Kapitel 6: Die Quarter-Life-Crisis

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"Heute ist ein schöner Tag um durch die Zeit zu Fliegen, findest du nicht auch, Clea? Die Sterne stehen gut, unser Tank ist voll, wir haben seit Ewigkeiten keine Aliens mehr getroffen...", freudig strahlend drehte ich mich zu meiner Schwester um, nur um dann einen leeren Stuhl vorzufinden.
"...Clea?", rief ich verwundert durch das Raumschiff. Wo ist sie denn jetzt schon wieder?
Seuftzend stemmte ich mich aus meinen Sessel und machte mich auf die Suche nach ihr. "Cleeeeaaaa?", rief ich mit schriller Stimme.
"Cleeealein!", rief ich erneut und tanzte dabei förmlich durch die Korridore des Schiffs. Wo mag sie nur stecken?
*BANG!* Ein plötzliches Geräusch zog meine Aufmerksamkeit auf sich und ich drehte mich ruckartig in die Richtung des Knalls. "CLEA!? WAS MACHST DU DA?!", rief ich schockiert, als ich sie in einiger Entfernung über mir in der Luft hängend sah, mit beiden Armen an einer Lampe festgeklammert.
"Kim! Hilfe!", rief sie und wackelte hilflos mit ihren kurzen Beinen in der Luft.
Ohne Zeit zu verlieren, eilte ich zu ihr und richtete die umgefallene Leiter wieder auf, sodass Clea schnell wieder Halt finden konnte.
"Was zur Hölle machst du hier?", fragte ich schließlich etwas verärgert.
"Ich dachte, die Decke könnte einen neuen Anstrich vertragen", antwortete sie und mein Blick fiel erst auf den mit Farbe besudelten Boden, dann auf die mit Farbe bekleckerte Clea und schließlich auf die mehr oder weniger gut mit türkiser Farbe gestrichene Decke. Ich öffnete meinen Mund, um etwas zu sagen, doch Clea unterbrach mich fix.
"Ach, das hat doch alles keinen Sinn", seufzte sie und ließ sich auf den Boden sinken.
"Nichts kann ich. Nicht einmal die Decke streichen. Außerdem sieht das scheiße aus und blättert sicher bald ab und dann? Dann ist alles beim Alten."
Ich schaute sie verwirrt an und setzte mich zu ihr runter auf den Boden. "Also erstens: Ja, das sieht scheiße aus, aber ich glaube nicht, dass das so schnell abblättert und zweitens... sagst du das, als wäre es so schlimm, wenn alles beim Alten bliebe. Was ist denn los, Clea?"

Ich sah sie an und Clea schaute auf den Boden. "Ich weiß doch auch nicht. In letzter Zeit nervt mich einfach nur noch alles. Unsere Missionen, das Schiff... mein Leben und auch ich selbst."
Mein Ärger über das Chaos, das sie angerichtet hatte, verpuffte mit einem Mal. Clea ging es offensichtlich nicht gut und als gute Schwester fühlte ich mich dazu verpflichtet, dies zu ändern. Sanft legte ich meine Hand auf ihre Schultern. "Unser Leben mag nicht perfekt sein, aber du bist die beste Clea, die ich kenne."
Clea schwieg einen Moment, dann seufzte sie. "Es ist klar, dass du das sagst. Du bist ja auch meine Schwester. Ich wäre nur manchmal gerne weniger Clea und mehr... weiß nicht... anders eben"
Ich überlegte kurz, was ich darauf antworten könnte, als mir eine Idee kam. "Du willst gar nicht anders sein und ich weiß auch schon, wie ich dir das beweisen kann!", rief ich, von meiner eigenen Idee überrascht und sprang sofort auf, um zum Bordcomputer zu rennen.
"Mach dich bereit für einen Trip in ein paar kleine Paralleluniversen, Schwesterherz. Du wirst dich lieben, wenn du erst einmal andere Versionen von dir siehst.", rief ich ihr zu, während ich die Daten zur Reise in den Computer eintippte.

Rock'n'Rowdy

Clea schien nicht so gespannt darauf, ihre anderen Versionen zu kennen zu lernen, ich dagegen brannte förmlich darauf, ihr zu zeigen, wie toll sie eigentlich war, indem ich ihr vor Augen führte, was sonst aus ihr hätte werden können.
"Wir sind da, Clea! Wir sind da!", rief ich und hüpfte aufgeregt vor der Tür herum. "Mach schnell auf!"
Clea verdrehte nur die Augen und betätigte dann den Hebel, um die Tür zu öffnen.
Noch bevor die Tür vollständig offen war, dröhnte eine ohrenbetäubend laute Musik in das innere des Raumschiffs und eine ekelerregende, klebrige Flüssigkeit versiffte den Eingangsbereich des Raumschiffs.
"Ey, pass doch auf!", rief ein Erdling.
"Klappe, du Vogel!", antwortete ein anderer.
Clea und ich schauten uns fragend an, als eine bekannte Stimme aus riesigen Lautsprechern erklang.
Ich dachte, ich würde träumen, als ich Clea auf einer riesigen Bühne sah. Mit einer Gitarre in der Hand und einer ziemlich gewöhnungsbedürftigen Frisur, die wie eine Art Vokuhila aussah.
"Hey, wir sind Turquoise'n'Trash und wir werden euch die nächsten paar Stunden die Ärsche abrocken! Seid ihr bereit?!"
Die Menge tobte und Clea fing an, mit ihren Fingern über das Griffbrett zu fliegen und die Saiten zu vergewaltigen.
"Lass uns abhauen!", schrie Clea sichtlich verstört von ihrem Parallel-Ich, doch ich schüttelte vehement den Kopf.
"Nein! Ich will, dass du mit ihr redest!", schrie ich zurück und zerrte sie an der Hand in Richtung Bühne.
Dort angekommen, mussten wir natürlich erst an die Security vorbei.
"Hallo, großer Security-Mensch. Mein Name ist Kim und das is-", wurde ich unterbrochen.
"Kein Durchgang!", rief er, ohne mich auch nur anzuschauen.
"Hey! Schauen sie doch mal auf meine Schwester! Fällt Ihnen denn keinerlei Ähnlichkeiten auf?!", forderte ich ihn auf.
Der Mann warf einen sehr kurzen Blick auf Clea. Doch dieser genügte, dass ihm fast die Augen ausfielen.
"Oh mein Gott! Ich wusste ja gar nicht, das Cee eine Zwillingsschwester hat?!", stellte er erstaunt fest. "Kommt schnell, ich bring euch hinter die Bühne!"
Gesagt - getan. Und schon standen wir im Backstage-Bereich und warteten darauf, dass das Konzert vorbei war.
"Cee?", sagte Clea schließlich. "Was für ein bescheuerter Spitzname. Ich frag mich, was bei mir falsch gelaufen ist."
Ich verkniff mir jeglichen Kommentar. Eigentlich fand ich den Spitznamen ganz schön und hatte vor, sie von nun an so zu nennen, doch da er ihr nicht gefiel, musste ich diese Idee wohl oder übel verwerfen.
"Ey yo, Cee! Geiles Konzert, ey! Wie du die Saiten gezupft hast und so! Echt klasse!", rief plötzlich eine ebenfalls recht bekannte Stimme hinter uns. Wir drehten uns um und erblickten eine Parallel-Kim mit einer ziemlich dicken und hässlichen Brille und einem mit einer weißen Substanz bekleckerten kackbraunen Pulli.
"Das kann ich nicht sein", hauchte ich ungläubig und endlich schien Cleas Lächeln zurückzukehren.
"Doch, doch, das bist du", stellte sie zufrieden fest. Ihr schien mein Gesichtsausdruck sehr zu gefallen.
"Gezupft?!", schrie Parallel-Clea verärgert. "Was meinst du mit 'gezupft'? Willst du mich eigentlich verarschen? Ich hab das Ding von vorne bis hinten gerockt, die Saiten... zerstört!" Wütend drängte sie Parallel-Kim in eine Ecke und starrte sie böse an.
"Genau genommen, hast du sie nicht zerstört. Sie sind noch intakt", entgegnete Parallel-Kim nervös und rückte ihre Brille zurecht.
Wut stieg in Parallel-Clea auf und sie riss sich die Gitarre vom Rücken.
"Siehst du das, Schwesterherz?!", fragte sie und hielt ihr die Gitarre vor die Nase. "DAS ist intakt!", sagte sie und fing mit einem Mal an, die Gitarre mit einer großen Wucht auf den Boden zu schlagen. KLING! KLANG! KRRUNG! Sie bearbeitete sie, bis sie keine Töne mehr von sich gab und in zwei Teile zerbrochen war. Tobend vor Wut hielt sie sie erneut in Parallel-Kims Gesicht.
"Und DAS! DAS ist zerstört!" Mit einem dumpfen Knall landete die Gitarre in einer Ecke "Und jetzt geh! Du bist mir peinlich!"
Mit großen Augen hatten Clea und Kim das Spektakel beobachtet und sahen sich nun ziemlich verängstigt an.
"Wir müssen schnell weg!", sagte Clea und drehte sich von ihrer Rocker-Version ab, um nicht entdeckt zu werden.
"Aber sowas von!", stimmte ich zu und kramte in meiner Tasche nach meinem Notfall-Beamer.
"Ah, da hab ich ihn", sagte ich und griff nach Cleas Arm. "3...2...1...", ich drückte den Knopf und schloss die Augen. Als ich sie wieder öffnete, befanden wir uns wieder im sicheren Schiff.
"Das war...", fing Clea an.
"... verstörend", beendete ich ihren Satz und wir beide nickten.

VVV Clea

"Kim, ich will das wirklich nicht nochmal", beklagte sich Clea. "Du hast doch schon dein Ziel erreicht. Ich bin schon ganz froh, ich zu sein und nicht diese komische Rocker-Clea".
"Och, komm schon. Noch ein Mal! Das wird bestimmt lustig!", redete ich auf sie ein.
Clea stöhnte genervt. "Na gut, aber nimm deinen Notfall-Beamer wieder mit."
Ich rieb mir die Hände und zog an den Hebel zur Öffnung der Tür.
"Ich bin froh, dass du das so siehst. Wir sind nämlich schon da!", sagte ich und bemühte mich um eine ernste Miene.
"Ich... wir... wann? KIM!", fing Clea an, doch bevor sie mir ihre Vorwürfen an den Kopf werfen konnte, war ich auch schon an ihr vorbei gerannt. "Wer zuerst bei Parallel-Clea ist!", rief ich halb lachend, halb keuchend.

Wenig später

"Fleisch ist schlecht! Milchprodukte auch!", schallte es plötzlich über den Platz, als wir gerade dabei waren, den Ort zu untersuchen.
"... und von Eiern wollen wir gar nicht erst anfangen!" Wir drehten uns zur Geräuschquelle um und unsere Augen fanden eine Clea, die in einem Sakko aus Jutebeuteln hinter einem Rednerpult stand. Hinter ihr ein Banner mit der Aufschrift: "Versammlung der Vorzeige-Veganer"
"Doch was bleibt uns, wenn all das schlecht ist?
Meine Freunde! Es wird Zeit der Redewendung 'Jetzt haben wir den Salat', ein neues Image zu verleihen:
Wir. Haben. Den. SALAAAAAT!"
Die Menge tobte. Clea und ich hielten uns die Bäuche vor Lachen.
"Ok, ok", prustete Clea hervor und wischte sich eine Träne aus dem Auge. "Das wird mir hier zu abgedreht. Ich hab genug gesehen."
"Wollen wir uns nicht noch ein paar Jutebeutel mitnehmen? Wir könnten dir daraus ein schönes Kleidchen ba-"
"NEIN!", unterbrach mich Clea und griff sehr entschlossen und plötzlich nicht mehr lachend in meine Tasche. Eh ich mich versah, drückte sie auf den Notfall-Beamer und wir befanden uns wieder im Raumschiff.
"Schade", sagte ich enttäuscht. "Ich hätte mich gerne mit VVV-Clea unterhalten", gab ich grinsend zum Besten.
"Der was, bitte?", fragte Clea.
"Der Vorsitzenden der Vorzeige-Veganer", antwortete ich und biss mir auf die Zunge, um nicht in Gelächter auszubrechen.
Clea schüttelte den Kopf. "Das wird mich noch einige Zeit verfolgen, oder?", fragte sie mich resigniert und als gute Schwester sah ich mich dazu verpflichtet, diese Frage zu bejahen.

Clea und Kim - Abenteuer durch Zeit und RaumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt