Dex

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Die Sonne geht gerade auf, als ich mich aus Willows Armen schäle und mich auf die Bettkante setze. Meine nackten Füsse berühren den Boden und ich geniesse die Kälte, die durch die Sohlen in meinen Körper kriecht. Müde reibe ich mir übers Gesicht und atme tief ein und wieder aus, drehe den Kopf so das ich Willow beim Schlafen betrachten kann und wünschte mir, mich wieder hinlegen zu können und gemeinsam mit ihr aufzuwachen.

Doch ich muss zur Arbeit, also reisse ich mich von ihrem bezaubernden Anblick los und stehe auf, husche so leise ich kann ins Badezimmer und wasche mir das Gesicht und putze mir anschliessend die Zähne. Als ich mich im Spiegel betrachte beschleicht mich das Gefühl, dass heute etwas seltsames passieren wird. Keine Ahnung woher dieser Gedanke auf einmal kommt, oder besser gesagt dieses Gefühl, doch es ist da und will nicht weggehen. Kopfschüttelnd gehe ich in die Küche und mache mir einen Kaffee, mehr kriege ich heute nicht runter. Denn auch mein Magen fühlt sich so an, als würde er aus einem grossen Knoten bestehen.

Ich werfe einen Blick auf die Uhr und stelle frustriert fest, dass ich nur noch fünfzehn Minuten habe. Also lehne ich mich mit der Tasse in der Hand gegen die Küchenzeile und trinke meinen Kaffee, dabei geniesse ich die Stille, die um halb sechs Uhr morgens noch anhält. Bald wird es wieder laut und hektisch zugehen, jeder wird mit dem Handy am Ohr herumrennen und anderen Anweisungen geben, oder Befehle entgegennehmen und diese danach wie ein Roboter ausführen. Völlig mechanisch und ohne das Gefühl etwas sinnvolles zu tun. Manchmal möchte ich aus diesem Teufelskreis ausbrechen, mich vollkommen frei und unabhängig fühlen.

Doch das ist leichter gesagt als getan, denn man braucht Geld um zu überleben, um die Miete, den Strom, das Essen und sonstige Rechnungen bezahlen zu können. Wo bleibt da die Freiheit oder gar die Unabhängigkeit? Nirgends, denn sie bleibt auf der Strecke des alltäglichen Lebens. Nachdem die Tasse leer ist, gehe ich in mein Zimmer und ziehe meine Uniform an. Ich stehe vor dem Spiegel und binde mir die Krawatte, ein Zeugnis von Seriosität und zuverlässiger Kompetenz. Aber wir sind alles nur Menschen und Menschen machen nun mal auch Fehler. Sie sind nicht perfekt, wie es die Welt der Hochglanzmagazine uns weismachen will.

Jedes noch so makellose Model hat eine Schwachstelle, die dank der Bearbeitungsprogramme im Handumdrehen ausradiert werden. Als kleiner Junge habe ich mir vorgestellt, wie es wäre erwachsen zu sein und einem Job nachzugehen. Mein Traum war es schon immer zu fliegen, ich habe mir immer und immer wieder vorgestellt wie es sein muss durch die Luft zu schweben und die Welt als Flickenteppich zusehen. Habe mir vorgestellt wie es wäre der Sonne so nahe zu kommen wie kein anderer, das waren die Gedanken eines maximal neunjährigen Kindes. Welche ich stolz in einem meiner Hefte aufgeschrieben habe. Denn auch das schreiben hat mir die Freiheit gegeben, mich voll und ganz auf etwas zu konzentrieren, mich als Erschaffer meiner eigenen kleinen Welt gesehen. Ich frage mich, ob das Heft im Haus meiner Eltern irgendwo noch herumliegt, oder ob mein Vater in seiner Wut auf mich weggeschmissen hat.

„Guten Morgen", reisst mich Willows Stimme aus meinen Gedanken. Blinzelnd betrachte ich ihr Gesicht im Spiegel und lächle, als sie langsam auf mich zu kommt. Sie trägt mein Shirt, welches ihr knapp über die Oberschenkel reicht und irgendwie verrucht an ihr aussieht.

„Guten Morgen", erwidere ich. Willow schmiegt ihre Wange an meinen Rücken und schaut mich noch immer im Spiegel an.

„Musst du schon gehen?" Ihre Stimme klingt sehnsüchtig und irgendwie auch ein wenig traurig. Ich drehe mich zu ihr um und lege meine Hände um ihr Gesicht und küsse sie sanft auf den Mund.

„Ich bin heute Abend wieder zurück", sage ich an ihre sündhaften Lippen und wünschte mir wieder, heute bei ihr zu bleiben und den Tag mit ihr zu verbringen. In den letzten Wochen war unsere gemeinsam Zeit begrenzt, was ich schade finde, aber auch verstehen kann. Uns beiden sind unsere Berufe sehr wichtig und dann kann es schon einmal vorkommen, dass dann die Zweisamkeit etwas zu kurz kommt.

Electric Hearts verliebe dich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt