Vielleicht nicht, vielleicht doch.

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"Kannst du dir denn jemals vorstellen eine Bindung mit jemandem einzugehen?", fragte er sie und sah ihr dabei fest in ihre wunderschönen grau-grünen Augen. Sie hatten etwas Faszinierendes an sich und er konnte nicht anders als sie in jeder freien Sekunde zu betrachten. Für Außenstehende mochte dies vielleicht fragwürdig aussehen, aber das war ihm völlig gleichgültig.

"Ich denke nicht, dass das etwas für mich ist", antwortete das Mädchen ehrlich. Sie hatte Angst davor Bindungen einzugehen. Sie konnte vieles, aber bei sowas war sie unverbesserlich. Als kleines Mädchen ist sie in weggegeben worden und somit in einem Kinderheim aufgewachsen, bis sie alt genug war zu arbeiten und sich eine eigene Wohnung zu finanzieren. Sie kannte weder familiäre noch sonstige Bindungen und hatte zugegebenermaßen auch kein allzu großes Interesse daran welche aufzubauen. Sie mochte ihren Lebensstil, denn sie war irgendwie unverwundbar, weil sie niemandem die Macht gab sie zu verletzen. Sie behielt die Macht über sich selbst, also ihre Gedanken und ihren Körper. Sie hatte viele Bücher gelesen und wusste, wie man sich fühlte, wenn man emotional abhängig wurde. Es schmerzte sie allein schon beim Lesen, da wollte sie das erst recht nicht an sich selbst erfahren.

"Willst du also ewig allein bleiben?" Er hoffte auf ein klares 'Nein' als Antwort, aber nicht nur das, er hoffte auch, dass sie mit ihm zusammen sein wolle. Er wusste allerdings, dass er sich nicht zu viele Hoffnungen machen durfte. Sie waren Freunde. 

"Ich habe doch dich." Zum ersten Mal in diesem Gespräch sah sie ihm direkt in seine Augen und nicht durch sie durch. 

Hoffnung.

Sein Herz setzte für einen Moment aus. Er traute seinen Ohren kaum. Hatte sie das eben tatsächlich gesagt oder war das bloße Einbildung? Der Junge begann zu strahlen und sah das Mädchen vor ihm genau an. Er schien jedes noch so kleine Detail an ihr zu kennen und doch erspähte er immer wieder etwas Neues. Sie hatte ein winzig kleines Muttermal unter ihrer Unterlippe, das so blass war, dass es ihm bisher nicht aufgefallen war, dennoch hatte er sich vom ersten Moment an darin verliebt, genau wie es auch bei dem Mädchen passiert war, das genau gegenüber von ihm saß und wieder durch ihn durch starrte, aber das war ihm egal. 

Für einen Moment war er glücklich. 

"Also gehst du doch Bindungen ein?", fragte er ganz aus dem Häuschen. 

"Naja. Irgendwie pflegen wir ja einen gewissen freundschaftlichen Umgang und jede Freundschaft birgt auf irgendeine Weise auch eine Bindung in sich. Dementsprechend würde ich mit einem 'Ja' auf deine Frage antworten. Im freundschaftlichen Sinne klappt das denke ich schon, aber auch nur mit dir. Ich mag es nicht zu viele Leute um mich zu haben, das solltest du wissen."

Das war's mit den Hoffnungen. 

"Natürlich."

___

Für einen kurzen Moment hatte er tatsächlich gedacht seine Gefühle würden erwidert. Wie dumm er doch war. Naiv wie ein kleiner Junge, dabei war er schon längst erwachsen. Vielleicht sollte er es einfach aufgeben. Sie würde sowieso niemals etwas von ihm wollen. Er wusste er war keine Schönheit, kein Model, aber er hatte Charakter und Geduld und irgendwie hatte er gehofft das würde ihr reichen, aber allen Anschein nach war das nicht genug. 

Er nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche. Wie immer, wenn er betrübt war, hatte er sich in seine Stammbar zurückgezogen und genoss mittlerweile sein sechstes Bier in Folge. Der Barkeeper wusste, was sein Anliegen war, wenn er sich bei ihm blicken ließ. Er kam nicht oft dort vorbei, aber immer zu solchen Anlässen. Dass es an besagten Tagen nichts zu feiern gab, wusste der Barmann und drückte dem jungen Mann jedes Mal freundschaftlich und bekräftigend die Schulter. Sie kannten sich nicht und hatten niemals mehr als drei Sätze gewechselt, trotzdem verstand er ihn auch ohne Worte, aber er wollte sich nicht zu viele Gedanken darüber machen, wahrscheinlich war er nur einer von vielen, die ihre schlechten Tage hier verbrachten. Er ließ seine Augen durch die Bar schweifen und wie immer waren nur eine Hand voll Menschen hier, ihn und den Barmann eingeschlossen. Sein Blick flog zu dem Mann hinter dem Tresen, der genau in diesem Moment auch zu ihm aufblickte und ihm aufmunternd zunickte. Er sollte sein Glück selbst in die Hand nehmen und nicht darauf warten, dass die Prinzessin in seidenem Kleid auf einem weißen Pferd zu ihm geritten kam. 

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