Weg

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"Wir werden sie finden, Semir, versprochen!"
"Genau, Suanne hat Recht. Dieter und ich werden auch mit 'n paar Kollegen noch mal nach Paul suchen!"
"Jenny, kommst du jetzt?" Dieter wartete ungeduldig an der Tür auf sie.
Jennys Arm löste sich von Semirs Schulter und sie richtete sich von ihrer Hocke aus auf, in der sie die ganze Zeit neben ihm gesessen hatte.
Mit einem letzten sorgenvollen Blick auf ihn ging sie zu Dieter, der es gar nicht mehr abwarten konnte, und verschwand mit ihm raus auf den Parkplatz, wo die Streifenwagen schon bereit standen.
Davor kam sie an Einstein vorbei, der ihr wissend in die Augen sah und sich dann zu Semir gesellte, der verloren auf einem Stuhl saß und leer auf den grauen Boden starrte.
"Hey, Kopf hoch", versuchte er ihn aufzumuntern. "Mach dir nicht zu viele Gedanken darüber. Schau mal, ich hab 'ne neue App auf dein Handy geladen", er holte Semirs Handy stolz aus den Taschen seines Kittels hervor, auch, um ihn abzulenken, und schaltete es an. "Ich hab bestimmt drei Tage an diesem Projekt gesessen und wusste nicht mal, ob das übethaupt klappt. Aber ich hab's geschafft. Hier, du kannst damit immer an Andreas Seite sein. Du siehst, wie es ihr geht und was sie gerade macht. Krass, oder? So musst du sie nicht anrufen, wenn du glaubst, dass es ihr schlecht geht oder dass du einfach nicht weißt, wo sie ist."
Aber als Einstein erkannte, dass sein kleiner Witz bei Semir floppte, dämpfte sich seine frohe Zufriedenheit. "Hey, komm schon. Die werden das schon alles hinkriegen. Es ist doch noch nix verloren..."
"Ich hab ihm nicht geholfen", fiel Semir ihm klar ins Wort. Es lag so viel Schuld in seiner ruhigen Stimme, so viel Schmerz in seinen fast schon glasigen Augen, dass Hartmund sich ernsthaft fragte, ob das wirklich Semir war, der neben ihm saß. Er beugte sich näher zu ihm hin, ganz Ohr, was er ihm jetzt erzählen wollte.
Ihm beunruhigte es, dass er so still und kraftlos war.
"Ich hab ihnen nicht geholfen. Ich war... Ich hab da... Ich hab einfach zugesehen. Einfach nur zu gesehen. Ich hab nix gemacht... Und Ben, ich wollte.... Ich wollte ihm helfen, aber irgendwie ging das nicht und dann... dann sind diese Arschlöcher gekommen und haben Paul mit genommen. Einfach so..."
"Semir, du -"
Bevor Hartmund ihn überzeugen konnte, dass er keinesfalls schuldig war, dass er keinen Grund hatte, so selbstkritisch zu denken, klingelte plötzlich das Telefon neben Susanne, die wie er und Semir aus der angenehmen Stille aufschreckte.
Sie hob ab und ihre Miene ließ ihn und Semir schlagartig unruhig werden.
"Klar, ich gebe ihn Ihnen!"
Sie schaltete den Lautsprecher an und nahm es von ihrem Ohr in Semirs Richtung.
Semir sah sie mit großen Augen an. Er verstand, genauso wie alle anderen auch nicht, was hier vor sich ging. Wer rief sie an? Wieso war Susanne so verstört?
Susanne forderte ihn mit einem vorsichtigen Blick auf, zu reden.
"Ja, Hallo, Semir Gerkhan, Sie wollen mit mir sprechen?"
Eine Frauenstimme erklang laut im Zimmer. Sie war kratzig und absolut kalt.
"Wenn Sie wirklich der sind, für den Sie sich ausgeben, dann hören Sie mir jetzt genau zu und vergewissern Sie sich, dass Sie allein sind. Wenn wir mitkriegen, dass irgendeiner ihrer Kollegen mithört, dann schwören wir Ihnen, wird es kein gutes Ende für Ihre zwei Freunde haben!"
"Welche zwei Freunde? Von wem reden Sie?"
Hartmund erahnte, dass diese Frau und die anderen, die sie erwähnt hatte, sich nicht besonders mit der Technik des Telefons auseinander setzten, sonst hätten sie schon längst bemerkt, dass Semir nicht allein war.
Und Susanne konnte sich nur denken, welche zwei Freunde gemeint waren.
Wie Semir.
"Sie wissen, welche Arschgesichter wir meinen, Bulle", eine Männerstimme, ungeduldig und dunkel, "also stellen Sie sich nicht dümmer als Sie sind! Wenn Sie sie jemals wieder sehen wollen, dann können Sie sich entscheiden, wen von denen wir als erstes umbringen sollen. Wenn Sie meine Meinung hören wollen, ich wäre für diesen hässlichen Blondschopf da, der labert so viel!"
Eine andere Männerstimme mischte sich dazwischen. Sie war ruhig und gelassen.
"Hey, jetzt mach mal halblang. Der weiß doch gar nicht, wieso wir ihn überhaupt anrufen, klar? ... Alter, wir haben's doch abgesprochen. Gib den mir mal!"
"Wer sind Sie? Und was haben Sie mit Paul und Ben gemacht?", Semir versuchte, nicht so sorgenvoll und verzweifelt zu klingen.
"Ganz ruhig, Gerkhan. Wir wollen Ihnen nix tun, aber wenn Sie unseren geheimen Anweisungen, die wir für Sie haben, nicht befolgen, hat das schwerwiegende Folgen für Sie und alle, die Sie lieben!"
Semir konnte nicht anders als direkt an seine Familie zu denken. Andrea, Ayda, Lilly - er wollte sie auf keinen Fall verlieren, lieber würde er für sie sterben. Auch nicht Einstein, Jenny, Dieter, Frau Krüger, seine vielen, tollen Kollegen bei der Autobahnpolizei, die er ebenfalls zu seiner Familie zählte.
"Kommen Sie am Abend in die Sporthalle, die Ihr Freund Ihnen noch heute beschreiben wird. Er weiß, wo sie ist. Sprechen Sie mit niemanden darüber. Denken Sie sich was Schlaues aus, wenn einer Sie fragt. Wir sehen uns!"
Das blecherne Tuten des Telefons, als der Mann auflegte, war für Semir das Aus.
Er wollte ihn zurück rufen, wollte ihm tausend Fragen stellen, wieso, was war der Grund für diese warnende Drohung, er wollte wissen, was das verdammmt nochmal sollte. Doch sie waren weg.
Als er hoch schaute, in Susannes und Einsteins Gesichter, erkannte er seine eigene Ungewissheit, seine eigene hilflose Unsicherheit.
Was machten sie jetzt?

Ein Unfall mit Folgen [Alarm für Cobra 11-FanFiction]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt