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Sobald wir das große, hell erleuchtete Haus meiner Eltern erreichen, in dem genauso Ruben auf uns wartet, ändert sich für uns alle die Zukunft. Nachdem Katie und Ruben meinen Eltern beim Abendessen eröffnet haben, dass sie bald heiraten wollen, brechen die beiden in Jubel aus. Anschließend in Tränen. Sogar mein Dad heult. Etwas, das ich bei ihm erst einmal gesehen habe und mir wie damals Angst macht. Das letzte Mal hat er so geweint, als Oma Elza begraben wurde. Ein paar kleine Tränen hat er vor einigen Jahren vergossen, nachdem wir unsere Hündin ChiChi einschläfern mussten. Mein Dad ist einer von diesen fröhlichen Männern, die schnell und schnaubend lachen, immer Scherze machen und uns stets ein hingebungsvoller Vater ist. Einer, der zu fast all unseren Aufführungen in der Schule gekommen ist. Der uns ermutigt hat, unseren Träumen zu folgen, anstatt uns in vorgelegte Rollen zu zwängen. Hingegen ist Mum in unserer Familie der emotionale, wie auch strenge Part, bei dem man sich hüten muss, nicht über die Stränge zu schlagen. Oft hat sie uns mit Fernsehverbot oder Hausarrest bestraft, während wir später zu Dad gerannt sind, um uns bei ihm über diese Ungerechtigkeit zu beschweren. Dann hat er gelacht, uns in den Arm genommen und versichert, die Zeit der Strafe wäre so schnell vorbei, dass wir es gar nicht bemerken würden. Und danach hat er uns als Trost eine Süßigkeit zugesteckt, oder uns heimlich in seinem Männerkeller fernsehen lassen, ohne es Mum zu verraten. Er ist der gut gelaunte, liebevolle, laute Italiener, wie er im Buche steht. Und Mum die kreative, schottische Seele. Die beiden haben sich im Urlaub in Wien kennen und lieben gelernt.

Daher ist es nun erschütternd für uns, ihn so aufgelöst zu sehen. Viel bestürzender ist sein Geständnis, als er sich versucht zu erklären. „Es tut mir leid, ... diese wundervolle Nachricht zerstören zu müssen, ... aber, ... aber ich habe euch etwas zu sagen ... Ich will euch nicht lange auf die Folter spannen. Ihr wisst, ich war schon immer der Typ, der das Pflaster schnell runtergerissen hat, daher sage ich es einfach gerade heraus: Ich habe Krebs – in der Bauchspeicheldrüse. Ihr wisst, was das heißt. Es sieht nicht gut aus. Ich werde kämpfen, aber ... nun ja, die Ärzte geben mir nur noch einige Monate."

Erneut bricht er in Tränen aus und wir drei – seine Mädchen, sitzen stumm bei Tisch und wirken wie versteinert. Ich habe ihn gehört, ganz eindeutig, aber ich kann nichts aus seinen Worten machen, sie nicht in mir aufnehmen. Ich will sie nicht verstehen. Ich muss mich verhört haben. Eine andere Erklärung gibt es nicht. Das hat er gerade eben nicht gesagt. Oder? Oder! Mein Blick fällt auf die verschränkten Hände meiner Eltern, saugt sich daran fest. Am liebsten wäre ich aufgesprungen, um davon zu laufen. Das ist jedoch nicht möglich, denn ich fühle mich, als wäre mir das Blut in den Adern gefroren. Mein Gehirn kann diese Bombe einfach nicht verarbeiten. Alles dreht sich. Mein Geist ist für einen Moment vollkommen losgelöst von meinen Empfindungen. Wie ein Betrachter von außerhalb meines Körpers, der durch jedes Molekül schmerzt. Erst, nachdem unser Dad noch einmal schnieft, sickert die Erkenntnis in mir ein. Dann ergreift er noch einmal das Wort. „Aber ich bin froh, dass ich zumindest noch die Hochzeit meiner ältesten Bambini miterleben darf. Auch wenn ich euch alle drei – meine Mädchen - zu gerne zum Altar geführt hätte-"

Das ist es. Mit diesen Worten bricht unsere Schock gefrorene Starre und wir stürzen schluchzend zu unserem Dad. Mein Blick ist verschwommen unter den Tränen, die ich schon zuvor still vergossen haben muss. Sie werden mir erst bei der Bewegung bewusst, wie der Schmerz, der meine Lungen zusammenpresst und mir das Atmen, selbst das Denken, schwer macht. Das alles ist jetzt egal. Das einzige was zählt, ist, meinen Dad zu umarmen und zu hoffen, dass ich morgen aufwache und sich das alles als grausamer Albtraum entpuppt. Wir drei Schwestern klammern uns den restlichen Abend an ihn. Versuchen Trost in Worten zu finden, die es im Universum nicht gibt.

Noch lange nachdem ich ins Bett gegangen bin, erdrückt mich der Schmerz. Immer wieder gehen mir seine Worte durch den Kopf. Seine Erkrankung, sein letzter Wunsch uns alle drei zum Altar zu bringen. Davon habe ich immer geträumt und nun wird diese Erfahrung ihm, Cam und mir verwehrt, weil er viel zu früh aus dem Leben gerissen wird. So wie bei vielen anderen Dinge auch wird er nicht mehr da sein, wie mir jetzt klar wird. Nie meinen irgendwann Ehemann treffen. Nie erfahren, wo ich Wurzeln schlagen werde. Er wird nie mein zukünftiges Kind kennenlernen. Erneut rinnen mir stumme Tränen über das Gesicht, die ich leid bin ständig mit dem Handballen wegzuwischen. Daher lasse ich sie einfach laufen, presse meine Lippen zusammen, um keinen Laut von mir zu geben und starre in die Dunkelheit meines Zimmers hoch.

Ich weiß, dass mein Dad gegen den Krebs kämpfen wird - das liegt in seiner Natur -, aber manchmal steht das Schicksal gegen einen. Selbst die Ärzte sehen wenig Hoffnung. Daher müssen wir uns wappnen, trotz unserer Gebete, es möge gut ausgehen. Mir ist bewusst, das Leben ist kein Wunschkonzert und man muss mit dem zurechtkommen, was einem widerfährt. Dennoch können wir ihn nicht gehen lassen, ohne seinen letzten Wunsch mit den drei Hochzeiten zu erfüllen. Zwar habe ich keine Ahnung wie, aber irgendetwas, das dem nahe kommt, werden wir verflucht nochmal auf die Beine stellen. Egal, was es kostet. Das schwöre ich. Für ihn.

~*~

My Blind Wedding DATEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt