Auf der Wache

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"Semir, bitte. Du musst mir glauben, ich hab nichta mit der ganzen Sache hier zu tun, ja? Man, bitte, ey, komm schon. Du weißt doch, dass ich so was nie machen würde!"
Semir starrte Ben, der vor ihm auf dem Stuhl auf der Wache saß, immer noch mit großen, ungläubigen Augen an.
Ihre Verstärkung, die Paul gerufen hatte, war sofort eingetroffen.
Ben hatte sich gewehrt, als er abgeführt worden war, hatte bestritten, das getan zu haben, was er getan hatte, hatte seine Unschuld beweisen wollen.
Semir war fassungslos hinter ihnen her gegangen, hatte Pauls sorgende Fragen nicht beantwortet, hatte ihn beinah überhaupt nicht beachtet, als er ihm gefolgt war, ihm am Arm gepackt hatte, seinen Namen gerufen hatte.
Er hatte nichts verstanden, hatte ihn verständnislos angeschaut, hatte eine Erklärung haben wollen. Sogar jetzt stand er noch in ihrem Büro, mit verschränkten Armen vor der Brust, und blickte ihn mit gerunzelter Stirn an. Er wollte unbedingt wissen, warum er so reagierte hatte. Und er konnte es ihm nicht verübeln.
Ihm war aber nicht entgangen, wie argwöhnisch er Ben gegenüber getreten war.
Semir hoffte, dass er und sein ehemaliger Kollege gut miteinander zurecht kamen.
"Semir, hey!"
Ben.
Semir schüttelte seine unruhigen Gedanken aus seinem Kopf und wandte sich ihm zu.
Er hatte sich nicht verändert, sah genauso aus wie am Tag ihrer Verabschiedung, als er ihn, Einstein, Jenny und sie alle verlassen hatte, nur braun gebrannter und älter. Wie viele Jahre war es schon her, seit er nicht mehr bei ihnen war? Drei? Fünf? Er konnte sich nicht daran erinnern. So unsagbar glücklich war er über sein plötzliches Wiedersehen und auch so traurig.
"Semir!"
"Hm?"
Er hätte nicht herkommen dürfen. Nie mehr.
Er hatte gedacht, er wäre besser dran im Ausland mit seiner Freundin, obwohl er vergeblich versucht hatte, ihn davon abzuhalten. Wo er seine Musik ungestört spielen konnte, wo's ihm Spaß machte, wo er nicht vor tödlich schweren Entscheidungen stehen musste. Wo er einfach sein Leben zusammen mit Nina genießen konnte. Wo er sang und lachte, wie es ihm gefiel.
"Hallo, Semir!"
Semir spürte, wie Frau Krüger ihn durch die Glascheiben ihres Chefraums aufmerksam beobachtete, obwohl sie mit einigen Polizisten und Regierungsleuten darüber diskutierte, was sie wohl mit Ben anstellen sollten.
Dieser chaotische Unfall hatte einen regelrechten Sturm aus Beschwerden, Anzeigen und sogar Gerüchten über ihn ausgelöst. Reporter aus dem Fernsehn, der Zeitung und dem Radio würden sicher darüber berichten, noch heute.
"Samma, hörst du mir eigentlich zu? "
Wieso war er hier? Wieso?
"SEMIR!"
"Was?"
Ben lachte bitter auf. "Noch nicht mal mein Freund will mir zuhören. Weißt du, was ich gesagt hab? Weißt du, wie's um mich steht? Ich werde ins Gefängnis kommen, weil ich nichts gemacht hab, und du stehst nur dumm da und guckst in der Gegend rum, als würd's dich nicht interessieren. Ich hab nichts damit zu tun, klar? Ich hab das nicht gemacht. Irgendjemand will mir das anhängen..."
"Warum bist du bei uns?" Semir hatte kaum Ohren für seine verbitterten Rechtfertigungen. "Spinnst du jetzt völlig, oder was?", schrie Ben ihn zornig an. "Langsam komm ich mir verarscht von dir vor, echt!" Er schien endgültig seine Geduld zu verlieren. "Ich war auf Tournee nach Deutschland, das wiederhol ich jetzt zum hundertsten Mal! Und wenn du nicht gleich irgendwas tust, was mir hilft, dann lande ich im Knast!"
"Was hast du denn gemacht?" Seine eigene Stimme hörte sich seltsam gedämpft an, so fast ohne Ton. Er konnte noch immer nicht das glauben, was schon lange passiert war.
Das war nicht real!
Das. Konnte. Nicht. Sein!
Entgeistert starrte Ben ihn an. Was hatte er? Warum war er so aufgewühlt?
Er blinzelte, um sich wieder zu fangen, schnaubte verächtlich und ließ sich kopfschüttelnd in den Stuhl zurück fallen. "Das gibt's nicht! "
Er fasste sich mit bitterem Lachen an die Stirn. Er konnte, wie er, nicht fassen, was hier überhaupt für krumme Sachen abgingen. "Und ich dachte, wir bleiben für immer Partner!"
Aus dem Büro von Frau Krüger traten die Amtsmänner und Polizisten heraus, sie nahmen Ben und legten ihm die Handschellen an. Ohne Wiederworte, dafür mit mächtig viel Verbissenheit in den braunen Augen, ging er mit ihnen mit. Verletzt und verraten durchdrang er Semir, bis die Tür, die nach draußen auf den großen Parkplatz führte, hinter ihm zu fiel. Das ist grade alles deine Schuld!
Es fühlte sich an, als würde er ihm das zu brüllen, voller Verzweiflung und Wut, dass er zu Unrecht verhaftet worden war. Frau Krügers hilfloses Gesicht und wie nachdenklich sie wirkte, schloss daraus, dass ihr diese verzwickte Situation alles andere als geheuer war.
Und jetzt fiel Semir ein, was er hätte tun müssen, was er nun getan hatte und nicht mehr rückgängig machen konnte. Er hatte seinen Freund ins Gefängnis gebracht, ohne, das er das gewollt hatte!
Er hatte Ben für Schuldig erklärt!

"Wer ist das? Kennt du den etwa?"
Immer noch mit der schweren Erkenntnis im Magen liegend, das er für das alles verantwortlich war, blieb Semir in seinem Büro, das er sich mit Paul teilte, stehen. Was hatte er nur gemacht?
"Semir, alles klar?"
"Ja, ja, mir geht's gut!" Er wollte nicht, dass Paul hinter seine Schuldgefühle kam, setzte sich noch immer beklommen hin und lenkte geschickt von sich ab, indem er ihn fragte, ob er schon fertig war mit seinem Papierkram, der noch von letzter Woche auf seinem Tisch lag.
"Nein, muss ich noch machen", erklärte Paul kurz. "Hast du die Banküberfälle mit der Krüger besprochen?"
Oh Scheiße! Das hatte er ja durch Ben total vergessen!
Er stöhnte und stützte seinen Kopf auf den Händen ab, wohl wissend, das er zu viel falsch gemacht hatte.
"Weißt du, ich hab nämlich was raus gefunden!"
Paul schien seinen gequälten Gesichtsausdruck gar nicht bemerkt zu haben, er stand vor dem Bildschirm an der Wand und zeigte auf zwei Typen, die auf dem blauen Hintergrund zu einem Steckbrief aufleuchteten.
"Ich hab die schon identifiziert, das sind die Bankräuber von letztem Mal. Ole Saisel und Fabian Gubel, vorbestraft wegen wenigen kleinen Diebstählen in der Stadt. Die sind Musikproduzenten, haben also nicht so Erfahrung, eine ganze Bank so schlau auseinander zu nehmen, dass sie keiner sieht."
"Aha", murmelte Semir, obwohl er ihm nicht genau folgte.
"Ich schau mal, ob ich mehr über die anderen rausfinden kann." Sichtlich stolz über sich selbst, setzte sich Paul auf seinen Drehsessel und forschte in seinen Unterlagen weiter nach.
"Semir", Susanne streckte ihren Kopf durch die Tür.  Semir blickte seufzend auf.
Er wollte gerade nicht mehr. Er hatte keine Lust auf irgendwas, wollte einfach allein sein und über sein dämliches Fehlverhalten nach denken.
Susanne wirkte nicht weniger verstimmt wie er. Mit unwohler Stimme verkündete sie: "Komm mal mit. Ich hab was auf dem Computer, was dir nicht ziemlich gefallen wird!"

Ein Unfall mit Folgen [Alarm für Cobra 11-FanFiction]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt