Falle

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Klingellingeling-Klingelingeling.
Semirs Handy vibrierte in seinem Klingelton auf dem Beifahrersitz.
Susanne hatte die Chefin informiert und Einstein war mit Dieter und Jenny, die noch immer nach Paul suchten, in Kontakt getreten.
Sie hatten gesagt, sie würden eine Lösung für all das finden.
Für diesen schrecklichen Alptraum, für die verdammten Unfälle.
Aber er sollte sich jetzt erstmal ausruhen, beruhigen.
Er hatte natürlich nicht begeistert zugestimmt, er wusste jedoch selbst, dass er sich bei diesem Einsatz gerade nicht als sehr hilfreich erweisen würde.
Er war zu sorgenvoll, zu ungeduldig für die Schnipselarbeit, mir der sie sich nun herumschlugen. Er konnte das nicht.
Er fuhr nach Hause, zu Andrea und den Kindern, um sich abzulenken.
Tee trinken, auf die Couch fläzen, nachdenken, vielleicht Ayda und Lilly bei den Hausaufgaben helfen, sowas. Das war sein Plan.
"Hallo, Semir Gerkhan, wer ist da?"
Und von einem Augenblick zum anderen änderte sich der Plan grundlegend.
"Semir, hey!", Ben hustete.
Warte, das war Ben... Das war Ben!
Was? Er konnte es nicht fassen. Er konnte nichts sagen, fast nicht atmen.
Ben!?
"Hör zu, okay? Das ist wichtig. Wenn du mich und Paul hier raus holen willst!"
Er stöhnte auf, als ein Klatschen ertönte, dass wie ein böser Schlag an den Hinterkopf klang, und eine Stimme zischte: "Halt dich an die Scheiß-Abmachung!"
"Hey! Lasst ihn in Ruhe!"
Paul. Oh Gott, das war Paul! War das Paul...?
"Ben, wo bist du? Was machen die da mit dir? Was ist passiert? Ist Paul bei dir?", er verschluckte sich beinahe an seiner Zunge, er wollte Antworten, er wolle fragen.
Er hatte solche Angst um ihm. Er hatte so Angst, dass sie ihm etwas Schlimmes antaten, schlimmer, als er es sich vortstellte.
"Du musst mir zuhören, Partner, ja? Das ist... wirklich wichtig!"
Er hörte sich so gebrochen an, so erschöpft, so müde.
Semir musste sich bemühen, den Mund zu halten.
Er wollte ihm helfen. Er wollte Paul helfen. Um jeden Preis.
"Komm heute Abend - allein, bring niemanden mit - in die Halle vom Dit-Riller-Gymnasium in der Söllerstraße 12. Schalt keine Polizei ein, du darfst niemandem sagen, dass du da dahingehst. Das ist etwas abseits von Köln, etwa...."
"Was ist? Red doch weiter!"
"Alter, Arschlosch, rede!"
Ben war verstummt. Ganz plötzlich, ganz unvorbereitet.
Semirs klopfendes Herz verlangsamte sich kein Stück. Was war bloß los mit ihm?
Hatten sie ihn k.o. gelegt? Hatten sie ihn...?
"Semir, nein, geh da nicht hin, geh da nicht hin! Das ist 'ne Falle, das ist 'ne Falle, Semir!", kam es panisch vom Handy. "Ich kenn die Schule, ich glaub, ich weiß, was die vor haben, geh da nicht hin, die werden..."
Es gab ein fürchterliches Rauschen, Ben stöhnte wieder, Paul schrie etwas und die Stimme ergriff das Wort, die Ben vorher schon so blöd angeschnauzt hatte. "Du gehst dahin, Bulle!", spuckte sie. "Wenn nicht, dann kannst du dir schon mal eine Trauerrede überlegen, die du für deine kleinen Freunde in der Kirche aufsagst! Haben wir uns da verstanden?"
Semir hörte Bens Warnung im Hintergrund, nicht zu tun, was er ihm sagte.
Er wollte darauf eh schon etwas erwidern, irgendwas Schlaues, irgendwas Kühnes, dass er sich nicht von ihm unterkriegen ließ, dass er sich seine Drohung in den Arsch schieben konnte, aber dann war die Leitung tot. Und es ging ganz schnell:
Semir riss das Steuer im letzten Moment nach rechts, bevor er geradewegs in einen VW hineinfahren konnte. Das Handy flog mit solcher Wucht gegen die Scheibe des Beifahrersitzes, dass sie in tausend Scherben zersplitterte.
"Scheiße!" Er hatte sich so erschreckt, hatte nicht mehr auf den Verkehr geachtet.
Jetzt versuchte er im Fahren an sein Handy zu kommen, was natürlich überhaupt keine leichte Angelegenheit war. Er musste doch seine Kollegen anrufen.
Sie mussten es erfahren, so schnell wie möglich.
Der VW-Fahrer empörte sich über ihn, schlingerte derweile aber unkontrolliert nach vorne. Er streifte einen LKW, zwei, drei andere VWs, die hupten und bremsten, wich scharf einem Opel aus, trug stattdessen einen Korsa mit sich mit und donnerte schließlich in einen Reisebus hinein, den er mitsamt sich und dem Korsa von der Straße holte. Sie durchbrachen die Bande und fielen mit Ach und Krach in den grasbewachsenen Abgrund.
Dadurch wurde der Verkehr auf der Straße erheblich gestört, verwandelte sich zum wilden Chaos, in das Semir keine Mühe auf Ordnung hereinbrachte, obwohl das enigentlich sein Job war. Aber er hatte ein anderes Probleme, das ihn gerade mehr interessierten als fliegende Autos und wütende Fahrer.
Er tastete mit der einen Hand nach dem Handy, mit der anderen hielt er krampfhaft das Lenkrad, hob immer wieder den Kopf, um keinen weiteren Ärger zu verursachen, drehte und wendete immer richtig, obwohl es manchmal ziemlich knapp war.
Er konnte eben auch ein echtes Multitalent sein!
Nach ein paar Minuten Herumgefrifte und spektakulären Ausweichmanövern gelang es ihm endlich, sein Handy zu schnappen, bevor es ganz in die Ecke rutschten konnte.
Er riss das Steuer zur Seite, als ein bulliger Jeep seinen Weg kreuzte und versuchte dabei noch die Nummer von Hartmund einzutippen.
Ein Motarrad schlitterte über die Straße, ein Traktor war zu langsam, es gab einen nicht zu überhörenden Zusammenstoß und die Funken stoben durch die Luft.
Es quietschte, brummte und Schreie ertönten, zornige, erschrockene, hilfesuchende.
Semir bekam davon jedoch nicht besonders viel mit.
Er raste so konzentriert, so locker durch den Stau, als wäre da überhaupt keiner, vermied einen weiteren Crash mit einem Mercedes, zwei BMW und schaffte es sogar, einen Jaguar und einen Masarati davor zu bewahren.
"Hartmund, schnell, du musst meinen Anruf zurückverfolgen und dann orten. Ich muss dahin, wo diese Arschlöcher sind, die haben Ben und Paul, die haben irgendwas mit ihnen vor. Ben denkt, dass er es weiß, du musst es Frau Krüger und den anderen sagen!", schrie er in sein Handy, als er endlich fertig mit dem Tippen war, und streifte ein rotes Cabrio.
Hartmund hörte sich etwas überrumpelt an, aber er wusste sofort, was zu tun war.
Semir kratze mit einem fürchterlichen Geräusch an der Tür eines Citroen vorbei, und wartete auf die Antwort von Hartmund und somit auf das Zeichen, ein Ziel zu haben.

Ein Unfall mit Folgen [Alarm für Cobra 11-FanFiction]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt