Apeks Reflexionen

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Die Sucher kehrten zurück zum Sturmzimmer, wo Johan sie erwartete. Die nächsten Stunden verbrachten sie im Lesezimmer, einem kleinen Raum mit gerade soviel Platz, dass Stühle, ein runder Tisch und ein schmuckloses Regal hinein passten.

Johans geduldige Art zu unterrichten, kam den dreien sehr entgegen. Sein Engagement war richtig ansteckend. Jack, der mit Buchstaben wenig anfangen konnte, gab sich Mühe und konnte bereits am späten Nachmittag kurze Worte lesen.
Kira half ihm, wann immer es ging.

Ingwer benötigte ihre Unterstützung nicht, sie kam gut zurecht und begriff neue Dinge schnell.
Hin und wieder ertappte sich Kira beim tagträumen. Ihre Familie fehlte ihr. Bei dem Gedanken, dass ungewiss ist, wann es ein Wiedersehen geben würde, zog sich alles in ihr zusammen. Sie hatte schreckliches Heimweh. Besonders Marko fehlte ihr. Seine Luna stand neben ihrem Buch auf dem Tisch und gab ihr zumindest ein Gefühl von Vertrautheit inmitten all der neuen Menschen und Orte.

Ob er sich Sorgen machte? Bestimmt tat er das. Sie ließ die Geschehnisse des Tages an sich vorbeiziehen. Einmal. Zweimal. Vor ihrem geistigen Auge formte sich das Bild des Koches und des kleinen Mädchens von vorhin. Die Furcht auf ihren Gesichtern war echt gewesen und Kira erschrak innerlich, als ihr klar wurde, was das bedeutete. Mussten sich Menschen vor den Suchern fürchten? Vielleicht. Auf jeden Fall taten sie es. Dabei kannten sie sie doch gar nicht.

"Kira?" Johan lächelte. Er schien sie eine Weile angesehen zu haben: "Wenn Du müde bist, mache eine kurze Pause. Buchstaben sind anstrengend."
"Danke, es geht schon. Ich habe nur nachgedacht."
"Lass uns an Deinen Gedanken teilhaben."
"Jau, erzähl. Mein Schädel raucht schon." Jack schob sein Buch demonstrativ beiseite. Als Ingwer ihre Beine auf den einzigen freien Stuhl legen wollte und Johans strafenden Gesichtsausdruck sah, überlegte sie es sich anders.

"Wir waren mit Lea essen und haben anschließend über unsere Kräfte gesprochen. Danach wollte ich Ingwer helfen herauszufinden, was sie kann und habe mit meiner Kraft ein Feuer vergrößert. Nicht viel. Es konnte ihr nichts anhaben."
"Die Feuerstelle war die der Küche des Gasthauses", ergänzte Ingwer und rutschte unruhig hin und her.
"Stimmt. Die Anwesende fanden das nicht gut. Sie hatten Angst, aber wie kann das sein? Viele Menschen in diesem Land vollbringen besondere Dinge. Warum fürchten sie sich dann?" Kira sah Johan fragend an.

"Menschen ängstigen sich, wenn sie etwas nicht kennen. Sie fürchten die Kriegerstämme aus dem Süden, ohne je mit einem ihrer Krieger gesprochen zu haben. Sie fürchten dunkle Wälder aus Angst, verloren zu gehen oder überfallen zu werden, was selten passiert. Und manchmal reagieren sie auf Sucher merkwürdig, weil diese die Macht haben, scheinbar ewig gleiche Erfahrungen zu verändern."

"Feuer verbrennt die Hand. Das erwarten sie?" Ingwer deutete auf die leicht gerötete Stelle, die mit dem Feuer in Berührung kam.
"Das erwarten sie. Aber sie fürchten noch etwas anderes mehr als nicht erfüllte Erwartungen. Habt ihr die Geschichte von Fürst Harun gehört?", fragte Johan.

Jack sagte der Name etwas. "Verschwand er nicht eines Tages ohne eine Spur zu hinterlassen? Mein Vater erzählte mir davon."
"Genau der. Er war Fürst von Koohr zu einer Zeit, in der es noch keine Sucher gab und kaum Bestrebungen, diese auszubilden. Jeder, der Kräfte besaß nutzte sie, so gut es ging, manchmal aber ging es ziemlich schief.

Geboren wurde der Fürst hier, nicht weit entfernt. Bei den Einwohnern war er beliebt, weil er hielt, was er versprach. Er hatte aber nicht nur Freunde. Sein gefährlichster Widersache war Jeran, sein Bruder, den der Neid auffraß als er erfuhr, dass sein Bruder Fürst werden sollte, ein Amt, auf das auch er sich beworben hatte. Er wurde nicht genommen, weil er im Herzen rachsüchtig und auf den eigenen Vorteil bedacht war.

Viele der Einwohner hatten Angst vor ihm. Er gilt bis heute als einer der mächtigsten Menschen, denn er konnte die Gefühle beeinflussen. Irgendwie gelang es ihm, in den Fürstenpalast einzudringen und seinen Bruder zu entführen. Man hat ihn gefasst und er hat geleugnet, die Tat begangen zu haben. Mithilfe seiner Kräfte manipulierte er Wachen und Angehörige des Hofes. Sein Bruder wurde bis heute nicht gefunden. Diese Geschichte lebt in den Köpfen aller in Arwan und schürt Ängste.
Heute werden Sucher in der Anwendung ihrer Kräfte geschult und auf Missbrauch stehen Strafen. Das ist die Lehre, die daraus gezogen wurde. Die Furcht aber blieb."
"Deshalb gibt es den Kodex der Sucher?"
"Ja Ingwer. Deshalb gibt es ihn. Da ihr klug seid und natürlich alle Regeln gut kennt ahnt ihr, dass ihr bei der Sache im Gasthaus gegen die zweite und fünfte Regel verstoßen habt."
"Aber nur, weil wir laut Regel 0 unsere Kräfte kennen und gebrauchen lernen sollen."

Die Sucher - Das Geheimnis der Spürsteine Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt