Mutprobe - Bloody Mary - Kapitel 4

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Claire und Isabella schafften die Leichen fort. Begraben war unmöglich, niemand konnte das Haus verlassen. Selbst, wenn sie Raketenwerfer hätten, wäre die Wand nicht zerbrochen. Mary hält sie nicht nur hier fest, sämtliche Telefonleitungen sind tot. Nur der Strom funktioniert. Uhren sind allesamt stehen geblieben, als es wieder Nacht wurde. Die Zeit ist wie eingefroren. Die neue Nacht hat kein Ende.

Da sich kein Spiegel zerbrechen ließ, schalteten sie das Licht an und deckten alle, wirklich alle Spiegel, Klingen zu. Worin man sich auch spiegelte, sie klebten es ab. Kurz sahen sie nur Mary, wenn sie einen Spiegel abdeckten. "Meine Handyuhr. Sie ist stehen geblieben", meint Amilia gefühlslos. Warum sie? Was bringt Mary dazu, sie zu töten? Was nur? "Scheiße. Scheiße. Scheiße." Zum Glück konnte sie mit ihrem Handy noch in das Internet, wie auch immer das gehen soll. Warum blockiert Mary das nicht auch? Was hat sie vor?
Alle sitzen auf dem Sofa. Isabella bewahrt von allen die meiste Ruhe. "Ich weiß, es ist mehr als schwer, dass alles zu verkraften, aber wenn wir die Scheiße hier überleben wollen, müssen wir Mary loswerden. Irgendwie. Hat jemand einen Vorschlag?"
Christine meldet sich zu Wort. "Ein Umkehrritual?" Nein. Da waren sich alle einig, bevor Mary noch Unfug anstellt. Selbst das Bad ist tabu, als sich die Badewanne füllte, als Claire nur kurz auf Toilette war. "Dann musst du im Internet suchen Isabella. Andernfalls verhungern wir irgendwann. Solange wir hier sitzen, passiert uns nichts. Solange wir zusammenhalten und in keinen Spiegel schauen, kann und Mary nichts anhaben. Wir müssen sie irgendwie loswerden. Nur wie? Die Spiegel lassen sich nicht zerschlagen und selbst wenn, würde sie uns sicher bis ans Ende des Universums verfolgen. Was sollen wir tun?" So richtig eine Idee hat keiner. Alle schweigen sich an, niemand redet ein Wort. Der Blutfleck, an dem Maria starb, ist im Teppich eingetrocknet. Ein Zeugnis, der Schrecken, die hier passiert sind. "Fuck! FICK DICH", schreit Amilia und wirft ihr Handy weg. Alle schauen sie besorgt an. "Deshalb hat sie den Funk angelassen. Sie kann uns darüber auch entdecken. Scheiße." Ungünstiger weise hat sie das Handy so geworfen, dass das Display sichtbar ist. "Keiner schaut das Ding an", ermahnt Claire sie und geht mit geschlossenen Augen darauf zu. Sie zieht sich ihr Shirt aus, um es darüber zu werfen. Das würde Mary den Sieg kosten. Doch, eine unsichtbare Macht, zwingt sie die Augen aufzureißen. "Ehm, ich kann meinen Körper nicht kontrollieren. SHIT!" Mary. Claire. Auge in Auge. "Kill mich, Drecksschlampe. In der Hölle reiße ich dir deine Eingeweide heraus Mary." Claire versucht, keine Angst zu zeigen. Ihr Arm blutet aus der Schulter. Zum Glück tötet Mary sie langsam, sodass Isabella weiteres verhindern kann. Sie tritt mit aller Kraft auf das Handy, welches zerbricht und Mary verschwinden lässt. "Hey Claire. Alles in Ordnung? Du hast ganz komisch gesprochen. Latein vielleicht oder etwas Älteres."
Was? Nein! Sie hat eindeutig Englisch gesprochen. Eindeutig! Hat Mary etwa ihren Kopf verdreht, ihre Stimme verzerrt? "Ja, alles klar. Meine Schulter blutet nur, aber alles in Ordnung. Wisch es bitte weg, sehe aber nicht hinein." Es ist schon beinah krankhaft, mit welcher Präzision sie in nichts hineinschauen. Kein Blut, keine Spiegel, nichts. "Leute? Was zur Hölle ist das?" Amilia ist käseweiß und zeigt auf die Wand, der sie alle den Rücken zeigen.
"Ich sehe euch", liest Christine laut vor. Mit Blut an die Wand geschrieben, doch noch weitere Zeilen fügen sich hinzu. "Seht euch selbst im Spiegel und erblickt eure Sünden. Es gibt kein Entkommen", heißt es weiter. Hier endet die Schrift. "Scheiße, was willst du von uns? Nur weil wir dich beschworen haben? Hast du nichts anderes zu tun? Gott verdammt Mary, fahr doch zur Hölle und verreck dort!" Das Christine flucht, ist Mary egal. Es war an der Zeit, dieses sinnlose Spiel zu beenden. Der Wasserhahn in der Küche platzt und beginnt, das Haus langsam aber sicher zu fluten. "W...was war das? Ich höre... Sag jetzt nicht, die dumme Schlampe...". Isabella eilt in die Küche. Doch. Sie tut es. Wasser. Ausgerechnet Wasser. Das war es also. Mary würde auf kurz oder lang das Haus fluten. Selbst mit geschlossenen Augen haben sie keine Chance. Ertrinken wäre ihre Todesursache. Türen verbarrikadieren erweist sich als sinnlos. Mary hatte schon mehrmals bewiesen, dass sie Türen öffnet und schließt, wann und wo sie will. Das ist ein Problem, ein riesiges. Mary will es beenden. Isabella eilt schnell zurück und berichtet den anderen, was passiert ist. "Wir müssen das Rohr verstopfen", heißt es. "Löcher müssen wir buddeln", heißt es. "Wir können nicht entkommen, oder," stammelt Amilia vor sich her. Sie wollte doch noch viel Lieben, Isabella glücklich machen, sie küssen und die zahllosen Nächte genießen. Heiraten wollte sie diese Frau in ein paar Jahren, ein schickes Haus haben und die Welt entdecken. Das war ihr Traum. Tränen rennen ihr Gesicht hinab. Alles zerplatzt, alles schwindet. In wenigen Stunden oder wann auch immer sind sie alle tot. Keine Liebe, keine Freude, kein inniges Liebesspiel, nichts mehr. Es ist vorbei. Isabella schmiegt sich tröstend an sie und auch Claire und Christine halten Händchen, aber niemand glaubt an ein entkommen. Es gibt keines. Mary hatte von Anfang an gewonnen. Es gab keine Möglichkeit, den Kreislauf zu brechen.

Mary wartet. Wasser würde sich zu Blut verwandeln, sobald der Pegel hoch genug steht. Es würde kein Entkommen für diese Sterblichen geben. Mary lächelt nicht, fühlt nichts, denkt nichts. Nur der Tod derer, die sie rufen und verspotten wie einst vor vielen hundert Jahren steht im Fokus. Mary weint nicht umsonst Blut. Sie weinte schon immer. Dieser Fluch, dieser Gedanke plagt sie schon ewig. Sie ist gefangen im Kreislauf des Tötens derer, die sie verspotten. Ein Fluch, den sie sich selber zu verschreiben hat. Endlose Qual. Die einzige Befriedigung sind Menschen, die sie qualvoll zerfetzt und hinrichtet. Diese Frauen zu töten ist nichts weiter als das Zeugnis ihres eigenen Fluchs, immer wieder töten. Wieder. Wieder. Wieder. Ewig gefangen in der Welt der Spiegel ohne Chance auf Freiheit. Mary. Eine brutale, aber traurige Gestalt. Ihre Geschichte ist umso tragischer...

Mutprobe - Bloody Mary [Abgeschlossen]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt