Kapitel 7

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Ginny hatte kurzerhand einen Flügel gekauft, nachdem sie sich entschlossen hatte, Klavier zu lernen. Das riesen Ding nahm das gesamte Wohnzimmer ein und Harry hatte Mühe, seinen und Teddys Koffer abzusetzen. Ginny strahlte ihn begeistert an. „Toll, oder?" Ihm fehlten die Worte. „Ich bin unfassbar gut. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ich bald nur so für Konzerte angefleht werde." Mit Schrecken stellte er fest, dass sie das durchaus ernst meinte. Er setzte sich aufs Sofa. „Na dann lass mal hören", forderte er sie auf und bereute es im gleichen Moment. Es klang schrecklich – weder Technik noch Musikalität waren vorhanden. Harry zwang ein Lächeln auf seine Lippen, während Teddy sich die Ohren zuhielt und nach draußen verschwand. Nachdem sie geendet hatte bemühte Harry sich, möglichst enthusiastisch zu klatschen. „Ich bin fantastisch, nicht wahr? Ich spiele dir noch eine Zugabe." Fünf quälend lange Zugaben mehr, polterte Teddy wieder herein, Scorpius und Nate im Anhang. Ron und Hermione hatten die restlichen Kinderheute mit in den Fuchsbau genommen, damit Nate in aller Ruhe die Ältesten aus London abholen konnte. Er starrte auf den Flügel. „Ginny macht nur Krach darauf", beschwerte Teddy sich. „Können Sie Musik darauf machen?" Harry erinnerte sich daran, was der Klarinettist gesagt hatte und stimmte Teddy zu. „Ginny hat bestimmt nichts dagegen, sich mit einem anderen Pianisten auszutauschen, oder?" Auffordernd blickte er sie an. Sie zog einen Schmollmund. „Wenn du es kaputt machst, auch nur durch schlechte Musik, ersetzt du es mir!" Teddy schnaubte, während Nate sich vor den Tasten niederließ. „Ich glaube, die Gefahr besteht nicht." Vorsichtig ließ Nate seine Finger auf die Tasten sinken und begann, zu spielen. Wie bei dem Konzert wurde Harry in den Bann seiner Musik gezogen, selbst Ginny hörte auf zu schmollen. Nate war ganz in sein Spiel versunken, mit mehr Konzentration als beim Cello. „Ich bin ein wenig eingerostet", stellte er fest, als er geendet hatte. „Das war wunderschön", korrigierte Teddy ihn. Harry nickte wortlos, doch Ginny schüttelte den Kopf. „Na ja, nicht allzu schrecklich. Aber bei weitem nicht so gut, wie ich." Teddy blieb der Mund offenstehen. „Machst du Witze?!", doch ein ermahnender Blick von Harry brachte ihn zum Schweigen. „Wieso hast du kein Klavier bei dir?",fragte Harry stattdessen neugierig. Nate lächelte. „In keinem Fall bekomme ich eins unter, selbst, wenn es klein ist. So einen großen Flügel habe ich bisher nur in Theatern gesehen." „Spiel nochwas, Dad", verlangte Scorpius, auf den die Musik eine sehr beruhigende Wirkung hatte. Zumindest hatte er aufgehört, zu zappeln. Nate warf einen fragenden Blick zu Ginny, die jedoch nicht reagierte. Harry nickte ihm ermunternd zu und veranlasste ihn so dazu, noch ein Stück zu spielen. Diesmal erkannte er, was Nate mit „eingerostet" gemeint hatte. Sein Spiel klang noch virtuoser und er sah wesentlich entspannter aus. Nachdem er fertig war, stieß Ginny ihn ungeduldig vom Klavierhocker. „Geh weg. Du bist hier sowieso nicht willkommen, Malfoy!" „Ein sehr schönes Instrument. Geben Sie gut darauf Acht", antwortete er gelassen und ging zur Haustür, Teddy und Scorpius folgten ihm. Auch Harry verspürte die Versuchung und bei Nate im Garten zu faulenzen, doch besann sich eines Besseren, als er Ginnys Blick sah und machte sich mental auf einen Restabend voller grausamer Musik bereit.

Die folgenden Wochen schmiss Ginny ihn immer öfter aus dem Haus, um ihre Ruhe zum „Üben" zu haben. Harry machte das nichts. Jeden Morgen verließ er mit Teddy zusammen das Haus und machte sich auf den Weg zu Nate. Der schien nichts dagegen zu habe, dass die Beiden dort ständig rumhingen. Er hatte immer einen großen Krug gekühltes Wasser am Küchenfenster, das sperrangelweit aufgerissen war, und zwei Gartenstühle für ihn und Harry bereitstehen. Das Leben spielte sich größtenteils draußen ab, wenn das Wetter es zuließ, was im Kontrast zu dem beengten Beieinandersein im Haus, das Harry in den Winterferien kennengelernt hatte, stand. Im Garten war genug Platz für alle und Nate genoss es, einfach dazusitzen und zu beobachten. Ab und zu führte er eine kleine Konversation mit Harry, doch meistens blieb er ruhig und ließ die Sonne auf sein blasses Gesicht scheinen. An einem besonders heißen Tag hatte er den Gartensprenkler aufgestellt und Harry, die Kinder und die Hunde hatten einen Heidenspaß, in Badesachen unter ihnen hindurchzurennen, während Nate ihnen in voller Montur aus sicherer Entfernung zuschaute. Harry sah ihn nie lockerer angezogen, egal zu welchen Temperaturen. Es wunderte ihn, dass er keinen Hitzeschlag bekam. Gelegentlich kamen auch Ron und Hermione vorbei, was eher abends der Fall war. Sie saßen dann draußen, während die Kinder schon im Bett lagen, und spielten. Einmal brachte Ron Ginny mit. Sie war während ihrer „Übungszeit" bei ihnen gewesen. Es wunderte Harry, dass sie überhaupt dazu hinabgelassen hatte, mitzukommen. „Lasst uns Wahrheit oder Pflicht spielen", bettelte Hermione und holte eine leere Flasche hervor. Sie setzten sich, teils mit mehr, teils mit weniger Protest, um den Gartentisch. Im Vergleich zu ihrer Schulzeit war es eine weniger peinliche Art zu spielen, aber trotzdem wurde viel gelacht. Dann warHarry an der Reihe. „Wahrheit oder Pflicht?", fragte Hermione ihn grinsend. „Pflicht." „Dreh die Flasche, und die Person, auf der sie landet, musst du auf den Mund küssen." Seufzend versetzte Harry die Flasche in Bewegung und hoffte inständig, dass sie auf Ginny landen würde. Alle anderen Optionen waren mit großer Unannehmlichkeit (Ron), oder Eifersucht (Hermione, Nate) verbunden. Die Flasche blieb auf Nate stehen. „Oh nein!", begann Ginny, doch Ron unterbrach sie. „Komm runter, Gin, es ist nur ein Spiel. Los Harry!" Er grinste. Sich geschlagen gebend, wandte Harry sich nach rechts, ergriff Nates Kinn, um dessen Kopf zu sich zu drehen, und drückte ihm einen leichten Kuss auf die Lippen. Ginny schrie auf. „WIR! GEHEN!" Sie wollte Harry auf die Beine ziehen, doch der blieb sitzen. „Es ist ein Spiel!", fuhr er sie an. Schnaubend stand sie da. „Entscheide dich! Entweder ich oder Malfoy!" „Ginny...", versuchte Hermione sie zu beruhigen. „Nein! Du verbringst die ganze Zeit mit Malfoy. Mit Malfoy!" Wütend stampfte sie davon. „Ich schick dir deine Sachen!" „Vergiss Teddys nicht!" Harry war genauso sauer wie sie. Schüchternd erhob Nate sich. „Soll ich einen Schlafplatz für dich vorbereiten? Teddy schläft eh die meiste Zeit hier." Mit einer plötzlichen Müdigkeit nickte Harry. „Das wäre nett."

Ron und Hermione hatten sich verabschiedet und Nate hatte sein Bett für Harry vorbereitet. Als er nach unten aufs Sofa verschwinden wollte, hielt Harry ihn am Arm fest. „Bitte bleib." Nate zögerte. „Wir haben uns doch auch im Fuchsbau ein Bett geteilt." „In Ordnung." Nate verschwand im Badezimmer und kam im Schlafanzug zurück. Nachdem er das Licht gelöscht hatte, legte er sich neben Harry auf den Bauch. „Bin ich Malfoy?", murmelte er schläfrig. Sanft strich Harry ihm, wie einem Kind, das einen Alptraum hat, übers Haar. „Nein. Du bist Nate."

Als Harry aufwachte, schien die Sonne hell ins Zimmer und er vernahm ein Klopfen an der Tür. „Ja?" Nate kam bereits fertig angezogen mit einem vollen Tablett herein. „Ich dachte, du hättest vielleicht Hunger." Harry wurde rot. „Bitte mach dir keine Umstände", sagte er verlegen. „Es ist schon genug, dass du uns aufnimmst." „Ihr seid meine Gäste", beharrte er. „Und es ist kein Umstand. Ich hatte Zeit." Er stellte das Tablett auf Harrys Schoß und setzte sich ans Bettende. Harry starrte ihn an, als er sich an ihre letzte Unterhaltung in diesem Raum erinnerte. „Darf ...darf ich es sehen?", fragte er vorsichtig. Nate zögerte, doch nickte schließlich. Langsam, den Blick abgewandt, knöpfte er den oberen Teil seines Hemds auf und zog es auseinander. Sein Gesicht brannte rot, als Harry das Tablett zur Seite stellte und sich neben ihn kniete. Beruhigend legte er seine Hand auf die, im vollen Ausmaß zu sehende Narbe. „Danke." Ruckartig stand Nate auf und machte sein Hemd wieder zu. „Iss. Sei so gut und bring das Geschirr danach mit nach unten." Schnell verschwand er. Betrübt aß Harry auf und ging anschließend nach unten. Dort standen einige große Kisten im Wohnbereich. Er stellte das Tablett auf den Esstisch und schaute in die erste Kiste, die einen Teil von Teddys Sachen beinhaltete. Ein Klappern ließ ihn herumfahren. Nate war unbemerkt hineingekommen und hatte angefangen, das Tablett wegzuräumen. Harry betrachtete ihn von hinten. Die Ruhe wiedererlangt stand er mit dem Rücken zu ihm. „Und es ist wirklich in Ordnung, wenn wir hierbleiben?" „Natürlich." Harry trat hinter ihn und merkte, wie Nate leicht zitterte, als sein Atem ihn traf. „Danke", flüsterte Harry. Wenn er auf Zehenspitzen stand konnte er sein Kinn auf Nates Schulter legen. Der zuckte zusammen, aber zog nicht weg. „Soll ich dir wirklich nicht helfen?"


Unexpected Neighbour (Deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt