Kapitel Vier: Aodhan

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Das Jahr der Schlange

Aod wachte mit einem unguten Gefühl im Magen auf. Die sandfarbenen Wände seiner kleinen Kammer boten einen beruhigend vertrauten Anblick, trotzdem verschwand seine Beklemmung nicht. Seine Glieder fühlten sich schwer an, sein Kopf müde.
Mit etwas Mühe setzte er sich auf und blickte aus dem Fenster. Es war noch dunkel. Eine gute Zeit für sein morgendliches Gebet. Nachdem er in seine Gewänder geschlüpft war, verließ er den Wohntrakt, um sich in die Gebetshallte zu begeben. Er fröstelte von der Kälte der Nacht, die der sandfarbene Stein noch bis zum Nachmittag in dem Gebäude halten würde.
Wie erwartet war die Gebetshallte nicht leer. Das war sie niemals. Einzelne Mönche waren in dem unmöbelierten Raum verteilt, vertieft in ihre eigene Welt, die sie nur mit Atun teilten. Aod griff nach seiner Gebetskette, während er sich im hinteren Teil der Halle auf den kalten Boden kniete. Sie brauchten Atun, mehr als sie es jemals getan hatten. Seine Gebete diesen Morgen handelten von Beistand für die Dorfbewohner. Sie waren im Tempel sicher versteckt, trotzdem war das Risiko da und er spürte es wie einen dunklen Schatten, der sich über den Tempel des Zohar gelegt hatte.
Er hatte nicht lange gekniet, als Agni ihn unterbrach. Es war selten, fast unerhört einen Mönch bei seinem Gebet zu stören, aber es schien dringend zu sein. „Eine Palastwache", flüsterte Bruder Agni ihm zu, „In der Eingangshalle. Du als Vermittler solltest mit ihm reden. Er scheint eine Nachricht vom König zu haben." Aod schluckte. Die Unruhe, die ihn schon seit dem Aufwachen begleitete, verwandelte sich rasch in Panik. Eine so plötzliche, unerwartete Nachricht konnte nur Unheil bedeuten. „Bruder Aodhan", drängte Agni. Aod atmete einmal durch, bevor er aufstand. Stumm folgte er Bruder Agni in die Vorhalle. Jede Faser in seinem Körper war bis zum Zerreißen gespannt. Angst lag bitter auf seiner Zunge.
Es war nicht schwierig den Palastwachen zu erkennen. Fast verloren stand der schwer bewaffnete Mann zwischen den hohen Mauern ihres heiligen Tempels. Mit mürrischem Blick betrachtete er die bunten Wimpel an den Decken und betastete eine davon skeptisch. Mit Agnis ermutigendem Blick im Rücken, trat Aod ihm gegenüber.
„Mein Name lautet Aodhan. Was sucht ihr hier, Bote Sangkungs?"
Der grimmige Krieger blickte abfällig auf Aods schmächtige Gestalt hinunter. „Ich überbringe eine Nachricht des Königs."
„Und die lautet?", fragte Aod angespannt. Er würde sich nicht einschüchtern lassen. Nicht hier im Tempel Zohar, nicht wenn er im Namen Atuns handelte.
„Der König lässt Euch wissen, dass Ihr kein Geld mehr vom Palast erhalten werdet. Ihr habt ihm die Loyalität verweigert, indem ihr ihm den Segen vorenthalten habt, und dies sind die Konsequenzen."
Die Nachricht war alles andere als positiv aber die Erleichterung war überwältigend. Sie hatten die Flüchtlinge nicht entdeckt! Der König wusste nicht, dass sie geholfen hatten! „Wir handelten nur in Namen Atuns. Falls dies die Konsequenzen sein sollten, dann werden wir sie ertragen müssen", erwiderte Aod so ruhig wie möglich. Sein Herz pochte erleichtert in seiner Brust. Stumm betete er, dass der Botschafter sobald wie möglich wieder verschwinden möge.
Die Palastwache lächelte höhnisch. „Ich werde es dem König ausrichten. Er bittet Euch ebenfalls, die Dorfbewohner wegzuschicken."
Von einer Sekunde auf die Nächste war die Angst zurück. Sangkung wusste sehr wohl, dass sie den Flüchtlingen Unterschlupf boten. Er wusste es und er verlangte, dass sie rausgeworfen werden sollten. Aod zwang sich selber, so gefasst zu wirken wie möglich.
„Ich werde Bruder Berhane die Nachricht übermitteln. Bitte kehrt zum König zurück und richtet ihm aus, das die Nachricht erfolreich zugestellt wurde." Die Palastwache verzog den Mund, aber widersprach nicht. Mit einem letzen verachtungsvollen Blick wandte er sich ab und verließ den Tempel. Sobald der Mann verschwunden war, löste sich ein Teil der Anspannung in Aod. Der junge Mönch hätte wohl erleichtert aufgeatmet, wäre ihm nicht der Ernst der Lage bewusst gewesen. Aod sah ein, dass er dringend mit der Tempelwache reden musste. Ein Spion hatte sich zwischen ihnen eingenistet. Ein mulmiges Gefühl ergriff ihn. Einer seiner Brüder. Ein Spion.
Er war noch im Begriff einen Entschluss zu fassen, als er Schritte vernahm, die sich zielstrebig auf ihn zubewegten. Verschreckt stellte Aod fest, dass Adissa sich im näherte. Die kräftige Frau, die einen Teil der Wache bildete, flößte ihm den größten Respekt ein. Automatisch wandte er sich ab, um so bald wie möglich, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die Tempelwache zu bringen.
Zu seinem Entsetzen verschnellerten sich ihre Schritte, bis eine Hand ihn unsanft am Oberam packte und herumriss. Er blickte in das grimmige Gesicht von Adissa.

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