Kurzgeschichten

Schweigen

Donnerstag, 3. Mai 2018

Still saß sie im Park, gegenüber von ihrem Lieblingsstraßenmusiker. Er war jeden Montag und Donnerstag hier und spielte sinnliche Melodien, die sich in ihr Gedächtnis fraßen. Menschen warfen Geld in seinen Hut. Manche mehr, andere weniger. Einige standen neben ihr und filmten ihn. Manchmal auch sie, weil sie dachten sie gehöre dazu, wie sie immer dort saß und ihm lauschte. Aber nein, sie war kein Teil dieses Kunstwerks und würde es nie sein.

Wie jeden Montag und Donnerstag stand sie um Punkt fünf Uhr auf, warf ihm einige Münzen in den Hut und erntete dafür ein strahlendes Lächeln von ihm, bevor sie nach Hause stapfte.

Montag, 7. Mai 2018

Leichtfüßig wanderte sie durch den Park, bis sie an ihrem gewohnten Platz ankam und sich wie immer gegenüber dem Musiker auf den Boden setzte. Sie schloss ihre Augen, als sie ihm zuhörte und genoss die Melodien, die ihre Ohren umschmeichelten wie Samt. Sie genoss die Musik. Seine Musik.

Vor fast einem Jahr saß sie das erste Mal hier, damals hatte sie ihn entdeckt und seitdem saß oder stand sie nun immer zwei Mal die Woche hier. Unabhängig davon ob Winter oder Sommer und egal ob krank oder gesund.

Seine Musik war Balsam für ihre Seele. Sie konnte entspannen und die Außenwelt für ein paar Stunden hinter sich lassen.

Donnerstag, 10. Mai 2018

Wieder lauschte sie stumm seiner Stimme. Mit ihren Gedanken schweifte sie ab und landete in einer Welt ganz fern der ihren. In einem Paralleluniversum, in dem alles anders war. Besser. Oh, so viel besser. Nicht zertrümmert von Menschen. Heil, wie das Paradies Eden. Die Natur, so ungerührt.

Sie erwachte und ging. Wie immer ohne ein Wort.

Montag, 14. Mai 2018

"Wie heißt du?", fragte er sie.

Sie lächelte und ging.

Donnerstag, 17. Mai 2018

Er war nicht mehr da. Trotzdem saß sie stundenlang an ihrem Platz bevor sie nach Hause ging.

Montag, 21. Mai 2018

Sie gab nicht auf.

Montag, 5. Juli 2018

Ruhe in Frieden, Johann Wormers. Möge Gott mit dir sein.