„tropf, tropf, tropf, tropf..." Ich halte mein Gesicht dem Himmel entgegen und lächle. Ich liebe Regen. Wes tut es mir gleich. Wir versuchen Tropfen mit unsren Zungen aufzufangen. Dies ist eine Tradition seit wir Kinder sind. „Ich kann schon den Schnee riechen." Wesleys Worte reißen mich aus meinen Gedanken. Ich schaue zu ihm und lache. „Einbildung soll wohl auch eine Bildung sein." Ich werde als Antwort in die Seite geboxt. Es stimmt. Schnee liegt in der Luft. Ich freue mich nicht wirklich darauf. Beschlagene Brillen, ein dauernd nachzufärbender Ansatz und dicke Winterjacken die einem die Bewegungsfreiheit rauben. Ich gähne und lasse mich von meinem Freund weiterziehen, der geradewegs auf die Schule zusteuert. Er lässt ein fröhliches Lachen erklingen und stößt die Schultür auf. „Möge ein weiterer Tag voller Folter beginnen." Dabei reibt sich dieser kleine Masochist die Hände. Ich muss schmunzeln. Es heißt, dass man nach einiger Zeit genug von gewissen Personen hat. Dies ist bei Wesley und mir anscheinend nicht der Fall. Ich kenne diese kleine Nervensäge seit eigentlich immer. Mit ihm habe ich meine ersten Zähne bekommen und mit ihm war ich im Kindergarten. Wir sind auf die gleiche Vorschule gegangen und wurden zusammen eingeschult. Wir saßen zusammen seit ich denken konnte und es war okay für mich. Mehr als okay. Der Typ mit seinen seltsamen kleinen Angewohnheiten war mir ans Herz gewachsen. Er hatte mir beigestanden, als ich mich geoutet hatte und mir meine Haare in einem Pastell rosa gefärbt, ohne ein Wort darüber zu verlieren, dass es so „klischeehaft" sei. Er schenkte mir meinen ersten Nagellack und erklärte mir, während er Popcorn in sich reinstopfte, dass sowas voll normal für schwule Typen sei. Er hatte mir geholfen mich zu finden. Meine Nägel waren immer farbig, genau wie meine Haare. Alles in Allem: Ich liebe Wes. Wie einen Bruder natürlich. Ein lautes Räuspern neben mir unterbricht meine Gedanken. Wes schließt seinen Spind auf und fährt sich kurz durch die Haare. Ich öffne ebenfalls mein Schließfach um deprimiert meinen Kopf hinein fallen zu lassen. „Ich will nihihiiicht." Selbstverständlich bekomme ich kein Mitleid von Wesley. Gefühlslose sau. Ich nehme meinen Kopf aus dem Spind um meine Brille zu schonen. Würde sie brechen, würde mich meine Mutter erwürgen, denn es wäre die 6. dieses Jahrs. Ich betrachte mich in dem kitschigen Spiegel, den Wesley auf seinen Spind gehängt hat. Er hat mir dies mit einem kleinen Spruch erklärt, den er nun auch mit Edding geschrieben unter dem Spiegel steht: Siehst du dich? Ja. Ich dich auch. Also bitte. Erspar mir Augenkrebs und verzieh dich von meinem Spind. Ich fand den Spruch anfangs etwas unnötig, doch es erzielt seinen Effekt. Jeder hält sich von Wesley und seinem Spind weg. Ich vermeide es, mich in Spiegeln anzusehen. Laut meiner Mutter ist das eitel. Außerdem macht es nicht viel Sinn, da ich eh immer gleich aussehe. Ein feines Gesicht, eine Nase, die Sommersprossen zieren. Pastellrosane Haare, die verwuschelt auf meinem Kopf sitzen. Ich habe den Kampf gegen meine Haare aufgegeben und mich ihrem eigenen Willen gebeugt. Kann halt nicht jeder Mensch der Herr seines Haupthaares sein. Hinter meiner runden Brille liegen meine Augen. Ich mochte sie Anfangs nicht, da sie zwei unterschiedlicher Farben sind. Doch dank Wesley habe ich mich damit angefreundet. Meinen Hals ziert ein schwarzer Joker. Wenn ich in eine Schwulenbar gehe, werde ich sofort von allen Seiten angegraben. Nicht dass mir dies nicht gefallen würde, doch Wes deprimiert es teilweise, da niemand seinen wunderbaren Liedstrich bemerkt. Er ist etwas eitel, doch darüber kann man hinwegsehen. Genau wie über mich. Mit einer Größe von 1.64 gehöre ich nicht zu den Riesen dieser Schule. Wes lehnt sich lässig auf meine Schulter und winkt einem Mädchen zu. „Hey Lydia." Sein Lächeln fällt ihm aus dem Gesicht, als sie ihm einen angewiderten Blick zuwirft. Er seufzt und stiert ihr unverhohlen auf den Hintern. „OH MEIN GOTT!!" Falls ich mal ein Hörgerät brauchen sollte, ist mir der Grund bekannt. Da Mädchen dazu neigen, mir in mein armes Ohr zu kreischen. Au. Und dann sehe ich den Grund des Gekreisches. Ein Typ. Was denn sonst? Es gibt nichts, was die Hormone eines pubertierenden Mädchens so in Wallung bringen kann, wie ein Vorreiter des männlichen Geschlechts. Schwarze Haare, schwarze Augen, Haut, die ihm etwas Mystisches gibt. Ja er ist ganz hübsch aber absolut nicht mein Typ. Gut, das ist vielleicht etwas gelogen. Aber ich kann mich nicht den tausend anderen Schülern anschließen. Selbst Wes sieht so aus, als würde er gleich sabbern. Ich stupse ihm leicht in die Wange. „Oi. Lebt es?" Anscheinend nicht, denn das Wesen neben mir zeigt keine Reaktion und stiert weiterhin den Neuzugang an. Ich trete Wesley gegens Schienbein und er kreischt äußerst unmännlich auf. „Au!" Ich werde mit einem wütenden Blick bedacht und dann widmet sich der Mensch neben mir wieder seiner neusten Entdeckung. „Wer glaubst du ist das?" Ich mustere den Typen, der anscheinend das unglückliche Los vom Spind neben der Tür des Lehrerzimmers gezogen hat und zucke die Schultern. „Keine Ahnu-" Wes fällt mir unhöflicherweise ins Wort. Doch nicht nur das. Er beginnt von dem neuen Typen zu schwärmen, als wäre er das schönste Lebewesen, das jemals unter der Sonne gewandelt sei. Normalerweise konnte ich mir solche Loblieder über Lydia anhören, doch anscheinend hatte mein Freund soeben sein Beuteschema um 180 Grad gewandt. Willkommen auf der Seite des Regenbogens. Ich muss über meinen Gedanken schmunzeln. Dann reißt mich die erbarmungslose Glocke mit ihrem Leuten zum Stundenbeginn aus den Gedanken. Flüchtig winke ich dem immer noch sabbernden Wesley zu und verziehe mich in meine Klasse. Dort lasse ich mich auf meinen Platz hinten in der Ecke fallen. Französisch war das einzige Fach, das ich nicht mit Wes teilte. Doch mir lag diese Sprache eben mehr als russisch oder spanisch. Seufzend ziehe ich einen Stift und einen Block aus meiner Schultasche und gähne. 8 Uhr war wirklich eine unmenschliche Zeit und es war grausam, von Schülern zu erwarten, dass sie um diese Zeit in der Lage waren, ihre Gehirnzellen zu verwenden. Natürlich impliziert diese Aussage, dass man Gehirnzellen hat, was bei MacBroady, der gerade einen Penis auf die Tafel schmierte, anscheinend nicht der Fall war. Ein weiteres Gähnen verlässt meinen Mund. Die Klingel schrillt zum zweiten Mal und bringt auch die letzten Schüler dazu, in ihren Klassen zu verschwinden. Die Lehrerin stellt sich vor die Tafel und beginnt uns in Französisch vollzuschwafeln. Mir ist nicht genau klar, was sie gerade redet, da sie für meinen Geschmack viel zu schnell spricht. Da es mir nicht als einziger so geht, bemerkt sie bald die fragenden Blicke auf Seiten der Schüler und wechselt höflicherweise ins Englische. „Wir haben einen neuen Schüler. Er kommt aus Frankreich und wird hoffentlich bis zum Schulende bei uns bleiben." Ach, deswegen ist die so euphorisch. Sobald Lehrer jemanden wittern, der die Sprache ihres Faches fließend sprechen oder sich anderwärtig übermäßig an ihrem Unterrichtsfach interessieren könnte, werden sie zu aufgescheuchten Hühnern mit Dauergrinsen. Zurück zum neuen Schüler. Dieser steht nun neben der Lehrerin und wirft einen Blick in die Klasse. Wie ich zu meiner Unzufriedenheit feststellen muss, ist es Mr. Alle-starren-mich-im-Gang-an. Es stimmt. Solchen Leuten gegenüber bin ich prinzipiell voreingenommen. Doch diese Typen wissen meistens, dass sie gut aussehen. „Such dir doch einen Platz." Die Stimme der Lehrerin ist meiner Meinung nach 3 Oktaven zu hoch und viel zu süß. Wenn ich dieser Schüler wäre, wäre ich schon längst aus dem Raum gerannt und wäre auf nimmer wieder sehen von der Bildfläche dieser Schreckschraube verschwunden. Doch Mr. Good-looking lächelt höflich, lässt ein leises „Merci" erklingen und geht durch die Klasse. Fast alle Leute, neben denen ein Platz frei ist, reißen parallel ihr Zeug von dem unbesetzten Stuhl um dem neuen Augenschmaus Platz zu schaffen. Doch Dieser ignoriert gekonnt alle Plätze und stellt sich neben den Stuhl, den er wohl zu seinem Thron auserkoren hat. Meinem. „Dürfte ich?" Ich werde zuckersüß angelächelt. Und einen kurzen Moment wäge ich tatsächlich ab, dem Typen meinen freien Stuhl freiwillig zu überlassen. Doch leider ist die Tatsache, einen Platz zu haben, um darauf sein Zeug abzulegen viel reizender als einen Schönling neben mir sitzen zu haben, der die Aufmerksamkeit der Lehrerin zu mir zurückverlegt. Ich hebe den Blick und schüttle mit einem ebenso süßen Lächeln den Kopf. Nein mein Herr, dies ist mein Platz und ich werde ihn nur hergeben, wenn sich Orlando Bloom persönlich in diese Schule bewegt. Scheinbar teilt die Französisch Lehrerin diesen Gedankengang nicht mit mir und versteht nicht, warum ich ihren neuen Liebling nicht bei mir aufnehmen will. Somit werde ich durch einen tadelnden Blick dazu gezwungen, meine Jacke und meinen Rucksack vom Stuhl zu entfernen damit sich der werte Herr darauf niederlassen kann. „Merci." Dieses Merci kann der sich dahin stecken, wo die Sonne nicht hin scheint. Reicht, dass Wes diesem Typ nachgeifert.
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Ich wäre nicht gesprungen.
Teen FictionAnthony ist 17 Jahre alt, hat den besten Freund der Welt und ist durchaus glücklich mit seinem Leben. Zumindest war er das. Vor dem Absturz, der ihm im wahrsten Sinne des Wortes Wes geraubt hat. Jetzt muss sich Anthony jeden Tag alleine den Blicken...