Ich versuchte es. Ich strengte mich wirklich an, doch es klappte nicht; mein Hirn bekam einen Kurzschluss und alles verschwamm in einem aggressiven Farbwirbel aus rot und gelb, ich nahm nur noch die Streifen und Punkte wahr, die sich spiralförmig drehten.
Dieser Zustand dauerte quälend lange zehn Sekunden an, bis sich die satten Farben langsam wieder lichteten und mein Puls auf eine normale Geschwindigkeit hinabsank. Ich sah in die Augen meines Therapeuten und wurde fast wieder wütend. Er war derjenige, der mich hierher, in diese missliche Lage, gebracht hatte. Und wozu? Um mir zu zeigen, wie schwach ich noch war und dass ich immer ein schlechter Mensch bleiben würde? Dem würde ich's schon noch zeigen!
"Zelen? Geht es?", fragte er. Ich schüttelte stumm vor Wut und Panik den Kopf. "Hör zu. Ich muss da nochmal rein und helfen, die Sauerei aufzuwischen. Du bleibst besser hier, okay?"Wie angewurzelt blieb ich stehen und sagte gar nicht, was er als 'Ja' wertete und die Bar betrat.
Er lässt mich stehen... der Wichser lässt mich hier einfach stehen, obwohl ich unter Schock bin. Als mein Therapeut muss er sich um mich kümmern!
Ich war so verwirrt, dass ich zu weinen anfing und loslief, wohin, das wusste ich nicht einmal. Nach einigen Schritten hatte er mich jedoch eingeholt. "Zelen? Wieso rennst du weg? Es ist alles in Ordnung, der Barkeeper wischt deine Cola auf." Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, sodass meine Finger schwarz von der Wimperntusche wurden. "Zelen, möchtest du darüber reden? Willst du ein Stimmungsbild malen?" Mit Stimmungsbild meinte er entweder, dass ich meine 'Gefühle zu Bild bringen' oder eine Stimmungskurve zeichnen sollte. Welcher Schwachsinn es auch immer war, ich hatte keine Lust und helfen würde es auch nicht.
"Nein..." Ich schüttelte den Kopf und sah peinlich berührt durch mein Verhalten in der Bar zu meinen Schuhen hinunter. "Ich denke, es ist das Beste, wenn ich gehe", sagte ich vorsichtig und sah zu ihm hinüber. "Gut, das reicht, denke ich, auch für heute. Das war ein Fortschritt zum letzten Mal, auch wenn du es vielleicht nicht sofort bemerkst...", lobte er mich wie ein kleines Kind, das seinen Teller ganz leer gegessen hatte.
Ich wollte mich umdrehen und endlich gehen, doch er rief mich noch einmal zurück: "Zelen! Das hätte ich fast vergessen. Bitte geh nicht auf eigene Faust üben, ja? Schlimm genug, dass du gerade dein Glas runtergeworfen hast, ohne es zu merken." Als ich nichts antwortete, verabschiedete er sich noch kurz und ging dann.
Zuhause ging ich als Erstes baden, um etwas herunterzukommen. In meiner eigenen Wohnung konnte ich fast alles tun und lassen was ich wollte. Ich durfte zwar nicht trinken und rauchen nur Tabak auf dem Balkon, aber die Wohnung war perfekt für mich. Auch die ständigen Besuche meines Sozialarbeiters störten mich kaum noch. Ich hatte einen kleinen, schwarzen Hamster, Cookie, da mein Therapeut gemeint hatte, es würde mir guttun, wen ich mich um ein Tier kümmerte. Ich holte eine gewaschene Karotte aus dem Kühlschrank, nahm Cookie, dessen kleiner Käfig immer offen stand, auf den Arm. Das Gemüse knabberte er sofort genussvoll an und stopfte es in seine Bäckchen, sodass ich ihn nach einem Kuss auf seinen Kopf wieder auf dem Boden absetzte. Ich holte mir selbst etwas zu essen und überlegte dabei, was ich an meinem arbeitsfreien Tag noch alles machen sollte.
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Flying Angel #JungleAward19 #iceSplinters19
Ficção AdolescenteNachdem Zelen es geschafft hat, endlich clean zu werden, versucht sie, ihr neues Leben zu beginnen, merkt jedoch, dass dies schwieriger ist als gedacht und sie nur noch Opfer ihres monotonen Alltages ist und vor sich hin vegetiert. Sie entscheidet...