Mutprobe - Bloody Mary - Kapitel 3

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Nach einem lustigen Brettspiel und zwei weiteren Gläsern Sekt und einem selbstgemachten Salat von Amilia beschließen alle, sich eine Mütze schlaf zu gönnen. Jeder schläft neben jemandem, aus Platzgründen, soviel Schlafmöglichkeiten gibt es dann auch nicht, dass jeder sich einzeln hinlegen kann. Christine bestand darauf, sich neben Claire zu legen, damit hatte niemand Probleme. Maria und Natascha legten sich demzufolge nebeneinander. Amilia und Isabella zogen sich sowieso zurück und verbrachten die Zeit noch mit kuscheln und dem Austausch von zärtlichen Küssen und Liebkosungen, bevor sie einschliefen.
Niemand ahnt, dass eine siebte Person mehr oder weniger sich im Haus befindet und sie beobachtet. Mary wartet, beobachtet die Personen. Was denkt sie? Was fühlt sie?
Mary war einmal jemand anderes. Glücklich, zufrieden, eine vollkommen lebenslustige Frau. Das, was sie tötete, lässt sie bis heute nicht ruhen und lässt sie ewig leben im Reich der Spiegel, gefangen für die Ewigkeit. Ihre Gedanken sind nur erfüllt von dem Wunsch des Tötens. Keine Emotion, keine Gedanken, nichts. Ein leeres Wesen ist sie geworden, ohne Verstand. Mary ist mächtig. Selbst wenn sie das Haus verlassen, würden sie nicht weit kommen. Jedes Flecken, in dem man sich spiegelt, ist ihr Revier. Nirgends wäre man vor ihr sicher. Das einzige was eigenartig an der Frau mit den schwarzen Haaren wirkt, sind die blutroten Augen, aus denen eine große Menge Blut fließt.


Natascha ist von Alpträumen geplagt. Sie wacht gegen zwei Uhr in der Nacht auf und steht auf. Maria schläft tief und fest, wie ein Stein und das soll auch so bleiben. In ihrer Nachtkleidung, beschließt sie auf Toilette zu gehen. Verdammt, sie hätte vor dem Schlafen gehen noch einmal das Bad aufsuchen sollen. Sie geht eine Treppe nach oben, knipst das Licht im Bad an und verrichtet ihr Geschäft. Wie es sich gehört, wäscht sie sich anschließend die Hände und trocknet sich ab, als sie geistesabwesend eine Gestalt sieht. "W...was zur Hölle?" Sie schaut in den großen Badezimmerspiegel über dem Waschbecken, wo Maria vorhin dieses dämliche Ritual durchgeführt hat. Aber das, was Natascha da sieht, lässt sie mehr als Zweifeln. In dem Spiegel steht eine Frau mit dem Rücken zu ihr. Sie ist schlank, hat langes, schwarzes, gepflegtes Haar und kränklich blasse Haut. Sie reibt sich die Augen und als sie wieder hineinsieht, erschrickt sie und tritt ein paar Schritte zurück. Ihr Gesicht ist schön, beinah makellos, wenn aus den Augen nicht Blut tropfen würde und diese schwarz wie die Nacht wären. "Ich glaub, ich spinne. L...". Gerade, als sie ihre Freundinnen um Hilfe rufen will, da kann sie plötzlich nicht mehr sprechen. Sie spürt nach einigen Sekunden einen Schmerz und Blut in ihrem Mund. Öffnen kann sie diesen noch, aber was da herausfällt, erschrickt sie umso mehr. Ihre eigene Zunge.
Panisch will sie das Badezimmer verlassen. Sie kann sich nicht erinnern, die Tür geschlossen und abgeschlossen zu haben, denn es gibt hierfür keinen Schlüssel. Sie hämmert gegen die Tür, aber sie scheint sämtlichen Schall zu verschlucken. Mary. Also sind die Märchen doch wahr.
Sie hämmert weiterhin panisch gegen die Tür, sackt aber weinend auf dem Boden zusammen. Es ist sinnlos. Es ist, als würde sie gegen eine Gummizelle klopfen. Sie will nicht sterben. So viel möchte sie noch in ihrem Leben erreichen: Ein Job, einen Mann haben, ein Haus und ein paar Kinder, aber das alles schwindet vor ihren Augen, vor allem, als aus der Badewanne Blut tropft. Sie beschließt, dort zu bleiben, sich nicht zu bewegen, den der Legende nach kann Mary einen nur durch Spiegel betrachten. Also würde sie hier ausharren, bis der Wahnsinn hoffentlich ein Ende hat. Sie schwitzt stark, ihre Hände zittern. Wie lange sitzt sie hier schon? Wenige Minuten? Stunden? Es gibt kein Zeitgefühl mehr für sie, nur noch überleben spielt eine Rolle. Sie rüttelt erneut an der Tür, hämmert dagegen, aber nichts hilft. Selbst mit aller Kraft dagegen werfen bringt nichts, als wären die Türen urplötzlich aus Stahl. Sie rüttelt panisch an der Türklinge, ohne daran zu denken, dass sie sich in darin spiegelt. Sie starrt voller Angst darauf, sie will doch nur hier heraus. Mary übersieht sie, welche sie einfach nur anstarrt und ihr Werkt mithilfe von Gedanken verrichtet. Sie muss sich nicht bewegen, auch, wenn sie es könnte.
Natascha greift sich an den Bauch, während sie ihr Augenlicht verliert. Ihr Gesicht wird von einer warmen Flüssigkeit bedeckt, genau, wie ihr Bauch. "Ich sehe nichts mehr, ich sehe nichts mehr", schreit sie panisch in ihrem Kopf. Sie taumelt zurück und fällt vor die Blut befüllte Badewanne. Ihr Augenlicht... Das kann einfach nicht wahr sein, es ist nicht mehr da. Wo ist es hin, warum, fragt sie sich hektisch. Doch diese Frage wird ersetzt mit dem Drang zu überleben. Aus der blutgefüllten Wanne taucht eine Hand auf, still und leise, ohne ein Geräusch zu verursachen. Natascha wird grob am Nacken gepackt und in die Wanne gezogen. Sie versucht, sich krampfhaft aus der Flüssigkeit zu befreien, schlägt wild um sich und will sich den Wannenrand hochziehen, doch alles was sie unternimmt, endet damit, dass Marys Hand nur noch gnadenloser wird. Ihre Luft wird dünner, ihr Körper versagt sämtlichen Dienst, je länger sie im Blut einer unbekannten Person verweilt. Ihr Bewusstsein trübt sich, sie verliert den Kampf ums Überleben. Schließlich verliert sie das Bewusstsein. Mary verunstaltet sie noch ein wenig, indem sie den Bauch aufschlitzt und ihr ein Ohr gewaltvoll abreißt. Anschließend wirft sie die Leiche von Natascha aus der Wanne. Mit ihrer Macht öffnet sie die Tür wieder, lässt aber das Blut nicht verschwinden.

Amilia gähnt und erwacht aus ihrem Schlaf, als sie im Gesicht gestreichelt wird. "Guten Morgen", begrüßt Isabella sie sanft. "Morgen", antwortet Amila halb schlafend, aber sie erwacht ziemlich schnell, als sie in einem Kuss gefangen ist. Beide Herzen pochen glücklich und schnell, als sich ihre Lippen treffen und sie Zungen ihre Zungen vereinen. Schwer atmend lösen sie sich voneinander. "Du liegst schon wieder auf mir Isabella."
"Hmmm, stimmt. Das passiert ziemlich oft, oder?" Gerade als Isabella zum Kuss ansetzen will, klopft es an ihrer Tür. Genervt wendet sie den Kopf von Amilia ab, von der sie nicht genug bekommen kann. "Was ist denn? Muss das sein?" Claires Stimme ist von der anderen Seite zu hören. "I...ich...". Sie reißt die Tür auf und schaut die beiden an, die sich in einer Position befinden, die eigentlich keiner sehen soll. "Gehts noch", schnauzt Isabella sie an. "Entschuldigt, aber ich würde nicht stören, wenn... Kommt mit." Ihr Gesicht ist käseweiß und sie sieht ziemlich verstört aus. Isabella und Amilia folgen ihr. Was mag wohl vorgefallen sein?

Maria und Christine hocken zusammengekauert auf dem Sofa. Christine wirft ihr ab und an hasserfüllte Blicke zu. "Das ist deine dumme Schuld. Wenn wir das hier durchstehen, reiß ich dir den Schädel ab." Maria sagt nichts, kein Wort, Amilia und Isabella werden nicht einmal begrüßt. Claire bringt die beiden vor das Badezimmer. "Ich weiß nicht wie ich es sagen soll. Es fiel mir bei den beiden schon schwer. Hört mich erst an, bevor ihr dort rein geht." Amilia ist sichtlich besorgt und ungeduldig. "Was ist den passiert? Warum darf ich da nicht rein?" Die Studentin der Medizin schluckt schwer. "Weil ihr zwei Sachen verstehen müsst. Wir haben alle ein verdammt großes Problem. Bloody Mary... also... sie gibt es."
Das verliebte Paar schaut sich verwirrt an. "Witziger Streich. Sonst noch was?" Isabella ist langsam echt ungeduldig, aber erschrickt, genau wie ihre Freundin, als Claire einen Handspiegel aufklappt und diesen nach einigen Sekunden wieder schließt. Kurz, aber sehr deutlich sahen sie darin eine Frau in Weiß, mit langen, schwarzen Haaren und blutverschmierten Augen. Schnell packt sie den Handspiegel wieder weg. "Sag mir nicht, dass das wahr ist. Sag mir bitte, dass ich schlafe und mich meine Isabella wach küsst". Amilia steht wie angewurzelt an Ort und Stelle, völlig verängstigt. Isabella geht es nicht anders, aber sie umarmt ihre feste Freundin, um ihr Kraft zu geben, obwohl sie gerade selber genug benötigt. "Es tut mir leid ihr beide, aber es ist nun einmal so. Und was das Badezimmer angeht...". Tränen fließen ihr Gesicht hinab. Tränen der Angst und Trauer. "Natascha ist...". Sie kann nicht zuende sprechen, sie fängt an zu weinen und kauert sich auf dem Boden zusammen. "Oh Gott."
Isabella öffnet vorsichtig die Badezimmertür, um einen Blick hineinzuwerfen. Amilia gibt ein erschrecktes Geräusch von sich und sogleich verdeckt Isabella ihre Augen, damit sie das nicht sehen muss. Die Badewanne ist voller Blut, aus Natascha hängt ein Großteil der Eingeweide heraus und ihr Ohr fehlt. Außerdem ist ihr Gesicht kaum mehr erkennbar. Es ist vollkommen verstümmelt. Natascha ist tot.
Amila heult und presst sich an Isabella, die zwar nicht weint, aber dafür ziemlich bleich ist. Mary. Es gibt sie also doch. Sie hat sie erblickt, für einen kurzen Moment. Jeder Spiegel ist eine Gefahr, jede Türklinge, jede Pfütze Wasser und sie will gar nicht wissen, was es mit dem Blut auf sich hat.


Christine schaut sie wütend an. "Maria. Wegen deinem beschissenen Spiel ist Natascha tot. Ich würde dich am liebsten gerade blau schlagen, aber das ist nicht der richtige Weg um zusammen durchzuhalten. Aber dann kannst du dich auf was gefasst machen. Glaube mir, dass ich dich wirklich sehr, sehr hasse." Sie sagt dies alles völlig ruhig und gelassen, aber Maria trifft es trotzdem. "Aber ich wusste doch nicht... Ich dachte, es wäre nur ein dummes Spiel."
Die Frau mit den vielen Piercings und Tattoos lacht spöttisch auf. "Ja, nur ein dummes Spiel. Du hast ja recht. Wie blöd bin ich. Natascha ist ja nur tot und Mary ist hinter uns her, wenn wir in einen Spiegel sehen. Ja, entschuldige, alles in Ordnung Maria." Nach diesem Satz steht diese auf und schaut aus dem Fenster. Ein sonniger, schöner Tag, wenn er nicht so tragisch begonnen hätte. Was hat sie den falsch gemacht? Woher hätte sie wissen sollen, dass es Geister gibt, dass es Bloody Mary gibt? Hätte sie doch nur nicht diese dumme Idee gehabt und stattdessen den Midnight Man beschworen. Oder noch besser: Warum hatte sie es nicht einfach lassen können? Plötzlich geht ein Schmerz durch sie. Sie fühlt, als würde sie etwas im inneren zerteilen. Sie schaut in die Ecke des Fensters. Mary. "Christine...Hilfe...", presst sie leise heraus, ehe sich ihr Körper zweimal sauber in der Mitte durchteilt. Die beiden Hälften krachen jeweils auf eine Seite. Christine schreit auf und sofort eilen Claire, Amilia und ihre Künstlerfreundin zum Ort des Aufschreis. Um erneut geschockt zu werden. "MARIA!" Amilias brüllen wäre im freien meilenweit zu hören gewesen und sicherlich auch bei den Nachbarn, wenn Mary nicht dafür sorgen würde, dass kein Geräusch nach außen dringt.

Mutprobe - Bloody Mary [Abgeschlossen]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt