PoV Mara

407 20 2
                                    

Es ist mitten in der Nacht als ich das Gelände verlasse. Es wird sowieso niemandem auffallen, dass ich nicht mehr da bin. Ich weiß nicht wo ich hin soll, aber hier kann ich nicht bleiben. Das ist mir klar. Ich muss aufpassen, dass mich niemand sieht, denn ein 15- Jähriges Mädchen gegen 2 Uhr morgens alleine in einer großen Stadt wie Köln ist auffällig. Nach einer Weile komme ich an einem Park an, nicht das beste Versteck, aber für's erste reicht eine Parkbank auch. Ich suche mir also eine, etwas abgelegene Bank und lasse mich auf ihr nieder. Meine Jacke, die für November eigentlich viel zu kalt ist, schlinge ich dabei fester um mich. Nachdem ich eine halbwegs angenehme Position zum Schlafen gefunden habe, schließe ich meine Augen. Meine Gedanken überschlagen sich noch eine ganze Weile, doch schließlich schlafe ich ein.
Als ich am Morgen wach werde, stehen vor meiner Bank zwei Polizisten, die erleichtert ausatmen, als sie sehen, dass ich wach bin. "Alles gut bei dir?" fragt der eine mich, während der andere in sein Funkgerät spricht. Ich blicke dem Polizisten bloß in sein Gesicht, ansonsten reagiere ich kein bisschen. "Willst du mir vielleicht sagen, was du hier draußen so alleine machst?" Wieder keine Reaktion meinerseits. Lediglich ein immer stärker werdendes zittern kann ich nicht mehr verbergen. Es ist auch echt kalt draußen. Der Polizist der dies scheinbar bemerkt hat, streckt mir seine Hand hin. Ich schaue ihn erneut an und greife zögerlich sein Hand. Ich umschließe seine warme Hand mit meiner kalten. "Tom, lass uns ins Auto gehen. Ihr scheint kalt zu sein, außerdem wissen wir auch nicht wie lange sie hier schon liegt." Der angesprochene Polizist dreht sich zu uns und betrachtet mich mit einem besorgten Blick. Anschließend nickt er. "Lass uns direkt ins Krankenhaus mit ihr. Sie sieht mir nicht sehr gesund aus." Der Polizist an dessen Hand ich nun laufe nickt seinem Kollegen zu. Der andere, Tom, holt das Funkgerät wieder hervor. "Arnold für 15/24.", er wartet einen Augenblick bevor es aus dem Gerät spricht: "Arnold hört." "Wir fahren mit dem Mädchen zur Klinik am Südring, damit sie durchgecheckt werden kann." "Arnold hat verstanden.". Damit ist das Gespräch beendet und wir laufen weiter zum Streifenwagen. Doch kurz bevor wir da sind, wird mir erst bewusst wo wir hinfahren, und vorallem mit wem ich hinfahre. Panik steigt in mir auf. Ich lasse die Hand des Polizisten los, der mich daraufhin mit einem nicht deutbaren Blick bedenkt. Dann drehe ich mich um und renne los. Die Panik lässt mich schneller werden, allerdings immer noch zu langsam um den Polizisten zu entkommen. Der, der vorher die Funksprüche abgegeben hat, hält mich nun an der Schulter. Angst kommt in mir auf. So hatte damals alles angefangen. Das wo ich hoffte, dass es vorbei wäre. Ich fange, vor Angst und Panik, an zu weinen. Gleichzeitig beginne ich damit, um mich zu schlagen. Tom, oder wie er heißt, nimmt das als Anlass mich auf den Boden zu drücken. Das steigert meine Panik allerdings noch mehr. Schwarze Punkte fangen an vor meinen Augen zu tanzen, während meine Atmung immer schneller und hektischer wird. Beide scheinen das zu bemerken, denn sie setzen mich auf, sodass ich nun an den unbekannten Polizisten gelehnt sitze. Der, der mich auf den Boden gedrückt hat, joggt nun schnell zum Auto und holt etwas. Als er wieder da ist, hält er mir eine Plastiktüte vor meinem Mund und meine Nase. So langsam normalisiert sich meine Atmung wieder und auch die schwarzen Pünktchen verschwinden wieder. "Was war denn das jetzt?" er scheint schon keine Antwort mehr zu erwarten, denn kurz darauf spricht er erneut, "Ich weiß nicht ob du uns verstehst, aber mein Name ist Martin und der von meinem Kollegen ist Tom." Schwach schaue ich beide an. Dann helfen sie mir hoch und bringen mich dann ohne weitere Probleme zum Auto, sodass wir ins Krankenhaus fahren können.
Im Krankenhaus angekommen, werde ich untersucht, allerdings kann außer einer ordentlichen Unterkühlung und mehreren blauen Flecken nichts festgestellt werden, weswegen ich von dem diensthabendem Arzt Frederik Seehauser auf Station geschickt werde.  

Ich liege nun schon ein paar Tage auf Station. Meine Unterkühlung war innerhalb von zwei Stunden zu einer erhöhten Temperatur geworden. Das heißt ich habe Fieber. Bis jetzt habe ich weiterhin nichts gesagt und auch keine Reaktion gezeigt. Das erspart mir, für's erste, lästige Fragen. So wissen die Ärzte und Polizisten nämlich nicht mal ob ich Deutsch spreche und verstehe. Und demnach werde ich auch in Ruhe gelassen. Das bringt mir Zeit. Zeit in der ich weiter planen kann. Es klopft an der Zimmertür und ich wende mich dieser zu. Die Tür öffnet sich und ein junges Mädchen in Begleitung einer blonden Krankenschwester kommt herein. Ich schätze sie auf so 10-11 Jahre. Sie stellt ihre Tasche neben ihr Bett und kommt zu mir. "Hallo ich bin Leonie und du?" fragend blickt sie mich mit ihren dunklen Augen an. Ich blicke sie mit leerem Blick an und wende mich dann wieder ab. Ich bekomme mit wie diese Leonie die Schultern zuckt und sich zu ihrem Bett begibt. Die Krankenschwester wendet sich nun nochmal an uns beide:" Also Leonie, du weißt ja schon, roter Knopf wenn ein Notfall ist. Das gilt auch für dich.", dabei nickt sie mir zu,"Ich bin übrigens Schwester Linda. Willst du uns nicht irgendwann mal was von dir verraten?" Nein, eigentlich habe ich das nicht vor. Zumindestens jetzt noch nicht. Vielleicht auch nie. Wer weiß denn schon was das Leben bringt. Ich blicke sie stumm an. Seufzend verlässt sie das Zimmer wieder. Ich bemerke Blicke auf mir. Langsam drehe ich meinen Kopf zu Leonie. "Wieso sprichst du eigentlich nicht? Ich weiß nicht, aber ich habe das Gefühl, dass du alles verstehst was wir sagen. Und nicht so, wie die Ärzte vermuten, dass du überhaupt kein Deutsch sprichst und verstehst." Da sie mich eh durchschaut hat zucke ich meine Schultern und will mich wieder abwenden. "Es würde alles leichter machen und du könntest wieder ganz schnell zu deinen Eltern." Ja, meine Eltern. Das ist so eine Sache. Wenn sie noch da wären, wäre ich nicht in diese Situation gekommen. Tränen bilden sich in meinen Augen. Schnell wende ich meinen Blick ab. "Hey, alles in Ordnung?" Nein, es war absolut gar nichts in Ordnung. Leonie steht auf und kommt zu mir. Sie legt sich zu mir ins Bett und umarmt mich. "Warum weinst du denn?" "Ich…", an der Tür ertönt ein Klopfen, kurz danach öffnet sich die Tür und Dr. Seehauser und Schwester Linda kommen rein. Als die Tür geschlossen ist beenden sie ihr Gespräch und blicken überrascht auf. "Na was ist denn hier los?" Frederik schaut uns beide fragend an. "Ich habe ihr nur gesagt, dass wenn sie was sagt, sie schneller zu ihren Eltern kann. Und dann hat sie angefangen zu weinen. Ja und dann, wollte ich sie trösten und sie wollte was sagen. Aber dann seid ihr schon reingekommen." Ich blicke auf die Bettdecke. Mein Geheimnis war so eben endgültig aufgeflogen. Nach einem Moment Stille bewegt sich jemand auf das Bett zu. Es ist Linda, die mich nun in eine vorsichtige Umarmung zieht. Nun kann ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich fange an hemmungslos zu weinen. Mittlerweile ist auch Frederik zu uns gekommen und hat sich auf meinem Bett, neben Leonie, niedergelassen und versucht mich auch ein wenig zu beruhigen. Meine Tränen wollen kein Ende mehr nehmen. "Willst du uns vielleicht sagen was mit deinen Eltern ist?" fängt Frederik das Gespräch wieder an nachdem ich mich ein bisschen beruhigt habe. Ich schaue auf und blicke die drei einzeln an. "Sie… ich… habe keine Eltern mehr." Auf diese Antwort schien Leonie nicht vorbereitet zu sein. Bei Frederik und Linda merkt man, dass sie so eine ähnliche Antwort schon erwartet haben. Denn sie blicken nur etwas schockiert, während Leonie mich schockiert anguckt und mich dann fest in den Arm nimmt. Ich lasse diese Umarmung zu. Zulange hat mich niemand mehr so in den Arm genommen. "Möchtest du uns deinen Namen jetzt verraten? Dann können wir dich schonmal mit einem Namen ansprechen." Ich überlege kurz. "Mein Name ist Mara." Frederik nickt kurz und trägt dann meinen Namen in die Akte ein. "Okay Mara. Wenn wir schonmal dabei sind, dürfen wir deinen Namen der Polizei auch weitergeben? Damit die auch schonmal wissen wie du mit Vornamen heißt." Ich nicke, was finden werden die sowieso nicht. "Warum warst du denn eigentlich draußen?" fragend blickt Linda mich an. "Ist egal. Das muss niemanden interessieren."

Weitere Tage sind vergangen. Die Polizei hat, wie zu erwarten war, keine Vermisstenanzeige gefunden und es dann scheinbar wieder aufgegeben. Die letzten Tage habe ich viel geschlafen, da das ja helfen soll schneller gesund zu werden. Durch mein ständiges schlafen habe ich wohl öfter die beiden Beamten verpasst, aber was soll's. Ich möchte sowieso nicht mit denen reden. Allerdings sind so Gespräche nur aufschiebbar…
An der Tür klopft es und kurz darauf treten Frederik, Linda und die Polizisten ein. "Hallo Mara. Schön dich wiederzusehen." Der Polizist, ich glaube er heißt Martin, lächelt mich freundlich an. Auch der andere lächelt mir zu. "Wir würden gerne nochmal mit dir reden. Es kann doch nicht sein, dass dich niemand vermisst. Bitte sag uns doch wo du wohnst." Tom fleht schon fast während er zu mir spricht.  "Das einzige was wir über dich wissen ist wie du heißt. Und selbst das ist nichtmal sicher." mischt sich Martin nun auch ein. Ich lache kurz auf. "Ihr denkt echt, dass ich einen anderen Namen nenne? Okay, übel nehmen kann man es euch nicht. Immerhin vermisst mich ja niemand. Aber es ist so. Niemand vermisst mich und vorallem: Niemand wird mich jemals vermissen." Meine Stimme hat einen bitteren Unterton angenommen. "Doch…Ich! Ich würde dich vermissen." überrascht wende ich meinen Blick zu Leonie. Sie kennt mich doch nicht. "Und wir dich auch." fügt Frederik hinzu. "Bitte rede doch mit uns. Wie heißt du mit komplettem Namen?" mischt sich Linda wieder ins Gespräch ein. "Und möchtest du dann auch sagen, warum du draußen auf der Bank gelegen hast?", sagt Tom. Nun fängt auch Martin an Luft zuholen um was hinzuzufügen. "Wir wollen dir doch alle nur helfen." Diesmal fange ich richtig an zu lachen. Die fünf schauen mich beunruhigt und etwas besorgt an. Nachdem ich es schaffe mein Lachen in den Griff zu bekommen, atme ich nochmal tief durch. "Helfen… Helfen wollten sie alle. Und jetzt? Jetzt habe ich nichts. Nichts und niemanden mehr. Nein danke, ich verzichte."

Ich brauche keine Hilfe!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt