Mutprobe - Bloody Mary - Kapitel 6

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"Mary, lass es sein, bitte. Diese Unschuldigen Kinder? Willst du sie alle töten? Wo sie sich doch lieben?" Astrid konnte Mary nicht allein lassen, als sie durch sie getötet wurde. Sie dient als Übertritt in die menschliche Welt, aber auch als die einzige Stimme, die Mary noch hatte. Sie hörte die Stimme, ja, Astrids Stimme, tief im inneren hörte sie diese, will zu ihr, sie umarmen, sie küssen. Aber Marys Geist ist nichts weiter als ein Trümmerhaufen. Der Schmerz vor so vielen Jahren hatte sie am Leben gehalten, ihren Hass nur gesteigert, ihre Brutalität ist grenzenlos. Sie selbst denkt, sie ist rechtschaffen, bestraft ungerechte Menschen, dabei sieht sie selbst nicht, was aus ihr geworden ist. Sie ist hübsch wie damals, ohne zertrümmertes Gesicht, zum Preis ihrer reinen Seele. Hunderte Tote gehen auf ihr Konto und sie kannte kein Ende. "Mary. Bitte nicht. Tu es nicht." Astrid fleht sie jedes Mal an es nicht zu tun. Jedes Mal tötete sie Astrid, um eine kurze Zeit in die Menschenwelt zu gelangen, aber sterben? Nein. Sie hatte begriffen, dass Mary sie benötigt, so wie Astrid nichts mehr als die alte Mary will. Aber um sie zu befreien, ist mehr nötig als sie anzuschreien und ihr Vorträge zu halten. Marys schwarzes Haar hängt vor ihrem Gesicht, die Blutstränen wandeln sich vor Astrid in echte Tränen. Ihre Hand schnellt vor und durchbohrt Astrid zum... wie oft war es jetzt? Astrid hatte vergessen, ab vier Dutzend weiter zu zählen, eher aufgegeben. Blut fließt ihren Körper hinab, aber wenn Mary zurück sein wird, dann würde sie wiedererwachen, als wäre nie etwas passiert. Sie kann Mary nicht stoppen. Sie muss sich selbst sehen, ihr eigenes Spiegelbild.

"Los, alle nach oben. Schnell!" Isabella übernahm das Kommando, obwohl sie nicht die Verantwortliche sein will für die Sicherheit, denn es gibt keine. Das Wasser aufzuhalten erweist sich schnell als sinnlos. Panisch, aber jeder auf den anderen achtgebend, rennen sie nach oben, in die hinterste Tür, dass Schlafzimmer ihrer Eltern. Christine will gerade die Tür öffnen, als Amilia laut aufschreit. Mary. Die Frau in Weiß steht wahrhaftig vor ihnen. Ihr Gesicht tropft Blut hinab, es ist aber nicht zu sehen, die schwarzen Haare und das gesenkte Haupt geben keinen Blick darauf. "Fuck", flüstert Christine traurig zu sich selbst. Marys Krallenhand schnellt vor und greift sich Christine. Mary stürmt an allen vorbei und stürzt mit ihr in das Wasser, das nirgends abzufließen scheint und bereits die Treppe in das obere Stockwerk eingenommen hat. "CHRISTINE! NEEEEEIN!" Claire schreit pure Verzweiflung hinaus, wahnsinnige Trauer. Sie liebte diese Frau, aber die Gelegenheit es ihr zu sagen wurde ihr genommen. "GOTT DU ELENDE HURE, GIB SIE MIR WIEDER!" Claires Tränen scheinen endlos, ihre Wut und ihr Hass unbeschreiblich. Das Wasser färbt sich komplett rot, Christines lebloser Körper schwebt an der Oberfläche. Claire, die zwischenzeitlich auf die Knie gesunken war, erhebt sich wieder, ihr Gesicht vor Wut verzerrt, hasserfüllt. Wozu noch leben? Sie wollte eigentlich die Nacht, wo alles noch normal war, mit ihr tanzen und sie heimlich küssen. Doch das und ihre treibende Kraft, es wurde ihr genommen. Sie dreht sich zu Amilia. "Hat dein Vater die Schrot noch", fragt sie ohne besondere Stimmbetonung. Amila selbst war kurz vor einem Zusammenbruch. Alle ihre Freunde starben nach und nach. Sie will nicht mehr. Sie will Claire am Leben wissen und ihre Isabella, welche vor Schock käseweiß geworden ist und stocksteif auf Christines schwimmende Leiche schaut. "Was... Was hast du vor?"
"Frag nicht so blöd, geh sie holen und ihr verbarrikadiert euch. Was blutet, kann sterben. Also macht hin, ist das klar?" Claires Augen sind gläsern, traurig. "Claire, du..." Sie kann nicht weitersprechen. Claire umarmt sie plötzlich verflucht stark. "Scheiße, ihr seid echt das beste in meinem Leben gewesen. Mit euch hat die ganze Kacke am meisten Spaß gemacht. Jetzt gibt mir die Waffe und verbarrikadiert euch. Ich hatte nicht die Chance zu sagen, wen ich liebe, aber ihr habt es. Außerdem, falls ich es schaffe, habt ihr ein Leben, zwar eines mit traumatischen Erlebnissen, aber ihr könnt heiraten, ihr könnt knutschen und... du weißt schon." Amilia fängt wie Claire und Isabella an zu weinen und zu schluchzen. Claire würde sterben, sie würde sterben, mit Isabella. In Wahrheit will Claire nur Zeit erkaufen, damit die beiden sich ein letztes Mal in die Arme nehmen können, sich küssen können. "Claire..."
"Jetzt geht schon. schmeißt das Ding mir zu. GEHT!"
Isabella und Amilia rühren sich nicht. Wieso sollen sie Claire allein lassen? Ihre Freundin? "Verdammt, geht und verabschiedet euch. BEWEGT EUCH GEFÄLLIGST!" Isabella heult ebenso lautstark wie Amilia, welche mitgezogen wird von ihrer festen Freundin. "LASS MICH LOS ISABELLA! CLAAAAAAIRE!" Schweigend wirft Isabella die Flinte zu Claire. So viel wie Amilia schreit, Isabella würde sie nicht gehen lassen. Langsam schließt sie die Tür und das letzte, was beide sehen, ist Claires trauriges Gesicht und ihre letzten Worte, die sie hören: "Danke für die schöne Zeit. Ich liebe euch beide so unendlich."


Isabella stellte Möbel für die Tür. Man hört Schüsse, Holz, welches zerstört wird und schlussendlich Claire, die nach diesem Schrei nie wieder aufschrie. Stille. Amilia und Isabela sitzen eng aneinandergeschmiegt. Sie weinen noch immer und liegen sich in den Armen. Man hört, wie sich etwas gegen die Tür wirft, sie zum Einbrechen bringen will. Mary war gekommen. "Weißt du noch, Amilia, als wir uns das erste Mal geküsst haben? Also nicht in der Schule, sondern das erste richtige Mal?" Amilia hört zu, schnieft aber etwas, wissend, dass es unvermeidbar ist, Mary zu entkommen, die gegen die Tür hämmert. "Weißt du noch, wo das war?" Das hämmern wird immer heftiger und Amilia kann nicht antworten. Wie kann sie nur so gelassen bleiben und ruhig mit ihr reden? "Na komm. Wo war das?"
"Am See, du hast eine Blume im Haar getragen und mich gemalt...", antwortet Amilia traurig. "Gut. Und danach hatten wir bei mir unsere erste gemeinsame Nacht. Weißt du noch, wie es sich angefühlt hat? Wie unsere Herzen wild schlugen, wir sinnlich stöhnten Amilia? Weißt du das noch?" Ein stummes nicken ist die Antwort auf ihre Frage, die Amilia logischerweise im Schlaf beantworten kann. "Du hast mich an diesem Tag zu der glücklichsten Frau der Welt werden lassen." Amilia schaut ihrer Geliebten in die Augen, eher verzweifelnd aussehend. "Warum erzählst du das alles jetzt? Warum gerade jetzt?" Die Barrikaden und die Tür geben langsam nach. Marys Kralle ist schon durch die Tür gedrungen. Nicht mal eine Minute und sie würde beide aufschlitzen. "Warum jetzt? Mit diesen Erinnerungen sollen wir beide sterben. Und jetzt halt den Mund Amilia und küss mich." Schon presst Isabella ihre Lippen auf die von Amilia, schnell finden sich ihre Zungen, umschlingen sich wild und begehrend, wie bei ihrem ersten gemeinsamen Mal. Es war einer der besten Küsse, die die beiden miteinander hatten, wahrscheinlich ihr letzter. Viel zu kurz ist der Kuss, als Isabella ihn löst und sie schaut Amilia verliebt an. Ihre Worte sind nicht die drei magischen, sondern andere. "Denke an unser erstes Mal, auf dass du es auf der anderen Seite immer wieder erlebst mein Engel." Schon springt Isabella auf, günstiger Moment, den Mary hat die Tür samt Hindernissen beseitigt. Für Amilia läuft alles in Zeitlupe. Ihr Schrei voller Qual, die Hand, die sie nach ihr austreckt scheint Isabella nicht zu sich zurückzuholen. Sie wirft sich Mary entgegen, schlägt auf die ein, Tritt auf sie mehrfach ein und sie verschwinden beide aus Amilias Sichtfeld. Sie hört eine Weile Geräusche, dann nichts mehr. Sie kauert sich zusammen, winkelt die Knie an. Sie denkt an das erste Mal mit Isabella, wo sie beide so unglaublich zeitgleich ihren Höhepunkt hinaus brüllten. Es war fantastisch. See ruft sich die Berührung ihres Sanktums, ihrer Lippen, ihrer Brüste und ihres ganzen Körpers in Erinnerung. Was für eine Traumfrau, was für eine wundervolle Frau. Voller Liebe, Kreativität, voller Treue und... einfach allem, was man sich vorstellen konnte. Sie hatte schon Bilder, wo beide in weißem Hochzeitskleid auf der Schlossmauer laufen, Isabella sie hochhebt, sie küsst, sie im Kreis dreht. Das waren ihre Träume, ihre gemeinsamen. Ihr Traum zerspringt wie Glas. Das schlurfende Geräusch Marys nähert sich ihr. Ihre Gedanken um Isabella verschwinden. Mary nähert sich ihr langsam, die Hand bereits ausgestreckt. Amilia sucht Gegenstände, mit denen sie Mary abwerfen kann. Sie trifft diese am Kopf, an der Brust, an den Beinen, aber dies scheint ihr egal zu sein. Die letzte Überlebende wird am Hals gepackt und gewürgt. Amilia schlägt mit dem kleinen Handspiegel, dessen Tuch heruntergefallen ist, mehrmals auf sie ein, aber nichts passiert. Die Luft wird enger, die Schläge schwächer. "I...Isa...bell...a. Hilfe...", haucht sie ganz schwach. Der Spiegel senkt sich heran auf ihre Brust. Langsam schließt sie die Augen, nur um plötzlich auf den Boden fallen gelassen zu werden und stark Luft zu holen, aber, warum zur Hölle lebt sie noch? Sie schaut auf... "Mary?" Ihre Klauen sind verschwunden, ihr Haar ist hinter ihrem Gesicht. Wässrige Tränen rennen ihr Gesicht hinab, Tränen der Reue, des Schmerzes. Ihre gruselige Aura ist verschwunden, sie trägt nur ein weißes Gewand. Amilia fällt auf wie wunderschön Mary ist, wirklich wunderschön. Sie schaut in den Handspiegel auf den Boden. "Das bin... ich. Ich bin das Monster." Im Spiegel sieht sie sich selbst, als Monster, Kreatur, die Menschen umbrachte, Leben raubte, zu dutzenden und hunderten. "Astrid. Was habe ich getan? Was habe ich getan? Ich habe jeden getötet. Meine Freunde, Lehrer, meine Eltern und dich. Doch du bist nie weg gewesen, als ich dich persönlich tötete. Ich hörte deine Stimme, doch sie kam nie im Herzen an, nie." Mary schaut zu Amilia, die verängstigt dreinschaut. Mary Tudor sagt keinen Ton, nicht eine Silbe rennt über die Lippen ihres bezaubernden Gesichtes. Mary weint, der Spiegel vor ihr zerbricht und so wie dieser zerbrach, zerbricht auch sie in kleine Scherben. Amilia beobachtet das Spiel. Hat sie wirklich Mary überlebt? Ist der Fluch aufgehoben? Doch sie beobachtet gleich ein neues Spektakel. Zwei kleine leuchtende Kreise schwirren umeinander, als würden sie sich kennen, der eine kam aus dem kaputten Spiegel, der andere aus Marys Scherbenhaufen. Nach einer kleinen Zeit schwirren sie durch das Dach, außer Reichweite von Amilia. Sie blieb kurz sitzen. Alles war ein gigantischer Trümmerhaufen hier oben. Langsam erhebt sie sich und geht dorthin, wo sie Claire verabschiedet hatten. "ISABELLA", schreit sie lauter als jemals zuvor und rennt auf sie zu. Ein Stück neben Claire liegt sie. "Gott. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Wach auf, wach auf, wach auf. Du darfst nicht schlafen, wach auf. Oh bitte nicht. Bitte..." Sie hält Isabella in den Armen. Ihre Augen sind geschlossen, ihre Lippen zu einem Lächeln, einem warmen Lächeln gezogen. Sie atmet nicht, bewegt sich nicht, ihr Puls pocht nicht vor sich her. Das klaffende Loch in ihrer Brust dürfte ein deutliches Zeichen dafür sein, dass sie schnell gestorben ist. Amilia vergräbt ihr Gesicht in Isabellas Schulter und heult ihre tote Haut voll. Isabella ist fort. Für immer. Die letzten Stunden hatte sie alles verloren, was sie liebte. Christine, Claire, Natascha, Marie. Isabella. Das war das wertvollste in ihrem Leben und sie hatte alles verloren. Niemand würde ihr die Geschichte abkaufen, aber das spielt keine Rolle. Sie verbrachte weinend die nächsten Stunden an Isabellas Leichnam. Immer noch hofft sie, dass die Frau ihrer Träume wiedererwacht. Doch vergebens. Sie ist tot.

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