Unfall

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"Was denkt sich dieser verwöhnte Sack denn, wer er ist?", polterte Paul erregt.
"Der kann mir doch nicht einfach sagen, was ich zu tun hab und was nicht. Ist der mein König oder was? Und der hatte gar keinen Grund, mich zu schlagen. Sowas von angegriffen hat er sich von mir gefühlt, hast du gesehen?"
Semir nickte zögerlich, wollte noch etwas zu Bens Verteidigung hinzufügen, damit sein alter Partner nicht als gefährlicher Raufbold da stand, als Paul, der neben ihm auf dem Beifahrersitz saß, weiter fort fuhr.
"So ein Spast, alter. Dem müsste mal gezeigt werden, wie man sich richtig verhält. Hat der nichts von seinen Eltern gelernt, oder was?"
"Ja, also... Paul, weißt du, das ist ein bisschen schwierig -"
"Das ist mein Ernst, Semir!", unterbrach er ihn in seinem ungehaltenen Zorn.
"Geschieht ihm ganz recht, dass er in den Knast kommt. Da kann er sich ja schön umgucken, was Respekt bedeutet..."
"Paul, hey, jetzt mach mal halblang, okay?"
"Nee, ey, ich lass mich von dem nicht unterkriegen, echt. Wir sind hier doch nicht in einer Verrücktenanstalt, wo sich jeder prügelt, der gerad Lust dazu hat. Konflikte regelte man vernünftig, mit Verstand und nicht mit Kraft, wie der's sich vorstellt!"
Nach einer kurzen Pause versuchte Semir nochmal, ihn von Bens guter Seite zu überzeugen. Er hätte nicht gedacht, dass die beiden so aggressiv miteinander umgehen würden, vor allem Paul nicht, der meistens einen kühlen Kopf bewahrte.
Ben war da zwar etwas ruppiger, aber so angriffslustig war er ihm noch nie gegenüber getreten.
Er verstand Pauls Verachtung, und seine heftigen Beleidigungen, die er gegen ihn schoss, waren gerechtfertigt.
Doch er mochte Ben, obwohl er schmerzlich wusste, dass er ihn nun mehr als hasste, und konnte, wollte sich nicht vorstellen, dass er sowas wieder tun würde. Er hatte vielleicht einfach einen schlechten Tag gehabt, bestimmt genau, weil er ins Gefängnis musste.
"Seh das doch mal so", fing er vorsichtig an. "Es ist jetzt nicht so schön in dieser... Bruchbude da zu wohnen, und obendrein, wusste er noch nicht mal bis jetzt, was mit seiner Band war. Er, er ist noch dazu unschuldig -"
"Wie kannst du dir so sicher sein?" Semir blickte Paul verständnislos an. Dachte er etwa, dass er schuldig war? "Wir haben nichts gefunden, was auf seine Unschuld hindeutet, also kann es sein, dass -"
"Vielleicht haben wir uns nicht gründlich umgeschaut, und die Beweise liegen vor unserer Nase, oder irgendwo da, wo wir nicht gewesen sind."
"Du glaubst doch nicht im Ernst, dass dieses streitsüchtige Arschloch kein Verräter ist?"
"Ja, genau das glaub ich", konterte Semir lauter als beabsichtigt, er vertrat klipp und klar seine Meinung, egal, was jemand darüber dachte oder sagte, als ein dickes, graues Auto gegen die Seite seines wundervollen Dienstwagens knallte. Paul schrie überrascht auf, Semir versuchte noch das Steuer nach links zu reißen, bevor es abermals ohrenbetäubend Wummm machte.
"Was macht der denn da? Hat der eigentlich noch alle Reifen am Auto?", regte Paul sich zurecht über diesen Chrashtypen auf, dem diese Rammerei offenbar Spaß machte.
"Hat er", antwortete Semir zähneknirschend, "nur wird er sie gleich los!"
Er drückte aufs Gas, und gab seinem Kontrahenten einen ordentlichen Schlag gegen die Vordertür, sodass sie übelste Dellen davontrug. "Na, wie gefällt dir das?"
Als Antwort ging der maskierte Fahrer hart ran dagegen, wieder auf die Seite.
"Der will's aber wissen."
"Gleich will er's nicht mehr!"
Semir und der Maskenraudi lieferten sich ein Battle, geradewegs über die Straße, auf der sie wieder zur Wache fahren wollten. Sie, noch nicht mal Semir, der sich, insbesondere als Polizist, eigentlich an die Verkehrsregeln halten sollte, achteten nicht auf die anderen Autofahrer, die ihnen entgegen kamen oder hinter ihnen aufpassen mussten, dass sie nicht auch erwischt wurden.
Zu sehr hatte ihn die abenteuerliche Lust gepackt, endlich wieder über den Asphalt zu rasen wie ein Irrer, dazu mit einem Typen, der so doof war, sich mit ihm anzulegen. Selber Schuld!
Sie waren knallhart, schenkten sich beide nichts. Bretterten über die Autobahn als wäre sie ihre Rennstrecke und sie mitten in einem wichtigen Rennen, bei dem es um alles ging. Semir musste schnell reagieren, hatte die Wahl, musste sich blitzartig entscheiden, ausweichen oder zum Angriff übergehen.
Paul half ihm meistens die richtige Entscheidung zu treffen, er wollte nicht, dass es in einem blutigen Massaker endete. Es gefiel ihm zudem ganz und gar nicht, auf was Semir sich gerade eingelassen hatte. Das brauchten sie jetzt wirklich nicht.
"Fahr links!" Rechtzeitig ruckt Semir das Lenkrad nach links und dann wieder scharf nach rechts, kam aber nicht um einige, böse Kratzer herum.
"Links, links, pass auf..!" Er fuhr in diesem rasanten Tempo gekonnt Slalom, um ihn zu verwirren, driftete, sodass die Reifen gehörig quietschten, ließ den Motor aufheulen, sodass der knarzende Auspuff eine gigantische Wolke Abgase ausstieß.
"Achtung, er kommt von rechts!" Semir bremste eine Vollbremsung, bevor ihr Gegner sie erreichen konnte, sodass er geradewegs in die Betonbande reinkrachte, die ihre Autobahn von der anderen trennte.
"Ja, hahaha!", freute sich Semir triumphierend.
Rauchender Qualm stieg auf, das graue, große Auto hing mit der ganzen Vorderseite zerstört in dem festen, verbeulten Gestein.
Seufzend wandte Paul den besorgten Blick ab. Das hätte, so dachte er, verhindert werden können.
Man, Semir musste auch immer bei allem, sogar bei der kleinsten Kleinigkeit, sofort darauf springen. Wieso konnte er nicht mal einfach das, was nicht gleich in ein Chaos ausendete, lassen? Diese actionreichen Aktionen brachten ihn nicht weiter. Warum fuhren sie nicht schön und ruhig zur Autobahnpolizei?
Da war auf einmal etwas, vor ihnen, etwas Riesiges, Gefährliches, seine Augen weiteten sich. Er wollte schon losbrüllen, seinen Freund warnen, doch es war zu spät.
"Ahhhhhhhhhh!", schrien sie beide, Semir noch erschrockener als Paul.
BUMMM!
Es gab ein überdemensionales Krachen, Staub, Metall- und Plastikteile, Papierstückchen schossen durch die Luft.
Sie wurden ordentlich durchgerüttelt, als sie gegen den LKW donnerten, dem Semir, so viel er es auch versucht hatte, nicht mehr entkommen konnte, mit so einer krassen Wucht, dass ihnen das Herz fast stehen blieb.
Sie wurden so nach vorne geschleudert, konnten nichts tun, knallten voll mit den Köpfen gegen das Armaturenbrett - es brannte so sehr, als würden sie auf spitzen, kantigen Steinen aufschlagen.
Stöhnend hielten sie sich Nase und Stirn, Paul hatte es ziemlich am Kinn erwischt.
Doch als wäre das nicht genug, raste ein anderer Wagen in ihren, der sie irgendwie nicht gesehen hatte, der, wie sie, nicht genau auf gepasst hatte, der nicht voraus geschaut hatte, unvorteilhaft gewesen war...
Glas zersplitterte in lauter kleine Scherben, sie wurden wieder weiter katapultiert mit ihrem Dienstauto, der von der unglaublichen Geschwindigkeit des braunen VWs geschoben wurde.
Sie flogen durch die leichte Ladung des LKWs, die Schwerkraft zog sie jedoch schneller runter als sie sich wünschten. Schreiend stürzten sie auf den Fahrer in seinem Fahrerhäuschen zu, Semir zerrte vergeblich am Steuer, aber er wusste, er konnte sie nicht mehr retten, Paul schüttelte abwehrend seine Händen. "Nein, nein, nein, nein!"
Krach! Zisch! Bamm!
Metall barst, Plastik zerbrach, die Sitze rissen auf, Stoff quoll heraus.
Benzin lief, Feuer entflammte, als sie mit einem markerschütternden Knall auf die Straße prallten, mit der vorderen, verkratzten Stoßstange zuerst, einige Teile des LKWs noch unfreiwillig mitnehmend. Der Fahrer war sofort tot, keine Frage.
Der andere Autofahrer bestimmt auch. Er hatte wahrscheinlich keine Chance gehabt.
Ihre Airbacks breiteten sich endlich aus, doch sie behinderten sie nur. Semir versuchte sich schlagend aus diesen weißen < Luftballons > zu befreien, wollte jetzt etwas sehen, damit sie ihre mögliche Flucht ergreifen konnten. Denn die Hitze knisterte heiß und hungrig hinter ihnen, die Flammen breiteten sich so geschwind aus, dass sie der Gefahr fast hilflos ausgeliefert waren. Die schwarze Flüssigkeit rann immer weiter, sie konnten förmlich hören, wie die vielen Tropfen das Feuer nährten, es freudig wachsen ließen.
Paul fluchte, regte sich genauso empört auf wie er. Sie mussten raus aus dieser brenzligen Lage. Sie würden sterben, wenn nicht.
"Semir, los, fahr! Fahr weg, schnell!"
Hektisch tastete Semir nach dem Steuer, nach der Gangschaltung, gab mächtig Druck aufs Gaspedal. Blind setzten sie über die Fahrbahn hinweg, bevor es im letzten Moment explodierte. Aber so richtig...
Es gab einen gigantischen Regen von Funken und etlichen Fahrzeugdingen, die ein regelrechtes Schauergewitter veranstalteten.
Semir und Paul vernahmen ängstliche, erstaunte Schreie, die Autos vor ihnen gewannen an Schnelligkeit, doch sie hatten mit ihrem eigenen Problem zu kämpfen. Paul lotste Semir so gut es ging, er hatte zum Glück keinen schlechten Orientierungssinn, was nicht unbedingt hieß, dass sie einwandfrei fuhren.
Gefühlt jede Sekunde stießen sie irgendwo an, Semir bewies seine ganze Fahrfähigkeit, holte sie aus brenzligen Situation heraus, auch, wenn sie nur kurz vor dem Abgrund standen. Er war ein ausgezeichneter Retter in der Not.
Doch als sie gerade den Bogen raushatten, wie sie es richtig anpackten, kam der graue Koloss, mit dem sie eigentlich schon abgeschrieben hatten, und beförderte sie mit so einem kräftigen Anstoß, mit dem sie überhaupt nicht rechneten, und zwei, - nein, drei überragenden Überschlägen auf ein kleineren Audi, den sie ungnädig mit sich zogen.
Es gab ein unangenehmes Quietschen, einen Knall, und wieder zersplitterte Glas, Metall und Plastik.
Sie landeten - kawumm! - mit dem Dach auf der Straße, eingeklemmt unter der unglücklich im Weg stehenden Schuttkarre, die mal ein hübsche weiße Limousine gewesen war.

Ein Unfall mit Folgen [Alarm für Cobra 11-FanFiction]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt