Willow

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Kindheitserinnerungen sind etwas schönes, sie werden durch Gerüche, Klänge, oder Gegenstände wachgerufen und wecken das Kind in einem. Man fühlt sich plötzlich wieder in diese Zeit zurückversetzt und der ganze Körper ist von Glücksgefühlen erfüllt. Als ich heute Morgen um sieben das Krankenhaus betreten habe, schlug mir der Duft nach Desinfektionsmittel entgegen und ich sehnte mich nach meiner gewohnten Umgebung.

Doch ich kann keinen Rückzieher machen, denn es geht um meinen Vater, der ohne mein Knochenmark sterben wird. Zu wissen, dass ich sein Leben somit in meinen Händen halte, ist eine schwere Bürde, dessen Ausmass mir erst heute so richtig bewusst wird. Wie gerne wäre ich jetzt im Gerichtssaal und würde Hernandez in den Boden stampfen, doch das müssen Bishop und die anderen für mich erledigen. Wir konnten gestern einen kleinen Durchbruch erzielen, in dem wir den Zeugen ziemlich in die Mangel nehmen konnten, der behauptete, die Drogen an der Schule des acht jährigen Schülers verkauft zu haben.

Doch ich glaube ihm das nicht, er steht unter enormen Druck, deshalb hielt er unseren Fragen nicht stand. Das wir es unter Ausschluss der Öffentlichkeit machen mussten, war für den Zeugen zwar gut, doch ich hätte zu gerne Hernandez Blick gesehen, als der junge Mann sich immer mehr in Widersprüche verstrickt hat. Heute sollen unsere Zeugen aussagen, dass ich nicht dabei sein kann ist schwer für mich, aber mein Vater geht vor und das versteht sogar Bennet, was mich überrascht hat. Aber er hat selbst seinen kranken Vater bis zum Tode gepflegt, vielleicht weiss er deshalb wie wichtig mir das heute ist.

„Wie geht's dir? Bist du nervös?", fragt Dex und küsst meine Hand, die er mit seiner umschlossen hält. Ich lächle und schüttle den Kopf, streichle ihm über die Wange und betrachte ihn. Seitdem ich ihm das mit Ortiz gesagt habe, geht es mir besser. Es ist, als wäre eine weitere Last von meinen Schultern gefallen, und das mich Dex nicht dafür verurteilt was ich damals getan habe, erleichtert mich am meisten. Denn das hätte ich nicht ertragen und vor dem habe ich mich am meisten gefürchtet. Das die rothaarige Frau seine Ex ist, hat mich zwar im ersten Moment getroffen, doch ich weiss, dass er mich liebt. Das er mir ihren Besuch verheimlicht hat, war nicht gut, aber er wollte mich damit nicht belasten und deshalb habe ich ihm verziehen. Immerhin war ich ja auch nicht ganz ehrlich zu ihm, doch jetzt stehen keine Geheimnisse mehr zwischen uns.

„Wir wären dann soweit", erklingt auf einmal die Stimme der Krankenschwester. Dex schaut zuerst zu ihr und dann wieder zu mir. Er umklammert meine Hand etwas fester und scheint Angst zu haben, doch dass muss er nicht.

„In einer Stunde bin ich wieder bei dir", flüstere ich deshalb und drehe den Kopf zu ihm. Seine braunen Tiefen suchen meinen Blick und als er kurz lächelt, streichle ich über sein Kinn. Spüre die Stoppeln unter meinen Fingern und hebe den Kopf, um ihm zu küssen. Seine Lippen sind warm und weich und wollen meine gar nicht mehr loslassen.

„Ich liebe dich", flüstert er gegen meine Lippen und löst sich leicht ausser Atem von mir. Ich lächle ihn an und nicke der Schwester zu, die ans Bett herantritt und die Bremsen löst.

„Ich liebe dich auch", sage ich und sehe zu, wie sich unsere Hände von einander lösen, bis sich nur noch unsere Fingerspitzen berühren. Als sie mich aus dem Raum schiebt, schaue ich solange ich kann in Dex Augen, doch irgendwann verschwinden sie aus meinem Blickfeld und ich atme hörbar aus.

„Kommt Ihr Lebensgefährte nicht mit?", fragt mich die Schwester ruhig. Ich schüttle den Kopf.

„Es ist besser so", antworte ich und beisse mir auf die Lippen, um die Tränen daran zu hindern, über meine Wangen zu fliessen und meine wahren Gefühle zu offenbaren.

„Abschiede sind immer schwer, aber es wird alles gut gehen", sagt sie und ich nicke, versuche die aufkeimende Nervosität runter zu spielen, doch das funktioniert immer weniger. Denn je mehr wir uns dem Vorbereitungsraum des Operationssaals nähern, desto schlimmer wird's. Die Operation wird etwa eine Stunde dauern, die ich in Vollnarkose verbringen werde. Denn die Knochenmarksentnahme am Becken ist sehr schmerzhaft und anders gar nicht machbar. Danach muss ich mindestens eine Nacht zu Überwachung bleiben, doch ich weiss nicht ob ich das aushalte. Denn für mich haben Krankenhäuser nichts Gutes an sich, auch wenn sie hier den Menschen helfen, endet es doch meistens in einem Bad aus Schmerzen und Tränen.

Electric Hearts verliebe dich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt