4. Es wird Zeit, Schulden zu begleichen

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Caiden

„Was soll das? So ein Scheißpass! ... Wechselt diesen verdammten Idioten aus, der hat Hühnereier auf den Augen!", schimpfe ich keuchend in Richtung des Flat-TVs, der an der Wand mir gegenüber hing. Unter mir donnert das Laufband, das ich vor Frust wohl bald zu Schrott laufen werde. Meine Wunschmannschaft lieg zwei zu eins im Rückstand und das Spiel läuft nur mehr in der Nachspielzeit. Frustriert nehme ich während des Laufes einen Schluck aus der Gatorade Flasche, da ertönt auch schon der Abschlusspfiff.

„Verdammt", fluche ich und drücke fest auf die Stopp-Taste des Laufbandes, gefolgt vom Aus-Knopf des Fernsehers. Nach dieser Niederlage habe ich genug vom Laufen und vom Sport gucken. Ich greife nach dem Handtuch und wische mir den Schweiß von Gesicht und Oberkörper. Nachdem ich halbwegs trocken bin, setze ich mich auf die Hantelbank. Dabei greife ich kurz nach unten und streichle über Princess' hellbraunes Fell. „Geh mal da weg, Süße. Dein Schatz braucht kurz die Scheiben und es gibt sicherere Plätze als unter einer Hantelbank zu schlafen. Komm schon, Püppchen, schmeiß dich in dein Bettchen."

Meine Cocker Spaniel Hündin ist von dieser Idee weniger angetan. Beleidigt tänzelt sie davon und lässt sich einen Meter vom besagten Bett auf den Parkett plumpsen. Wie um mir zu sagen „Ich suche mir selbst aus, wo ich penne." Typisch Prinzess oder Frau. Belustigt schüttle ich den Kopf, dann konzentriere ich mich die Gewichtscheiben unter mir. Dabei bemerke ich mein leuchtendes Handy. Zu den Feiertagen habe ich es meist auf lautlos gestellt. Die Leute, die mich kennen, wissen, dass sie mich nur in den dringendsten Notfällen kontaktieren sollen. In Moment bin ich kein angenehmer Gesprächspartner. Das hat sogar Princess bereits gemerkt und gerade zu diesen Zeiten lässt sie mich nicht alleine und verfolgt mich in jedes Zimmer. Worüber ich froh bin. Es war eine gute Entscheidung anstatt nach L.A. nach Edinburgh zu kommen. Ich habe in beiden eine Wohnung, weil mein Dad eigentlich Amerikaner ist und meine Mutter für ihn dorthin gezogen ist. Die ersten Jahre meiner Kindheit wuchs ich in Seattle auf. Später, als sich meine Eltern trennten, zogen wir in diese Stadt. Und hier in dieser Wohnung lebt auch Princess, für die ich zwei eigene Hundesitter haben, wenn ich außer Landes bin. Tja, ich würde so gut wie alles für diesen Hund tun. Princess' Anwesenheit nimmt einen Teil der Wut, der Bitterkeit. Vor allem der Einsamkeit, die ich mir selbst ausgesucht habe. Daher bin ich neugierig, wer mich stört. Es ist eine SMS von meinem Bandkollegen Jared

„Hey Alter, hast du schon gehört, dass Cam gekündigt hat?!! Fuck, weißt du, was da los ist?"

„Shit, verdammt. Nein, verflucht", schimpfe ich in den leeren Raum und schreibe sofort zurück, dass ich es auf alle Fälle herausfinden werde. Im nächsten Moment wähle ich Cams Nummer. Ich will ihre Erklärung hören und dabei ist es mir egal, dass wir alle Urlaub haben oder sie nicht mit mir darüber reden möchte. Sie ist meine beste Freundin. Und ich müsste lügen, wenn ich sagen, dass es mich nicht kränkt, von ihr nichts gehört zu haben. Warum hat sie mich nicht angerufen, mich um Rat gefragt, anstatt einfach zu kündigen? Ich schiebe die Kränkung beiseite. Hier geht es nicht um mich, sondern um meine beste Freundin. Besser gesagt, meine einzige Freundin, denn ansonsten hänge ich nur mit Kerlen ab, wenn ich nicht gerade eine Frau abschleppe. Ich würde so gut wie alles tun, um Cam zu helfen. Echte Freundschaften sind rar. Etwas Schlimmes muss bei ihr passiert sein. Einer, dieser Lebensveränderten Momente, die das gewohnte Leben in ein davor und danach teilen. Davon bin ich Experte. Das sollte Cam eigentlich wissen.

Ungeduldig halte ich das Handy ans Ohr, während ich im Sportraum auf und ab laufe. Beim dritten Signalton nimmt sie endlich ab und atme beinahe erleichtert auf. „Hey, Cam!"

„Hey, Boss. Dachte mir schon, dass du anrufst."

Aufgebracht bleibe ich am Fenster stehen, den Blick auf die Stadt gerichtet. „Lass den Scheiß. Ich bin nicht dein Boss, sondern ein Freund, falls du dich erinnern kannst. Warum verflucht nochmal hast du gekündigt? Gehen wir dir so auf die Nerven, dass du vorher nicht einmal mit uns redest? Ich hätte echt mehr erwartet."

Ich halte mich nicht zurück, wie ich es vermutlich im Moment sollte, wenn sie Probleme hat. Aber so war unsere Beziehung schon immer: wir sagen ehrlich, was wir vom anderen halten. Das ist auch der Grund, warum ich Cam so gerne im Team, als Kollegin und Freundin habe. Ehrlichkeit findet man heutzutage nicht mehr so einfach. Sie muss einfach bleiben, egal wie.

„Ich weiß, das war eine scheiß Aktion", antwortet sie kraftlos. Cam hört sich gar nicht gut, ganz anders als sonst. Sofort schaltet sich mein Beschützerinstinkt ein. „Was ist passiert? Du weißt, du kannst mit mir reden. Über alles. Immer."

Nach einem tiefen Seufzen, gibt sie nach und erzählt mir von dem Geständnis ihres Dads. Er hat vermutlich nur noch wenige Monate zu leben. Eine Zeit, in der sie bei ihm sein möchte. Bei der Erwähnung der Krebserkrankung schleichen sich Erinnerungsfetzen von Krankenhausaufenthalten und tristen, wehmütigen letzten Tagen an die Oberfläche. Mit zusammengepressten Augen schlucke ich den alten Schmerz und die bitteren Erinnerungen hinunter. Jetzt geht es um Cam und ich kann bestens nachempfinden, wie sie sich fühlt.

„Daher kann ich nicht mehr für euch arbeiten. Eure Tour beginnt im Mai, ich werde aber hoffentlich noch ein paar Monate länger zuhause bei ihm sein", erklärt Cam weiter. Hätte ich die Möglichkeit gehabt, noch ein paar Monate mehr mit meiner Mum herauszuholen, hätte ich diese ebenfalls genutzt. Diese Zeit kann einem keiner mehr zurückgeben und ihre Entscheidung ist zwar gewagt, aber genauso klug, selbstlos und mutig.

„Dann verschieben wir die Tour ein paar Monate. Das kann kein Problem sein. Oder du machst solange Pause, wie du brauchst und kommst danach wieder? Aber du musst nicht gleich kündigen, Cam. Gemeinsam finden wir eine Lösung. Wir sind ein Team."

„Ist das dein ernst? Das würdest du oder die Band für mich tun?", fragt sie mit von vergossenen Tränen heiserer Stimme und weiteres Mitgefühl regte sich in mir.

„Absolut. Ich rede mit dem Management und den Jungs. Wir wollten sowieso einmal eine längere Pause vom Tourleben machen. Wir sind alle schon ziemlich ausgebrannt und ein längerer Urlaub tut uns und unserer Kreativität sicherlich gut. Damit habe ich die Produzenten überredet."

Außerdem ist das nicht einmal gelogen. Schon seit mehreren Monaten habe ich keine neuen Texte geschrieben. Spätestens im Frühling wollen wir ein neues Album aufnehmen. Wozu wir entweder meine eigenen Texte oder jene von Ghostwritern verwenden. Es ist aber eine Sache der Ehre, die selbst verfassten Textzeilen zu singen. Nur habe ich seit der letzten Platte vor eineinhalb Jahren nichts brauchbares mehr geliefert. Mein Hirn ist ein einziger Sumpf aus losen Gedankenfetzen. Vermutlich sollte ich weniger trinken, um nicht wie Maddy zu enden. Und weniger vögeln. Mitten in meinem Gespräch mit Cam nehme ich mir vor, mir zusätzlich Vaginaurlaub zu nehmen.

My Blind Wedding DATEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt