Sieben

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Sin hatte die Situation noch gar nicht richtig registriert, als Jamaal schon Delilah packte und gegen die Wand seiner Kajüte drängte. Sie schrie auf, als er seinen Griff um ihren verletzten Arm immer fester zusammenzog. So konnte sie sich nicht wehren.

"Du hättest uns alle fast getötet, du Miststück!", schrie er.

Sin wusste, dass er recht hatte, aber Delilahs Aussage war ebenfalls interessant. Es war nur eine Theorie, aber...

Sein Griff zog sich mehr und mehr zusammen. Delilahs Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Es gab ihm einen Stich. Sie schien sich bemühen, keine Schwäche zu zeigen, aber die Bisswunde war sicher tief. Als dann tatsächlich eine Träne aus ihren Augen löste, konnte er nicht länger zusehen.

Er riss Jamaal von ihr weg und sie sank zu Boden. Ihr Versuch, sich wieder von allein hochzurappeln, schlug fehl und sie blieb liegen. Aber Sin hatte gerade andere Sorgen.

"Reiß dich zusammen! Sie wird schon noch ihre Strafe kriegen, aber jetzt müssen wir uns erst mal um die Schäden kümmern! Die Schlange hat einen Teil der Reling weggerissen! Nagelt ein paar Bretter davor, bis wir den nächsten Hafen erreichen und wischt das Blut weg!"

Einige Männer starrten ihn nur an. "SOFORT!", rief er und diesmal setzten sich alle in Bewegung. "Und hol gefälligst einer Leilani! Mit der Bisswunde nützt sie uns nicht viel!"

Er zerrte Delilah an ihrem unverletzten Arm hoch und in Richtung der Käptnskajüte. "Und du kommst jetzt mit!", knurrte er.

Mit einer Grobheit, die ihn selbst etwas überraschte schubste er sie in den kleinen Raum, wo sich Seekarten und kleine Truhen stapelten. Er schlug die Tür laut hinter sich zu. "Was sollte das!?", schrie er und starrte sie wutentbrannt an.

Aber diesmal lieferte sich Delilah kein Blickduell mit ihm. Blut rannte inzwischen in Strömen über ihren Arm und sie sah aus, als würde sie gleich umfallen. Das wäre sie auch, wenn er sie nicht rechtzeitig gestützt hätte.

"Setz dich!", brummte er und deutete auf die Kante seines Bettes. "Leilani kommt gleich und sieht sich deine Wunde an.

Delilah sah weiterhin stur die Wand an. Sie schien sich zu schämen. Vermutlich, weil Sin sie gegen Jamaal hatte verteidigen müssen. Aber keineswegs wegen ihrer Rettungsaktion für die Korallschlange. Eher war sie wohl stolz darauf.

Darüber musste er sich noch genauer mit ihr unterhalten.

Leilani unterbrach seine Gedanken, indem sie zur Tür reinplatzte und sich neben Delilah fallen ließ.

"Kannst du kurz rausgehen?", schnauzte sie Sin an und funkelte ihm wissend entgegen. Ihr schien der schroffe Umgang Delilah gegenüber gar nicht zu gefallen.

Obwohl es seine Kajüte war, gehorchte Sin und schloss ohne Widerworte die Tür hinter sich.

°*°

"Du bist ja mutiger als die meisten Kerle hier!", stellte Leilani fest, als sie Delilahs Wunde genauer betrachtete und mit Alkohol desinfizierte.

Obwohl es höllisch brannte, gab Delilah nicht eine Mucks von sich. Ihre Gedanken waren ganz bei der Schlange. Hatte sie ihr tatsächlich eine Vision geschickt?

Ihre Mutter hatte ihr oft von Wesen des Meeres erzählt, die mit Menschen kommunizierten, aber Delilah hatte das immer als Geschichten für Kinder gehalten. 

Doch wenn es wahr war, war es dann auch der Fluch von St. Muerde? Waren sie alle in Gefahr?

"Was hälst du von alten Mythen?", fragte Delilah gerade heraus.

Leilani kniff skeptisch die Augen zusammen, eher sie sie wissend musterte. "Darum hast du der Schlange geholfen... Sie hat dir eine Botschaft geschickt, nicht wahr?"

Überrascht sah Delilah die Ärztin an. Diese lächelte leicht und schob ein paar ihrer dicken Strähnen beiseite. Ein kleiner geflochtener Zopf kam zum Vorschein, an dessen Ende eine blaue Perle mit weißen Verzierungen baumelte. Das Zeichen der Rhaji. Einem Stamm, der an dem Glauben der alten Geschichten festhielt.

Delilah versteckte ebenfalls einen Zopf mit dieser Perle hinter ihren welligem Haar. Es war verboten, ein Rhaji zu sein, aber obwohl sie auch nie an die Geschichten ihrer Familie und ihres Stammes geglaubt hatte, wollte sie so ihre toten Verwandten ehren. 

Es war ihr immer egal gewesen, wie gefährlich es war, diese Perle zu tragen. Sie hatte es nie übers Herz gebracht, sie zu entfernen. 

"Du weißt, was man in unseren Kreisen über Menschen sagt, die mit den Wesen des Wassers kommunizieren, nicht wahr?", sagte Leilani mit Ehrfurcht in der Stimme. "Sie sind Kinder des Meeres und mit all seinen Mächten und Mythen verbunden. Angeblich sollen auch unter den Mönchen von St. Muerde solche Kinder dabei gewesen sein. Wenn jemand diese Crew heil nach St. Muerde bringen kann, dann du, Delilah."

Delilahs Herz schlug schmerzhaft gegen ihre Rippen. Sie? Eins der Meereskinder? Sprechende Seeungeheuer und Flüche?

Aber sie konnte nicht leugnen, was an diesem Tag geschehen war...

Leilani machte einen Verband um die Wunde und drückte Delilah einen frischen in die Hand. "Morgen solltest du ihn wechseln. Wir wollen doch nicht, dass sich die Wunde entzündet. Du solltest es übrigens Sin erzählen. Er gehört nicht zu uns, aber er glaubt an die alten Geschichten."

Delilah schnaubte abfällig. "Du hättest sehen sollen, wie er mich vorhin angeschrien hat. Er wird mir den Hals umdrehen, kaum dass du aus der Tür bist."

Leilani seufzte. "Ich weiß, dass er dir grob und arrogant erscheint. Aber er hat dir bei Jamaal geholfen, oder? Er hat es auch nicht leicht, denn er steht zwischen eurem Deal und der Crew. Er will immer nur das Beste für seine Leute und dabei vergisst er manchmal, dass es noch jemand anderen in seinem Leben geben könnte, der ihm wichtig ist."

Eher Delilah fragen konnte, was sie damit meinte, verschwand sie zur Tür raus und Sin trat wieder herein. Sie ging schnell ihre Möglichkeiten in Gedanken durch. 

Sie könnte versuchen, sich an ihm vorbeizudrängen, aber mit dem verletzten Arm konnte sie schlecht kämpfen. 

Sie konnte sich einfach weigern, mit ihm zu sprechen und stattdessen eine ewig andauernde Diskussion über sich ergehen lassen.

Sie konnte Leilanis Rat folgen und ihm alles erzählen, allerdings musste sie dann darauf achten, dass sie die Oberhand behielt.

Sie entschied sich für die dritte Möglichkeit.

"Wir müssen uns dringend unterhalten.", sagte Sin sowohl mit Wut als auch mit Neugier in der Stimme.

Delilah straffte die Schultern, reckte das Kinn vor und setzte ihre ausdruckslose Miene auf. Schließlich nickte sie. "Hast du Schnaps da?"

Sindbad (Märchenadaption)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt