dieser Stadt."
"Dämonen.", wiederholte Anouk langsam. "Engel. Seelen. Wo sind wir?"
"Der Ort, an dem jeder landet, der in der normalen Welt keinen Platz hat.", erklärte Cole kurz.
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Zwischen Schatten und Licht (Anderwelten - Band 1)
ParanormalNur die wenigsten wissen, dass neben dem normalen auch noch eine anderes London existiert. Der Schatten von London ist eine eigene Welt, in der die Wesen leben, die anders sind. Dort kümmert sich Cole um die, die aus der Reihe tanzen. Um Wesen, die...