Kapitel Zwölf: Adissa

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Das Jahr des Wüstenfuchses

Kaum war die Tür aufgerissen worden, stürmte ihnen schon die erste Wache entgegen. Das Mädchen, das sie hatte hinein lassen sollen, musste entdeckt worden sein. Adissa, die zu vorderst stand, reagierte augenblicklich, zog ihr Schwert und streckte den Mann mit einem Hieb nieder. Sie war noch immer in bester Form, stellte sie zufrieden fest.
Sie stieg über die Leiche auf der Stufe hinweg und blickte sich in dem kleinen Raum um, der hinter dem Dienstboteneingang lag. Eine verängstigte Bundi schielte vorsichtig hinter der Tür hervor. ,,Das ging...schnell", murmelte die Bibliothekarin und trat aus ihrem Versteck.
,,Wir sollten weiter, bevor man uns erneut entdeckt", merkte Adissa an. Die Widerstandskämpfer drängten bereits hinter ihr durch die Tür. Bundi nickte eilig und durchquerte den Raum. Sie stolperte eine Treppe hinauf und wies der Wächterin an, ihr zu folgen. Als sie in der Oase erschienen war, war Adissa überrascht gewesen, wie eine so kleine, unscheinbare Gestalt einen solchen Willen aufbringen konnte, um sich dem König zu widersetzen und die Geschichte des Tempels Zohar aufzudecken. Bundi trug einfache braune Gewänder. Ihre dunklen Haare fielen ihr ins Gesicht, ihr Zopf war unordentlich. Sie war absolut unauffällig.
Adissa folgte ihr. Die Mönche sowie Orma und seine Kämpfer stiegen dicht hinter ihr die Treppen hinauf. Die Schritte der Geistlichen waren auf den Stufen kaum zu hören, sie schlichen noch immer, wie auch schon damals im Tempel.
Bundi öffnete mit zitternden Händen eine Tür am Ende des Aufgangs. Sie warf Adissa einen nervösen Blick zu. ,,Gebt auf Euch Acht", flüsterte sie. Das Mädchen war anders als ihr Bruder, sah nicht im Entferntesten aus wie er, doch ihre Worte erinnerten Adissa an die von Hodari, als sie ihn damals im Tempel zum Sterben zurückgelassen hatte. Sie nickte nur.
Bundi trat zurück und ließ sie hinein. Adissa betrat den Thronsaal hielt das Schwert empor und erblickte ihn auf seinem vergoldeten Thron mit ergonomischen Rückenpolstern, König Sangkung. Er war alt geworden. Und dick.
Er hob eine der ergrauten Augenbrauen und blickte aus trüben Augen zu den Eindringlingen hinüber. ,,Was soll dieser Lärm?", fragte er mit dröhnender Stimme.
,,König Sangkung!", rief Adissa und bemerkte, wie Orma und der Mönch Aod neben sie traten. ,,Die Zeit der Tyrannei ist vorbei! Hier und heute werden Sie für Ihre Verbrechen an ihrem Land, ihrem Volk und an dem Tempel Zohar bestraft!"
Stille folgte und ihre bedeutungsschwangere Stimme hallte an den hohen Decken wider. Es lagen noch einige Lampinons und bunte Wimpel von der letzten Feier auf dem Boden. Zwei Dienstmägde, die nicht einmal von ihrer Arbeit aufgeblickt hatten, fegten die bunte Dekoration auf. Sangkung rieb sich die Stirn und stöhnte.
,,All dieser Lärm nur, weil Ihr Euch beschweren wollt? Hättet Ihr nicht einen Brief schreiben können?", knurrte er entnervt. ,,Die letzte Feier ist ja kaum vorbei..."
Adissas Schwertarm zitterte etwas. ,,Einen Brief?", echote sie perplex.
,,Das hier soll eine Revolution sein, du fauler Idiot!", ergriff Orma das Wort und stürmte ohne weitere Rede auf ihn zu. Einige Wachen stellten sich ihm in den Weg. Adissa und die übrigen Krieger taten es dem Widerstandskämpfer gleich und beseitigten die Wachen ohne weitere Schwierigkeiten. Die kleine Gestalt von Aod baute sich neben der Wächterin auf und Hitze wallte zu ihr hinüber, als der Mönch Feuer fing. Seine zu Fäusten geballten Hände entflammten, seine Augen glühten voller Zorn und als er die Arme auseinander riss, schossen Flammen auf einige Mitglieder der Palastgarde und kochten sie in ihren Rüstungen. Atuns Macht war wahrlich bemerkenswert. Doch Adissa erkannte, dass es nicht allein Atun war, der diesen Mönch so mächtig werden ließ. Es war auch Zorn. Aod wollte Rache nehmen für alle, die er damals im Tempel verloren hatte. Ebenso wie Adissa. Sie spürte, wie Hodari ihre Klinge führte, als sie einen der Wachen niederstreckte, die ihr entfernt bekannt vorkam. War es möglich, dass er damals den Tempel überfallen hatte? Sie sagte sich, dass jeder von diesen Soldaten Schuld war, dass jeder von ihnen Zohar angegriffen und Hodari und ihre Freunde getötet hatte. Damals hatten sie nicht einmal ihre eigenen Rüstungen getragen.
Aus den Türen neben dem Thron kamen weitere Soldaten gelaufen, von der lautstarken Revolution aus ihrer Pause geholt. Bevor die Verstärkung jedoch handeln konnte, hatte Orma die Stufen zum Thron bereits mit großen Schritten erklommen und hielt dem König die geschwungene Klinge an die Kehle. Die Narben an seinen nackten Unterarmen zogen sich ungleichmäßig über seine Haut und glänzten im Schein des Sonnenlichts, das durch die großen Buntglasfenster über dem Thron hereinfiel.
Adissa hielt im Kampf inne, so wie alle. Jeder im Saal, außer die desinteressierten Dienstmägde, beobachteten bei angespannter Stille, wie der große Sangkung vor Orma zum Fuße seines Throns tot zu Boden sank. Orma blickte grimmig auf den Mann nieder und hob dann den Blick in die Runde.
,,So, ihr dreckigen Schweinehunde!", rief er. Adissa mochte Orma. ,,Entweder, ihr gebt jetzt auf und lasst die Waffen sinken, oder ihr endet so, wie euer armseliger König!"
Einigen war ihr Leben lieb und sie ließen die Waffen fallen, aber andere zeigten sich unbelehrbar. ,,Du dreckige Kakerlake hast den König getötet!", brüllte einer der Wachen und richtete die Lanze auf Orma. ,,Dafür wirst du bezahlen!" Er stürmte die Stufen hinauf und Aod riss eine Hand hoch, richtete sie auf ihn und ballte eine Faust. Als der Krieger gerade den Fuß auf die dritte Stufe gesetzt hatte, verbrannte ihn Atuns Feuer. Spätestens als seine verkohlten Überreste zu Boden gefallen waren, hatten alle Soldaten die Waffen niedergelegt und waren mit erhobenen Händen auf die Knie gesunken.

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