Anouk

2 0 0
                                    

Anouk konnte sich kaum mit Ryan die Unterlagen über Brienna ansehen, als schon der nächste Todesfall angekündigt wurde. Eine weitere Leiche wurde gefunden, diesmal ein Mann mit derselben Wunde wie Brienna. 

"Mitten am Trafalgar Square?", rief Anouk ungläubig, als Ryan ihr den Ort verriet. Ryans Miene verdunkelte sich noch mehr als in den letzten Stunden. "Ich weiß. Die Presse war schon da, bevor der erste Passant den Notruf wählen konnte. Die Leute geraten noch in Panik."

Diesmal wurden mehrere Detectives auf den Fall angesetzt. Ryan sollte die Leitung übernehmen. Während sie zum Tatort fuhren, starrte Anouk nachdenklich aus dem Fenster.

Sie musste immer wieder an den alten Mann im Wohnhaus denken. Er wusste irgendetwas, das sie nicht wussten.

Die Gerichtsmedizin stellte bei diesem Opfer, Tim Harrison, fest, dass es ähnlich bei Brienna abgelaufen sein muss. "Also gibt es keine Abwehrspuren?", fragte Ryan die zuständige Medizinerin ungläubig.

Diese schüttelte den Kopf. "Es ist so seltsam. Beinahe, als hätte er den Täter gar nicht bemerkt." Anouk sah sich die Jacke des Opfers genauer an. Etwas Funkelndes hatte ihre Aufmerksamkeit eingefangen.

Auf dem roten Stoff befand sich neben den Blutflecken feiner, schwarzer Staub. Die Medizinerin schaute ihr über die Schulter. "Den haben wir bereits ins Labor geschickt. Die Ergebnisse sollten morgen da sein."

Anouk nickte und schob Ryan etwas beiseite. "Erinnerst du dich an den ersten von Briennas Nachbarn, den wir befragt haben?" Ihr Kollege schüttelte den Kopf. "Nein, was soll mit ihm sein?"

"Es ist nur so ein Gefühl, aber ich trau ihm nicht. Als hätte er uns letztens etwas verschwiegen. Ich will nochmal mit ihm reden." Ryan seufzte. "Eigentlich halte ich das für Zeitverschwendung, aber von deinen Eltern hab ich gelernt, dass man seinem Bauchgefühl vertrauen sollte. Also los, fahr schon."

Grinsend ging Anouk zum Wagen und fuhr zur Westsun Road. Sie fand die Tür des alten Mannes schnell wieder. Angespannt klopfte sie dagegen.

Niemand öffnete. "Sir?", fragte sie in der Hoffnung, dass doch jemand zu Hause war. "Hier ist Scotland Yard, bitte machen sie auf." Es war ganz still. Fast schon totenstill. Es jagte Anouk einen Schauer über den Rücken und sie legte ein Ohr an das Holz der Tür.

Nichts.

Enttäuscht wollte sie wieder gehen, als sie eine Bewegung hinter sich wahrnahm. Eine Gestalt wollte um die Ecke gehen, aber sie entdeckte Anouk und rannte davon.

Anouk lief sofort hinterher, aber als sie ihr um die Ecke folgte, war da eine Sackgasse. Nur ein etwa drei Meter langer Flur, der bloß aus Wänden bestand. Keine Türen, nicht mal eine Pflanze.

Ein Fenster, so klein dass unmöglich ein Mensch durchpassen konnte, zierte die gegenüberliegende Mauer.

Anouk wurde übel und sie fragte sich, ob sie langsam Geister sah.

Sie ließ sich nochmal alle Fakten, die sie hatte, durch den Kopf gehen.

Irgendjemand, und sie war sich fast sicher, dass es sich um denselben Täter handelte, hat zwei Menschen mit einem Schnitt über die Kehle getötet. Einen Mann und eine Frau.

Zwischen den Opfern gebt es weder eine Bekanntschaft noch sonst eine Verbindung.

Nie gab es Anzeichen für einen Einbruch bzw. einen Kampf oder Abwehrspuren. Als hätten sie bis zum letzten Moment nicht mal begriffen, dass sie in Gefahr sind. Als hätte sich jemand von hinten angeschlichen und selbst als die Klinge schon auf ihrer Haut lag, waren sie ahnungslos.

Einen Augenblick musste sie wirklich an Geister denken, eher sie über sie selbst lachte. So absurd diese Morde auch waren, es gab keine Geister oder sonst etwas in der Art. 

Gedankenverloren fuhr sie zu Scotland Yard zurück. Sie war ein wenig enttäuscht darüber, dass Ryan keinen Erfolg melden konnte, aber der war ganz in Akten vertieft.

Anouk sollte es ihm eigentlich gleichtun, aber sie konnte nur dasitzen und nachdenklich mit den Fingern auf der Platte ihres Schreibtisches trommeln. Irgendetwas passte nicht zusammen. 

Der Täter war das reinste Phantom. Es gab keine Spuren einer DNA. 

Sie merkte gar nicht, wie die Zeit verging. Erst als Ryan an ihren Schreibtisch trat und sie fragte, ob sie eine Pause gebrauchen könnte, nickte sie ergeben. Sie konnte wirklich einen Kaffee gebrauchen.

Zwischen Schatten und Licht (Anderwelten - Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt