Prolog

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Ich wusste es. Ich wusste es schon damals, als der Arzt das Zimmer betrat. Der Blickkontakt mit meinen Eltern sprach Bände... Ich fühlte mich taub und schläfrig, doch trotzdem war ich hell wach. Meine Mutter Julia und mein Vater Simon tauschten Blicke. Auch diese Blicke bestätigten mir meine Vermutung. Mama küsste mir den Handrücken der rechten Hand, mein Vater tat es meiner Mama mit der linken Hand gleich, bis mir die Augen zu fielen. Ich driftete in 'meine' Welt ab, die ich mir innerhalb 3 Wochen aufgebaut hatte. Doch ich wusste, dass diese Traumwelt nicht real ist. Sie konnte nicht real sein und trotzdem wünschte ich mir, dass sie es wäre. Plötzlich wurde ich wieder nüchtern, ich hörte die Stimme meiner Mutter. Ganz nah und trotzdem konnte ich sie nicht sehen. Ich bekam Panik. Was wenn ich sterben würde?! Ich durfte nicht sterben, ich musste kämpfen. Kämpfen, bis mich meine Kräfte verlassen haben. Ich konnte jetzt noch nicht aufhören. Ich durfte nicht. STOPP! Ich musste an etwas anderes denken, also konzentrierte ich mich ganz auf die Stimme meiner Mutter. "Lass los...liebe dich...drüben...wunderschön...keine Schmerzen...denk an dich..." Diese Wortfetzen ergaben keinen Sinn doch in meinem Inneren verstand ich sie. Ich wusste, dass sie Abschied nahm. Das konnte ich nicht zulassen. Ich war noch nicht dafür bereit gewesen. Also kämpfte ich. Ich kämpfte bis ich es schaffte, meine Augen zu öffnen. Und plötzlich waren sie offen. Das Licht blendete. Es pocht. Mein Kopf schmerzt. Sie sollen machen, dass es dunkel ist. Also sprach ich: "Zu hell...schmerzen...Kopf...mach, dass aufhört..." Meine Stimme klang brüchig. So kratzig und rau, doch eigentlich ist sie zart und weich, weshalb meine Eltern wohl auch so zusammen gezuckt sind. Jetzt erkannte ich auch die Umrisse. Die Umrisse meiner Eltern und eines Mannes in einem weißen Kittel. Meine Mutter sah so abgemagert aus...mein Vater hatte dunkle Augenringe unter seinen Augen, doch eigentlich sprühen beide nur so vor Energie. Das liebe ich an ihnen. Sie sahen schrecklich aus, doch wahrscheinlich war das nichts im Vergleich zu mir. "Lena...", meine Mutter fand als erste die Sprache wieder. "Ich bin bei dir, ich liebe dich...", sprach sie mit belegter Stimme und Tränen in den Augen. "Licht", wiederholte ich mich. Meine Mutter bat meinen Vater die Vorhänge zu schließen. Nun trat auch mein Vater an mein Bett. 'Mein' Bett. Wie ich das hasse. Es ist nicht 'mein' Bett. Ich hasse Krankenhäuser. Ich sollte nicht hier sein. Doch trotzdem war ich hier... "Du warst schon immer eine Kämpferin.", sagt er voller Stolz in seiner Stimme. Ich glaubte, sogar eine Träne in einer seiner Augenwinkel zu entdecken. "Du bist so stark.", sagte er und drückte meine Hand. Der Arzt, der sich bis jetzt zurück gehalten hat, trat nun auch noch an 'mein' Bett. "Du bist wahrhaftig eine Kämpferin Lena! Möchtest du etwas trinken? Vielleicht geht es dir danach etwas besser. Auf Anfrage deiner Eltern würden wir es riskieren dich schon morgen zu entlassen. Du solltest trotz der Diagnose ein normales Leben führen können ohne als ein Mädchen abgestempelt zu werden, das bald stirbt und deshalb bevorzugt wird. Wie dir schon selbst bewusst geworden ist hast du Krebs. Krebs ist heimtückisch aber oft heilbar. Der Krebs liegt oberhalb der Lunge und als dieser größer geworden ist hat er dir deine Lunge zerquetscht und du kannst so nicht mehr gut atmen, die Art wird auch Brustkrebs genannt. Wir haben ihn sehr früh entdeckt, das ist gut.", er lächelte. Und dieses noch so kleine Lächeln tröstete mich. „Das ist wirklich sehr gut.", fuhr er fort. „Doch Krebs ist wie ein Unfall. Man muss erst wieder Kraft tanken bevor man wieder in sein altes Leben zurückfindet." Meine Mutter reichte mir währenddessen ein Glas Wasser und ich trank großzügig einige Schlucke. Meine Eltern hielten meine Hände so stark als hätten sie Angst, dass ich unter ihnen weg sterben würde. Im Großen und Ganzen tue ich das auch. Aber jetzt noch nicht. Ich werde kämpfen bis ich selbst entschieden habe, dass es an der Zeit ist zu gehen. Und bis dahin werde ich ein glückliches Leben führen ohne Wenn und Aber.

Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Das Wunder von KrebsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt