Kohlestift

124 17 7
                                    

Das Gras kitzelte an meinen nackten Füßen, während ich mit breit ausgebreiteten Armen über die Wiese rannte als würde ich fliegen. Dabei schien die Sonne auf mich herab und lachte mit mir.

Mein Ziel war die große Birke, die mitten auf der Wiese stand. Den Rucksack, den ich auf hatte, stellte ich neben mich ins Gras. Ich setzte mich unter die Birke und lehnte mich an den grau weißen Stamm. Immer noch lächelnd holte ich meine Kopfhörer und mein Handy aus dem Rucksack. Die Stöpsel steckte ich mir in die Ohren, bevor ich die Musik spielen ließ. Ich lauschte der Melodie des Liedes, welches lief, und kramte wieder in meiner Tasche rum, bis ich zwischen dem ganzen Zeugs mein Skizzenbuch fand. Ich zog es raus und legte es auf meinen Schoß.

Auf dem schwarzen Einband reflektierte sich die Sonne. Die Aufkleber, die ich als ich noch kleiner war, drauf geklebt hatte, glitzerten im Licht. Es waren genau drei. Ein Regenbogen, eine Ananas und eine Palme. Ich schloss meine Augen und fuhr mit meinen Fingern über den Einband. Er war rau und schon leicht aufgewärmt.

Mein Lieblingslied fing an zu laufen. Mein Lächeln wurde breiter und mit meinem rechten Fuß wippte ich den Takt mit. Leise fing ich an dazu zu summen, auch wenn ich wusste, dass mich keiner hören konnte. Wie automatisch griff ich in meine Hosentasche um den Kohlestift, den ich immer dabei hatte, in die Hand zu nehmen. Ich öffnete meine Augen wieder und blätterte in meinem Skizzenbuch, bis ich eine freie Seite gefunden hatte. Und dann fing ich an zu zeichnen.

Zuerst ein markantes Gesicht mit zerzausten und leichten Locken gezierte Haare. Ein muskulöser Körper mit zerrissenen Klamotten. In der einen Hand hielt er einen Bogen in der anderen einen Pfeil. Ein Köcher, der um seinen Rücken geschnallt war. Und zwei schwarze ledrige Flügel. Mit meinen Fingern verwischte ich die Kohle um die Linien weicher zu machen. Dann war ich fertig. Fertig mit dem Porträt meines Bruders.

Plötzlich wurde es dunkel. Ich schaute auf und sah wie sich ein schwarzer Ball vor die Sonne schob. Verwundert legte ich den Block zu Seite und stand auf. Den Kohlestift immer noch in der Hand. Die Stöpsel fielen aus meinen Ohren, da mein Handy auf dem Boden lag. Eine kräftige Windböe ließ meine Haare durch die Luft wirbeln und dann stand er vor mir.

Er lächelte mich an. Seine blonden Haare klebten ihn verschwitzt an der Stirn und seine Haut war voller Ruß. Er streckte seine Hand nach mir aus und ich nahm sie.

"Komm." Sagte er mit seiner tiefen brummenden Stimme. "Ich nehme dich mit nach Hause."

Er hob mich hoch und ich schlang meine Beine um seine Hüfte und meine Arme um seinen Hals.

"Nach Hause." Murmelte ich als er seine Flügel ausbreitete und in die Luft sprang. Wir flogen immer höher. Irgendwann konnte ich sogar die Sterne sehen, trotz dass es Tag war. Die Luft wurde knapp und ich legte meinen Kopf in auf seiner Schulter ab. Dann schloss ich meine Augen und alles wurde schwarz.

Autor: Anonym 

BücherkisteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt