16. November 2018

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Ich packe meine Sachen zusammen und lasse meinen Stift gerade ins Federpennal fallen, als ich ein Kichern vernehme. Normalerweise würde ich solche Laute ignorieren, beziehungsweise nicht einmal wahrnehmen, doch Dinge sind schwierig zu ignorieren, wenn sie direkt neben dir passieren. Das ist hier der Fall. Das Schrille, viel zu laute Kichern ist ein Laut direkt neben meinem Ohr. Ich schaue in die Richtung des Geräusches und blicke in das Gesicht einer Klassenkameradin. Pamela MacDarlon. Die Tochter des reichsten Mannes der Stadt. Beliebt, humorvoll und atemberaubend schön. Zumindest sagt das jeder über sie. Ich hatte mir nie die zeit genommen, Pamela oder Pam, wie sie jeder nannte, zu beobachten. Auch sie hatte nur Anfangs Interesse an mir gezeigt. Als sie merkte, dass sie auf Granit biss, hatte sich „Pam" relativ schnell aus meinem Blickfeld verzogen. „Haiiiiii." Ihre Stimme war wirklich kriminell hoch. Leidend verziehe ich meinen Mund. „Du warst ja jetzt eeewig weg. Was hast du denn in der Zeit so getrieben?" Ich seufze. Pamela weiß genau, was ich in der Zeit getrieben habe beziehungsweise warum ich nicht in der Schule war. Aber anscheinend war sie einer dieser Menschen, denen der persönliche Freiraum ein Fremdwort war, das sie sich nie merken würden. Also öffne ich meinen Mund um ihr eine Antwort zu geben, die ihr eh schon bekannt ist. „Ich war im Krankenhaus Pamela. Mir ging es nicht gut." Pamela lacht kokett und tätschelt mit ihren schlanken Fingern meinen Arm. „Also stimmen die Gerüchte. Danke Anthony." Immer noch laut kichernd verlässt sie das Klassenzimmer und lässt mich alleine. Halleluja. Ich sammle mein restliches Zeug zusammen und gehe zur Tür. Vor dem Öffnen hole ich kurz Luft. Neuer Anfang. Neues Leben. Neues ich. Dieser Vorsatz geht gleich vor der Türe flöten. Es ist, als würde die komplette Schule ihr Sein unterbrechen, nur um mich anzustarren. Notiz: Anthony Libyer verlässt das Klassenzimmer. Mich mustern mehrere tausend Augenpaare. Besser gesagt sie durchbohren mich. Ich halte den Kopf hoch und stelle mich gerade hin um es allen zu zeigen. Eigentlich ist das eine Lüge. Ich denke, dass es dadurch besser wird, doch es scheint nicht so. Ich frage mich, ob es früher auch schon so war. Früher, mit Wes. Hatte ich es damals einfach nicht bemerkt, dass uns alle anstarren oder hatte ich es ignoriert, weil Wes mir sagte, dass die Meinungen der Anderen egal sind? Ich schließe meinen Spind auf und werde von gefühlt tausend Zetteln weggeflutet. Sie fallen mir entgegen und verteilen sich am Boden. Sie haben sich über die Zeit, in der ich mir einen Spind mit Wes teilte wohl angesammelt, da irgendwer mein Schließfach als Mülleimer verwendet hat. Die Motivation, alle diese Zettel zu lesen und zu sortieren fehlt mir. Generell fehlt mir die Motivation für alles. Schule... Lehrer... nervige Schü- „ER KOMMT!" Ach? Ist das ein Grund, meinen Gedankengang zu unterbrechen? Wer kommt? Ich hebe gelangweilt meinen Kopf und bereue es just in dem Moment, dies getan zu haben. Er. Magnus Hamilton. Ich bedauere die Tatsache, dass er den gleichen Namen trägt wie einer unserer Gründerväter bis heute. Dank ihm habe ich die Lust an dem wundervollen Musical von Lin Manuel Miranda verloren. Dank ihm habe ich alles verloren. Dieses hübsche Gesicht. Die wunderschön schwarzen, bodenlosen Augen. Die perfekt geschwungenen Lippen. Das leichte Lächeln, das sie umspielt. Die rabenschwarzen Haare, die er zurückgebunden hat. Die Alabasterhaut. Das war Magnus. Es war kein Wunder, warum ihn alle Mädchen anhimmelten und jeden Quadratmeter verehrten, auf dem er ging. Doch hinter diesem atemberaubenden Lächeln steckt ein Teufel. Ich wende den Blick ab und widme mich den Zetteln auf dem Boden. Plötzlich hat mich dann doch eine Lust überkommen, sie alphabetisch und in chronologischer Reihenfolge zu ordnen. Innerlich konvertiere ich vom Atheismus zum Christentum und bete alle verfickten Heiligen an, sie mögen diesen Teufel vorbei gehen lassen. „Na, schau mal an." Verdammt! Ich weiß schon, warum ich nicht gläubig bin. Mit einem gequälten Lächeln hebe ich den Kopf und blicke in Magnus' wunderschöne Augen. Ich stoße leise einen Fluch aus und stehe auf. Es ist nicht gut, vor Magnus zu knien. Dies gab nämlich mehrmals unschöne Flecken an der Wand. Ich wiederstehe dem Drang ihm den Zettelpack ins Gesicht zu werfen und so schnell weg zu sprinten, dass dies Usain Bolt alt aussehen lassen würde, doch zu meinem Leiden, sind Magnus Beine länger als meine. Somit bleibe ich wie angewurzelt stehen und versuche mir einen möglichst lässigen Spruch einfallen zu lassen. „Magnus. Schö- schö- öh Hast du dir die Haare gebleicht?" Dieser Spruch war zwar nicht lässig aber er erzielt dennoch Effekt. Magnus schaut pikiert auf mich runter und zieht die Augenbraue hoch. Die Mädchen, die um ihn herumwuseln, wie Bienen um ihre Königin blinzeln verwirrt, da ihr Angebeteter ihnen nicht zeigt, ob sie lachen oder mich mit wütenden Blicken erstechen sollten. Dieser rührt sich nun endlich und lacht leicht. Dann beugt er sich zu mir vor und murmelt „Heute 1700 übliche Stelle. Ich möchte dir-" Der Rest seines Satzes geht in dem Gekicher des Mädchenschwarms um ihn herum unter, doch dies scheint ihm nicht bewusst zu sein. Mit einem letzten Lächeln in meine Richtung geht er den Gang runter.

Ich lehne mich gegen die Wand. Es war dumm hierher zu kommen. Sehr dumm. Regen prasselt auf meine Haut und durchnässt meine Kleidung. 15 Minuten. Wenn er schon eine genaue Zeit gibt, sollte er pünktlich erscheinen. Aber nein. Vermutlich hat er auch gewusst, dass es regnet. Ich nieße. Na toll. Eine Erkältung ist das Letzte, was ich brauche. Ich wische mir mit dem Ärmel flüchtig über die Nase und schaue auf die Uhr. 20 Minuten. Gerade als ich mit mir selbst vereinbare, noch genau 5 Minuten zu warten, um dann wegzulaufen um mit einem gefälschten Pass in ein anderes Land zu fliehen, taucht er auf. „Hey." Mein Mund war momentan wohl das einzige, das nicht vom Regen durchtränkt worden war. Ich hebe leicht den Kopf um Magnus in sein Gesicht zu blicken, als er die Hand ausstreckt. Ich weiche zurück, doch zu meinem Unglück löst sich der Verband von meinem Hals und fällt wie Fügung des Schicksals genau in Magnus Hand. Dies ist also Karma. Magnus mustert wortlos den Verband um dann mit seinem Blick über meinen ganzen Körper zu schweifen. Unwohl trete ich von einem Fuß auf den anderen. Kann ich nicht einfach... Mein Gegenüber zieht leicht am Verband. Nicht? Gut. Gut. Okay. Dann bleibe ich halt stehen wie ein gelähmtes, grenzdebiles Huhn. „Wesley war ein großartiger Mensch." Warte... was?! „Wie bitte?! Damit kommst du jetzt?! Lass den sch-" Ich schnappe nach Luft als Magnus am Verband reißt und mich somit näher zu sich befördert. „Aw. Da kann mein kleines Vögelchen ja doch aufmüpfig werden." Vogel. Wie ich diesen Spitznamen hasse. Das, was ihn mir eingebracht hatte, ist längst weg. Ich hatte meine Haare von Pastell rosa auf dunkelbraun umgefärbt. Meine Nägel, die früher in allen Farben gestrahlt hatten, waren nun kurzgehalten und farblos. Ich trug seit einiger Zeit nur noch unauffällige Farben. Ich schnaubte. „Hör auf mich so zu nennen. Ich bin kein Vogel. Und vor allem bin ich nicht dein Vogel!" Tränen treten mir in die Augen, was vermutlich daran liegt, dass der Verband mich würgt. Magnus verzieht die Lippen zu einem abwertenden Lächeln. „Oh doch. Du bist ein Vogel. Und weißt du warum?" Langsam beugt er sich vor. Ich spüre seinen Atem an meinem Ohr. „Vögel sind dumm. Sie folgen jedem, von dem sie einmal Körner bekommen. Weißt du warum Wesley tot ist kleiner?" Mir rinnen die Tränen über die Wangen. Der Regen tropft mir in die abgetragenen Turnschuhe. In mir breitet sich wieder diese Leere aus. „Er tat das auch. Nur war er kein Vogel, sondern ein Huhn." Triumphierend geht Magnus einen Schritt zurück. „Denn er konnte im Gegensatz zu dir nicht fliegen." Ich sehe meinem Gegenüber in die Augen. Diese bodenlosen, schwarzen Augen. „Du Monster." Anfangs sind diese Worte nicht mehr als ein Hauchen, das meinen Mund verlässt. „Du Monster! Bleib weg von mir!" Ich stoße ihn einige Meter weg und beginne dann zu laufen. Der Regen rinnt mir in die Augen und nimmt mir die Sicht, doch ich laufe weiter. Meine Beine schmerzen und meine Lunge brennt. Bald erreiche ich die Hauptstraße. Ich laufe weiter, immer weiter, bis ich mir sicher bin, dass er nicht mehr hinter mir ist. „Monster." Ich falle auf die Knie und halte mir die Hände vor die Augen. Der Regen hat aufgehört. Die Wolken lichten sich. Die letzten Regentropfen rinnen von den Laternen auf die Straße. Zusammen bilden sie eine rhythmische Melodie. „tropf, tropf, tropf, tropf..."

Ich wäre nicht gesprungen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt