Kapitel >9< [5. März]

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Sie bog gedankenverloren um die Ecke, den nachdenklichen Blick auf den Weg vor ihren Füßen gerichtet. Mit einer Hand fuhr sie sich durch die Haare. Im Licht der warmen Mittagssonne leuchtete es teils bronzefarben. Es war Montag und die Schule war vorbei.

Sie wirkte etwas zerstreut, als sie den Kopf hob und ihr Blick sich auf sein Gesicht richtete.
Sie blieb abrupt stehen. „Was tust du hier?" Er wandte sich ihr zu und lächelte bei ihrem Anblick. „Ich warte." „Aha. Und das ganz zufällig auf meinem Schulweg." Er schüttelte den Kopf. „Nicht zufällig, denn genau genommen warte ich auf eine Antwort." Sie hob eine Braue.

Lay stieß sich von der Mauer ab, an der er bis eben gelehnt hatte und kam auf sie zu. „Möchtest du mit mir Essen gehen?" Er blieb nur wenige Schritte vor ihr stehen und sah zu ihr hinunter. Diese Frage überraschte sie doch. „Was hätte ich davon?" „Es kommt darauf an, was du dir erhoffst." Sein Ton war angenehm ruhig, mit einer Spur von Amüsement. „Ich habe viel zu tun." Er erwiderte: „Ich bin flexibel."

Ihr Blick wanderte kurz nachdenklich zur Seite, bevor sie ihn wieder auf ihn richtete. "Mir gefällt die Vorstellung nicht, dass unangenehme Pausen entstehen könnten." Meinte sie wahrheitsgemäß. "Zum Glück bin ich zuweilen recht unterhaltsam."

Diesmal hob sie kurz beide Brauen, bevor sie klar stellte: „Ich mag es nicht, wenn mir viele Leute beim Essen zusehen."
Das brachte ihm ein belustigtes Lächeln auf den Lippen, als er versprach: „Wir werden alleine sein."
"Da gibt es ein Problem. Ich pflege es nicht mit Männern allein zu sein, die etwa fünf Jahre älter als ich sind und auf meinem Schulweg auf mich warten. Wie gut sie auch aussehen mögen."

Da schwieg er. Er hatte mit allem möglichen gerechnet, nur nicht damit, dass sie nicht alleine mit ihm sein wollte. Was genau genommen ja auch verständlich war.
"Wenn du wirklich so unterhaltsam bist, wird es dir gelingen auch noch ein, zwei andere Personen zu unterhalten."
Was blieb ihm anderes übrig? Er nickte und stellte sich vor, wie lange es wohl dauern würde, bis sie beide ungestört alleine sein konnten.
Er war sich sicher, dass sie ihn testen wollte. Er hatte nichts dagegen. Im Gegenteil, er fand sogar seinen Gefallen daran. "Und-" Fügte sie nach einer kurzen Pause fast zögernd hinzu: "-ich bin Vegetarierin." "Das freut mich zu hören." "Warum?" "Weil es die erste, wirklich handfeste Information ist, die du mir über dich verraten hast." Das brachte sie zum Lächeln. "Wirklich?" "Ja."

Sie ging weiter und Lay passte sich ihrem Schritt an. "Du kennst meinen Namen und du weißt, dass ich in die Schule gehe. Ist das nichts?" "Das du in die Schule gehst ist selbstverständlich. Das ist nichts privates über dich." "Na schön, was ist dann mit meinem Namen?" "Also gut." Gab er nach. "Dann die erste, wirkliche Information, die etwas über deinen Charakter aussagt." Sie sah ihn neugierig von der Seite an."Dann erzähl mir doch mal etwas über mich." "Liebend gerne. Als erstes weiß ich, dass du mir deine Tasche geben wirst, damit ich sie für dich tragen kann." "Sicher?" "Sicher." Sie seufzte ergeben und reichte sie ihm. "Außerdem, magst du Tiere." "Du meinst, weil ich kein Fleisch esse? Vielleicht, mag ich auch einfach den Geschmack nicht oder tue es der Umwelt zuliebe." "Das kann sein. Aber ich habe nicht durch dein Vegetarier sein darauf geschlossen. Sondern durch die Tatsache, dass du mindestens eine Katze besitzt." Diesmal war sie überrascht. "Ihr Fell ist weiß. Hm. Und offensichtlich kuschelt sie gerne mit dir." Sie runzelte die Stirn und murmelte: "Lucy muss dir das gesagt haben." Er flüsterte verschwörerisch: "Oder ich bin Hellseher." Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. "Ich fürchte da verwechselst du Hellseher mit..." Sie überlegte.
"Ja?"
"Jemandem, der alles weiß." Nachdenklich sah sie ihn an. "Ich glaube, es gibt überhaupt kein Wort dafür." "Alleswisser?"
"Nein. Das ist höchstens eine Bezeichnung, die man jemandem gibt der vieles weiß. Ich meine einen korrekten Begriff dafür." "Universalgelehrter?" Schlug er mit hochgezogenen Mundwinkeln vor. "Die mögen viel wissen, aber sie könnten nicht erraten, dass ich eine Katze habe. Du wärst eher eine Koryphäe der Menschenkenntnis mit ausgeprägter Kombinationsgabe."

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Koryphäe: 1. Jemand, der auf einem

bestimmten Gebiet
außergewöhnliche Fähigkeiten besitzt.

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"Ich fühlte mich geschmeichelt. Nur leider muss ich gestehen, dass Ballett nicht unbedingt meine Stärke ist. Wenn du aber darauf bestehst, können wir gerne mal tanzen gehen."

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Koryphäe: 2. Im Ballett die erste

Solotänzerin

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Als sie verstand, was er damit meinte, konnte sie nur lächelnd den Kopf schütteln und an der roten Ampel stehen bleiben.

Da streckte er die Hand nach ihrem Arm aus.
Im ersten Moment hatte sie den Impuls zurück zu zucken, doch dann hielt sie still, während er ein Katzenhaar von ihrem Ärmel zupfte. "Womöglich hat mir das auch geholfen." Sie schnaubte.
Lay aber hielt das Haar empor und betrachtete es. "Wie heißt die oder der Glückliche denn?" "Er heißt Yoruni." Erstaunt ließ er die Hand sinken. "Yoru ni? Bei Nacht?" Er musste über ihren misstrauischen Gesichtsausdruck lachen.
"Ich habe mich mal ein wenig mit verschiedenen Sprachen befasst. Darunter auch Japanisch." Erklärte er. "Welche Sprachen kannst du noch?" "Eine Handvoll." Wich er aus. Die Ampel wurde grün und sie gingen weiter.

"Was kannst du noch sagen?" Er fuhr sich mit einer Hand durch die braunen Haare. "Du tust nicht immer das, was man dir sagt." "Das liegt an meinem Alter." Sie zuckte die Achseln. "Das ist selbstverständlich." "Aber du magst den leichten Nervenkitzel bewusst etwas zu tun, das man nicht tun darfst mehr, als so manch anderer."
Er beugte sich zu ihr hinunter, als würde er ihr ein Geheimnis anvertrauen. Seine Stimme, auf einmal nah an ihrem Ohr, hatte einen vertraulichen Tonfall angenommen. Sie sah starr auf den Weg vor sich, als er ihr verriet: "Und du hast eine Vorliebe über rote Ampeln zu gehen."

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