2. Gebt mir einen Teller - zum Schmeißen an die nächste Wand

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Ilvie

„Du verdammter Hurenbock! Wie konntest du mir das nur antun?"
Mit geducktem Kopf und vorne zusammengehaltener Bluse hüpfe ich aus dem Haus, um dem Streit und der blauen Vase zu entkommen. Die Tür fällt hinter mir ins sichere Schloss, dennoch zucke ich zusammen, als ich die Vase höre, die laut krachend gegen eine Wand knallt. Zumindest den Geräuschen nach zu urteilen und nicht gegen seinen Kopf, obwohl er es verdient hätte. Am liebsten würde ich zurückgehen und einfach aus Prinzip auch etwas gegen diese blöde Wand pfeffern – einen Teller oder ein Glas. Egal was, solange ich etwas zum Schmeißen hätte, das ebenfalls laut scheppernd in viele Einzelteile zerspringt. Aber ich bin nicht der Typ für emotionale Gefühlsausbrüche oder überdimensionierte Theatralik, obwohl ich bei diesem Mistkerl eine Ausnahme machen würde. Stattdessen fliehe ich gedemütigt wie eine Mittäterin. Ich fühle mich elend. So ist es also, wenn man die andere Frau ist. Die gemeine Affäre, wenngleich ich genauso benutzt worden bin wie seine Angetraute. Er hat mich hinters Licht geführt, mich belogen und manipuliert. Dieser blonde, adrette Kinderarzt, der kein Wässerchen trübt, ist bloß eine Show gewesen.

Wir haben uns hier in Uganda bei der Arbeit in einer der Kliniken des Kinderhilfswerkes Global Care kennengelernt. Justin sollte einer von den guten Männern sein, ein aufrichtiger Typ. Immerhin rettet er kleine Kinder und Babies das Leben. Wer wird da nicht schwach? Ein Blick auf ihn und seine Arbeit und meine Hormone sind mit mir durchgegangen. Mit keinem Wort hat dieser miese Sack seine Frau erwähnt. Kein Ring steckt auch nur an seinem kleinen oder sonst einem Finger. Daher habe ich logischerweise seine Einladung vor wenigen Wochen angenommen. Das hier ist unser fünftes Date, bei dem wir im Bett gelandet sind. Um es kurz zu erwähnen, ein wirklich gutes Bett. Groß und flauschig. Mit frischen Laken, in denen man sich schön hin und her wälzen kann. Was wir getan haben. Immerhin bin ich eine junge Frau und habe ebenso meine Bedürfnisse. Ich kann zu meiner Verteidigung nur sagen: jedes Mal mit einem kleinen, vibrierenden Plastikding herumzuspielen macht auf die Dauer keinen Spaß.

Dennoch lasse ich mir immer Zeit bei Männern, halte mich an gewisse selbstauferlegte Regeln. Erstes Date Händchen halten, zweites küssen, drittes fummeln. Wenn es gut läuft. Und erst danach belasse ich es offen, ob bei den kommenden Dates mehr daraus wird. Es vielleicht im Bett endet. In meiner rosaroten Vorstellung soll mir dieses Vorgehen helfen, die Männer zuvor besser kennenzulernen, um eben nicht an Arschlöcher wie Dr. Justin Allbright zu geraten. Anscheinend habe ich mich geirrt. In ihm und seinen Handlungen. Wie seine hübsche Frau, die vorhin ins Schlafzimmer geplatzt ist, bewiesen hat. Das war der schlimmste und peinlichste Moment in meinem Leben und mit Demütigungen kenne ich mich aus. Wie muss sich erst seine Frau fühlen? Sie tut mir leid, obwohl sie mich gerade eben als billige Schlampe beschimpft hat und mir beinahe einen Gegenstand an den Kopf geworfen hätte. Das kann ich ihr nicht einmal verübeln. Ich hätte in ihrer Situation nicht anders gehandelt. Nun ja, vielleicht wäre ich etwas leiser an die Sache herangegangen, anstatt das halbe Viertel mit meinem Gebrüll aufzuwecken. Und ich hätte nicht die Hälfte der Dekoration in die Richtung des Kerls geschleudert. Solche Szenen sind besser in Seifenopern als in meinem Leben aufgehoben.

Nun wird mir jedoch klar, warum Justin bisher sehr verhalten gewesen ist, wann immer ich meine baldige Abreise zur Sprache gebracht habe. Statt mit mir über eine Fernbeziehung zu sprechen oder Schritte zu setzen, um uns danach wiederzusehen, hat er geschwiegen. Es ist es ihm vermutlich ganz gelegen gekommen, dass ich bald nicht mehr auf dem gleichen Kontinent wie er bin. Dann wäre seine geheime Affäre einfach verschwunden und ihm niemand auf die Schliche gekommen. Egal, welches Bild die meisten Männer nach Außen hin tragen, es sind nur Masken, um ihre Leere und Falschheit zu verbergen. Die Dinge, derer sie sich schämen und die sie niemanden sehen lassen wollen. Es ist ihnen nicht zu trauen und erneut bin ich einem von dieser Sorte auf den Leim gegangen. Warum kann ich keinen Mann wie meinen Vater finden, der eine glorreiche, ehrliche Ausnahme darstellt? Er vergöttert meine Mum. Oder weshalb kann ich nicht auf Frauen stehen? Das würde mein Leben um einiges erleichtern.

In den letzten sechs Monaten habe ich hier als Krankenschwester gearbeitet. Dies ist mein zweiter Aufenthalt in Afrika. In einer Woche geht mein Flieger zurück nach Edinburgh, was ich mit Wehmut und Freude gleichsetze. Ich liebe zwar das Gefühl, den Menschen hier helfen zu können, aber ich vermisse meine Familie. Genauso wie meine Heimatstadt. Ich kann meinen ersten Spaziergang durch die mittelalterliche Altstadt, oder die elegante georgianische New Town mit den bunten Gartenanlagen und neoklassizistischen Gebäuden kaum erwarten. Am schönsten ist es am Morgen, wenn die Stadt noch schläft und im Herbst oder Frühling der Nebel zwischen den Straßen hängt. Es hat etwas Überirdisches. Und vermittelt das Gefühl, als würde jeden Moment ein Elf oder ein Waldtroll aus dem Verborgenen schlüpfen. Diesen Zauber vermisse ich hier. In der Hitze, der Trockenheit. Außerdem gehe ich zuhause in der multikulturellen Vielfalt mit meinen blonden Haaren und hellen Hautfarbe besser in der Masse unter. Hier haben sich schon oft Passanten den Hals verdreht. Dabei mag ich es im Hintergrund zu bleiben, mag es nicht im Mittelpunkt zu stehen. Der gebührt anderen. Das alles wird bald der Vergangenheit angehören, wie der gesamte Abend und mein unglückliches Intermezzo mit Dr. Arschloch.

Seufzend werfe ich meine hellen Ballerinas zu Boden und schlüpfe hinein. Gleichzeitig knöpfe ich gedemütigt die türkise Bluse zu und wickele die schulterlangen Haare zu einem unordentlichen Dutt zusammen. Im Haus höre ich Justins Frau weiterhin wüten, während sein beschwichtigendes Gemurmel im Lärm untergeht. Ich blicke die Straße auf und ab, in der Hoffnung in dieser Gegend ein Taxi zu finden, um endlich wegzukommen. Stattdessen blicke ich in einige neugierige Gesichter, die ihre Köpfe aus der Tür oder den Fenstern gesteckt haben. Wie schön, nun bin ich auch einmal Teil eines öffentlichen Ärgernisses. Diesen Punkt kann ich also getrost auf meiner Bucket Liste durchstreichen. Ich hasse es, wie ich mich dabei fühle, dieser ätzende Mittelpunkt. Scham und Bitterkeit überschwemmen meine Empfindungen und ich muss ein Zittern meiner Knie unterdrücken. Verlegen winke ich und marschiere mit gesenktem Kopf weiter. Außer Sicht. Meine Wangen brennen. Schnell zücke ich mein Handy, in der Hoffnung, rasch ein Taxi aufzutreiben.

Mir reicht der bisherige miserable Abend vollkommen, da muss ich nicht zu Fuß in meine vorübergehende Wohnung latschen. Ich will nur noch auf meine Couch, um mich dort in einen Becher Eiscreme zu stürzen, der in Eierlikör ertränkt ist, und mit meinen Schwestern skypen. Mit ihnen werde ich alle möglichen Schimpfwörter für diesen Mistkerl finden, die ich nicht einmal in den Mund nehme. Es wird jedoch helfen, sie von den beiden zu hören. Zumindest eine kleine Genugtuung für mein enttäuschtes Herz.

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My Blind Wedding DATEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt