Angst vor Schatten.

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Spätabends in einer Wohnung, irgendwo in Berlin.

Flinke Finger tippen über die schlanke Tastatur eines MacBooks,
der Besitzer hat über Spotify leise, verträumte Musik laufen lassen, während dieser in etwa die Themen und Alben zusammentippt, welche für  die nächste oder übernächste Folge 'Sorgenschall' benutzt werden könnten. Nach dem Trubel der letzten zwei Jahre inklusive der sehr schönen, aber auch sehr anstrengenden 'Gamma'-Tour hat Jako sich nun vorgenommen, ein wenig mehr auf sich Acht zu geben.
Vielleicht auch nach einem kleinem Hieb mit dem Zaunpfahl von Jenny, einer guten Freundin, sich doch einfach mal eine Pause zu erlauben, da die Augenringe noch präsenter als die ihre waren an dem Abend nach dem letztem Konzert im Sommer.

Ein wenig ausgeruhter sowie endlich mehr bei sich angekommen seufzte der Musiker, griff beinahe blind nach dem Weinglas neben sich, nippte daran, ehe er aus dem Augenwinkel beobachtete, wie Jenny ein Handtuch an das untere Ende der Tür mit dem Fuß schob und sich zu ihm mit ihrem Plüschtier 'Schwein' auf das Bett gesellte. Sie war bei ihm untergekommen, weil ihre Situation zuhause ihr wertvolle Reserven nahm und sie daher großen Abstand brauchte, bis sie eine eigene Wohnung oder WG fand und lernte, zumindest größtenteils selbstständig auf eigenen Beinen zu stehen.
Er wusste, dass ihr letztes Jahr im Frühjahr etwas Traumatisierendes passiert war und sie hier nach einiger Zeit eine gute Therapeutin mit seinem Zureden gefunden hatte, und er bewunderte sie für ihre Stärke und dass sie ihm so vertraute, gerade weil er ein Mann war und ihre Vergangenheit damit sehr einschneidend betroffen war.

Er wusste keine Details, aber genug, um sich einige Zeit für seinesgleichen sehr zu schämen beziehungsweise zu was Menschen fähig waren, doch die junge Frau ließ keine Barriere oder Ähnliches zwischen ihnen zu, sie hatte keinerlei Angst vor ihm.

Es war nicht leicht, gerade nach ihrem Umzug hierher, und sie musste auf eine Warteliste, aber er war zuversichtlich, dass sie ihr Leben bald auf die Reihe kriegen und in eben diesem einen Sinn sehen würde.

Jako räusperte sich nach einiger Zeit des Schweigens, ehe er den Kopf gen der Kleineren lehnte. Ihm waren natürlich nicht ihre Verhaltensweisen und Routinen verborgen geblieben, und er war eben ein von Grund auf wissbegieriger Mensch.

"Jenny, warum das Handtuch an der Tür unten?", fragte er unvoreingenommen, er wollte nur wissen, warum sie das machte.
Nie entfernte er das Handtuch,
er nahm es einfach hin.
Sie zog die Schultern leicht hoch.

"Damit das Flurlicht nicht reinkommt und ich mich sicher fühle, so ne Art Schutzraum.", antwortete sie.

Lächelte dann leicht nachdenklich.
"Eigentlich ist es irgendwie das Gegenteil...." Ihre Mundwinkel zuckten kurz nach oben, ihr Gesichtsausdruck wurde leicht bitter.
"Warum das?", hakte Jako nach.
"Weil ich eigentlich vor mancher Dunkelheit Angst habe, seitdem...ich mein so richtig große Angst. Und dann will ich keine Lichtstrahlen hereinlassen."

Sie schien zu überlegen.
"Oder es ist doch eher zum Schutz. Aber wohl eher als Symbol.
Ich glaube kaum, dass ein Handtuch mich vor bösen Leuten beschützen könnte.", meinte sie schließlich kopfschüttelnd und mit einem gutem Hauch Sarkasmus.

Eine weitere Pause entstand.
"Aber ich kann es versuchen,
für dich, oder?", hakte Jako leise nach, ihm gefiel ihre Tonlage nicht, sie stellte gern und bewusst ihren Selbstwert unter den der anderen, weil sie sich noch lange nicht so wichtig wie andere empfand.

Eine lange Pause entstand.
Jakos Frage blieb mehr unbeantwortet und beide hingen ihren Gedanken nach.

Irgendwann erhob Jenny sich vom Bett und verließ das Zimmer, die Tür ließ sie offen. Jako zog sich in der Zwischenzeit bequeme Klamotten zum Schlafen an, er hatte die ganze Weile Jeans und Shirt getragen.
Keinen Augenblick später hörte er schnelle Schritte und die Betätigung eines Lichtschalters, vermutlich vom Flur, ehe ein flinker, blasser Schatten namens Jenny das Handtuch wieder an die Tür schob, offensichtlich angespannt und ängstlich.

Auf leisen Sohlen kam sie auf ihn zu, setzte sich neben ihn auf den Bettrand , zog die Mundwinkel nach unten und hatte die Arme um ihre Taille geschlungen, den Körper unsicher nach vorne gebeugt.
"Kannst du mich ganz fest umarmen, damit ich keine Angst haben muss? Dann kann ich dir vielleicht irgendwie erklären, was ich gesehen habe."

Jako nickte stumm, warf ihr einen kurzen Seitenblick zu, ehe sie es sich zuerst auf dem Bett gemütlich machten, Jako die junge Frau und sich zudeckte und sie schließlich an sich zog und merkte, wie sie sich ein wenig aus ihrer angespannten Haltung löste. Dennoch schlug ihr Herz noch recht schnell und ihr Atem hatte sich noch nicht komplett beruhigt. Also strich Jako eine Weile beruhigend mit dem Daumen über ihr Schulterblatt, bis Jenny etwas ruhiger atmete, ihre Umarmung ein bisschen löste, um ihn besser ansehen zu können. Ehe sie zu erzählen begann.

"Ich sehe nie eine echte Gestalt, aber ich habe häufig das beklemmende Gefühl, dass mich irgendwas Dunkles beobachtet, immer. Ich habe zum Beispiel auch Angst, verfolgt zu werden, dass mich irgendwann etwas viel Mächtigeres einholt und mich zu sich holt. Ich hab Angst vor dunklen Zimmern, wo die Tür offen steht. Ich bekomme richtig Angst, diesem dunklem Raum den Rücken zuzukehren, gerade wenn es schon draußen dunkel wird. Dann spute ich immer ganz schnell und bin erst in meinem Zimmer sicher."

Sie gab ihm kurz Zeit, das Gesagte aufzunehmen, ehe sie Jako wieder in die Augen sah. Unsicher und ein bisschen neugierig.

"Kannst du das nachvollziehen?"

Jako befeuchtete nachdenklich die Lippen, ehe er umhin kam, dass er solch eine Situation nicht kannte.
Klar, vor der Dunkelheit Angst zu haben oder allein irgendwo zu sein war ihm nicht geheuer, das passierte aber größtenteils in seiner Kindheit, als er zu sehr herumtrödelte in der Umkleide, wenn er beim Leichtathletik-Kurs für Kinder war, und da hatte er Angst, dass man ihn mit den Monstern aus den Schatten einschließen würde, und spätestens dann zog er sich sehr schnell den Rest seiner Kleidung an und sputete aus der Turnhalle.

"Nur aus meiner Kindheit, aber heute hab ich keine Angst mehr vor Schatten.", antwortete er wahrheitsgemäß, während die Lider seiner guten Freundin sich leicht nach unten neigten.

"Glaubst du, dass diese Angst irgendwann weggeht?", fragte Jenny.

"Ich wünsche es dir sehr.", meinte Jako zuversichtlich lächelnd, ehe er das Bett kurz verließ, um das Deckenlicht zu löschen, vorerst aber nicht das Nachttischlicht.
Jenny wartet mit Schwein währenddessen im Bett, bis Jako zurück war, ehe beide von ihnen Arm in Arm eingekuschelt, mit Schwein in der Mitte, für sich nachdachten oder einfach nur an die Decke sahen.

"Danke, Jako.", murmelte Jenny noch leise an seiner Armbeuge, hörte das Entgegnete 'Alles gut', sowie ein liebevolles Streicheln über den Arm, ehe beide wenig später entspannt lächelnd in ihre eigenen Traumwelten glitten.

Ohne Schatten und Monster.

Ich weiß ja nicht.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt