Drei

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Noch während Delilah langsam aufstand und sich über die geschundenen Handgelenke rieb, wanderten die Hände der ganzen Crew zu den Waffen.

Delilah verdrehte die Augen.

"Ohne Dolch oder meine Wurfmesser würde ich euch nie angreifen, ihr Idioten. Wenn wir schon dabei sind ... wo habt ihr das Zeug hingetan?"

"Sie waren schlecht ausbalanciert. Wir hatten keine Verwendung dafür, also ruhen sie auf dem Meeresboden.", erklärte Sin beiläufig.

"Was!?", rief sie aufgebracht und hätte ihm gerne buchstäblich den Hals umgedreht, wenn er nicht immer noch seinen eigenen Dolch in der Hand gehabt hätte.

"Für einige Kehlen hat's gereicht!", fauchte sie.

Sin zuckte beiläufig mit den Schultern.

"Wir haben eine Abmachung, was noch lange nicht heißt, dass wir dir trauen. Außerdem hast du zwei meiner besten Leuten umgehauen."

"Meinst du den Knirps und den Alten? Die beiden bräuchten dringend etwas Waffentrainig."

"Was erlaubst du Göre dir eigentlich!?", schrie Jamaal, der eine Beleidigung an seinen jüngeren Bruder Amir wohl überhaupt nicht guthieß.

Er wollte auf Delilah losgehen, aber Cem hielt ihn zurück.

"Lass sie. Der Käpt'n wird sehen, was davon hat.", sagte er mit einem giftigen Blick ins Sins Richtung.

Dieser sah aufs Meer hinaus.

"Welcher Kurs?", fragte er.

"Vierzig Grad südwestlich. In Richtung Ägypten. Dort müssen wir dann weiter nordwestlich. Einen Zwischenstopp in Alexandria wäre nicht schlecht. Dort gibt mehr als genug Schattenpiere und die Steuer dafür ist nicht so hoch wie hier."

"Das entscheide immer noch ich. Alle an die Arbeit."

Er sah zum Zweiten Steuermann.

"Yasha, du hast sie gehört."

Dieser nickte und ging an seinem üblichen Platz. Sin sah währenddessen zu Delilah.

Vielleicht hatte Cem Recht und ihr zu trauen war ein Fehler. Aber wenn sie wirklich das Erbe von St. Muerde fanden, wäre ein Leben lang ausgesorgt.

Jeder von ihnen könnte das tun, was er immer tun wollte. Niemand müsste weiterhin bei Überfällen sein Leben riskieren.

Sie erwiderte seinen Blick und runzelte die Stirn.

"Und wie läuft das jetzt? Muss ich jetzt in einer Holzzelle übernachten oder bekomme ich als Sonder-Geisel eine Kajüte?"

Sin grinste.

"Weder noch. Du teilst dir mit der Crew die Hängematten über dem Lagerraum. Aber wenn dir der Holzboden auf dem Deck lieber ist, lässt sich das auch einrichten."

Sie kniff die Augen zusammen.

"Ich hätte eine Frage."

"Nur zu."

"Warum hast du den Deal mit mir gemacht? Deine Leute haben dir davon abgeraten, wenn es nach ihnen ginge, hinge ich wahrscheinlich längst an etwas Schweres gekettet Richtung Meeresboden."

"Manchmal beschützt man seine Leute besser, indem man etwas tut, das niemand nachvollziehen kann."

"Hast du den Spruch von einer Wahrsagerin? Kleiner Tipp: Es gibt keine Magie, keine Flüche und erst recht keine Wahrsager."

"Du warst noch nie auf dem Meer. Überhaupt bist du nicht viel rumgekommen, oder?"

Etwas in ihrem Ausdruck verfinsterte sich noch mehr, falls das möglich war.

"Und wenn!?", knurrte sie.

Sin blieb gelassen. Sie hatte wirklich Temperament und konnte auch gut kämpfen, aber im Umgang mit Wut, Trauer und all den anderen Gefühlen war sie wohl genauso schlecht wie er selbst.

"Das beweist, dass du keine Ahnung von dem Leben da draußen hast. Sirenengesang wirkt übrigens nicht nur auf Männer, sondern auch auf Kinder und Tiere. Es gibt tatsächlich Seemonster und Geister ebenfalls. Gib Bescheid, falls du noch mehr Unterricht brauchst. Und bis dahin hilf Leilani bei der Versorgung unserer Verletzten. Ist ja schließlich dein Werk."

Delilahs Wangen brannten vor Wut.

"Was unter dein Käpt'n interessiert mich nicht war nicht deutlich? Ich werde hier bestimmt nicht schuften!"

Sin überlegte. Sie war furchtlos, also musste er sie anders überzeugen. An ihre Fairness konnte er sicher nicht appellieren, aber vielleicht an ihren Kampfgeist.

"Vorschlag: Wir beiden kämpfen. Ohne Waffen. Wenn du verlierst, folgst du meinen Befehlen als wärst du Teil der Crew. Wenn du tatsächlich gewinnen solltest, darfst du von mir aus den ganzen Tag aufs Meer starren, bis wir da sind."

Sie musterte ihn, als würde sie auf Hinweis für Unehrlichkeit suchen. Aber dann schien doch der Trotz zu siegen und sie schlug ein.

"Von mir aus."

Sin legte seine Waffen ab und sie ihren dünnen Mantel und die Halstücher. Ihre Kleidung war bunt und an ihrer Hose klimperte einige Silbermünzen.

Ihre Familie entsprang wohl eher einem kleinen Stamm und sie schien ihre Traditionen zu ehren. Möglicherweise das Einzige, dass sie wirklich respektierte.

Ein paar Zuschauer der Crew bildeten einen Kreis und die beiden stellten sich gegenüber auf.

"Bereit?", fragte Sin.

Delilah nickte nur und wartete offensichtlich darauf, dass er zuerst angriff.

Den Gefallen tat er ihr und wie erwartet, wich sie aus und wollte seinen Arm von hinten packen.

Aber er war schneller, fuhr seitlich herum und packte ihr Handgelenk. Sie kickte ihm die Beine weg, er riss sie allerdings mit sich auf den Boden.

Sie drehte ihn rückwärts und er imitierte ihre Bewegung, schaffte es jedoch nicht, sie festzuhalten. Stattdessen kamen sie beide wieder auf die Beine.

Delilah ärgerte sich, dass sie ihn immer noch nicht besiegt hatte und tröstete sich mit dem Gedanken, dass er zumindest genauso so sehr in Schwitzen gekommen war.

Diesmal griff sie als Erste an. Unter seinem Arm schlüpfte sie hindurch und stieß ihn zur Seite, aber auch diesmal ließ er sie nicht los und sie fielen beide wieder hin.

Sie wollte ihn wieder bewegungsunfähig machen, aber er drehte ein Bein herum und kam ihr zuvor. Schließlich lag sie auf dem Rücken und er drückte sie mit seinem Gewicht nach unten.

Belustigt sah er auf sie herab und genoss seinen Triumph, was sie rasend vor Wut machte.

"Gewonnen!", flüsterte er mit einem Grinsen und gab sie frei.

Seine helfende Hand zum Aufstehen ignorierte sie und stemmte sich allein hoch.

Erhobenen Hauptes drängte sie sich an der lachenden Crew vorbei und folgte Leilani wortlos.

Sindbad (Märchenadaption)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt