K a p i t e l S i e b e n

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Ich betrete die Schule am Tag nach unserem Streit im Coffe and Cupcakes mit einem mulmigen Gefühl und dem wahrscheinlich schlechtesten Plan seit ungefähr immer. Ich will noch mal mit Lillian reden und zwar dieses Mal richtig. Ich will wissen, was gestern im Café mit ihr los war. Zählt das überhaupt als Plan? Nein, definitiv nicht. Es ist eigentlich mehr eine nicht besonders gut durchdachte Idee. Eine schlechte nicht besonders gut durchdachte Idee. Das passt eigentlich gar nicht zu mir. Normalerweise plane ich immer alles ganz genau.

Lillian steht an ihrem Spind und kramt darin herum. Ich stelle mich in einigem Abstand neben sie. Irgendwie habe ich Angst, dass sie mich dieses Mal wirklich schlägt. »Hallo«, begrüße ich sie. Meine Stimme klingt leise. Sie schaut mich nicht mal an. »Ich wollte noch mal über gestern reden«, sage ich, bemüht einen möglichst neutralen Ton anzuschlagen. Jetzt hört sie doch auf in ihrem Spind herumzukramen. Ich kann nicht genau sagen, ob sie genervt oder wütend ist. Vielleicht beides auf einmal. »Was willst du hören? Das es mir Leid tut? Das ich nichts von dem, was ich gesagt habe so gemeint habe? Das ich sonst eigentlich anders bin und gestern einfach nur einen schlechten Tag hatte?«, fährt sie mich an. Ja, da hat sie Recht. Genau das will ich hören. Einen Moment bin ich versucht ihr genau das ins Gesicht zu sagen, erinnere mich dann aber an den mörderischen Ausdruck in ihren Augen zurück und halte doch lieber die Klappe. Sie dreht sich nun endlich zu mir um und sieht mich an, wenn auch so kalt und abwertend wie nur irgendwie möglich. »Tja, dann hast du Pech. Das wirst du nämlich auf gar keinen Fall von mir hören«, fährt sie fort. »Warum?«, frage ich ohne nachzudenken und will mich im nächsten Moment am liebsten selbst Ohrfeigen. »Weil es gelogen wäre. So einfach ist das.« ich würde sie nun wirklich gerne anschreien, dass es überhaupt nicht einfach ist und das sie verdammt noch mal damit aufhören soll, weil es nichts als verletzend ist, aber ich lasse es. Sie schlägt ihre Spindtür mit einem lauten Knall zu. Ich weiß nicht genau wieso, aber auf einmal kann ich ihr nicht mal mehr richtig ins Gesicht sehen. Ich will ihr nicht ins Gesicht sehen. Stattdessen starre ich auf den Boden. Ich versuche ein Muster in den hässlichen weiß-grauen Fliesen zuerkennen, das mich irgendwie ablenken kann. Aber ich sehe nichts außer ein, zwei und jetzt drei roten Tropfen, die auf den Boden fallen und sich deutlich von den hellen Fliesen abheben. Blut. Nun schaue ich Lillian doch wieder an, aber bevor ich ihr länger als fünf Sekunden ins Gesicht sehen kann, fällt mein Blick auf ihre Hände. Sie hat sie zu Fäusten geballt und rubinrotes Blut tropft von Ihnen auf den Boden. »Deine Hände«, stoße ich nicht besonders intelligent hervor und greife nach ihren Handgelenken um die Verletzungen genauer in Augenschein zu nehmen. Als ich ihre Hände mit dem Handrücken nach oben drehe fällt mir ein kleines Tattoo an der Innenseite ihres rechten Handgelenks auf. Es scheinen zwei ineinander verschlungene Buchstaben, wenn ich mich nicht irre, sind es C und B, und ein Pfeil zu sein, aber darum kann ich mich jetzt nicht länger kümmern. Ihre Fingerknöchel sind allesamt aufgerissen und es haben sich kreisrunde, gerade mal halb verheilte Wunden gebildet, die dadurch, dass sie ihrer Hände zu Fäusten geballt hat, wieder aufgesprungen sind. »Wie ist das passiert?«, frage ich sie. »Das geht dich gar nichts an!«, zischt sie zurück. Ich will gerade sagen, dass es mich sehr wohl etwas angeht , schließlich ist sie verletzt, als sie den Mund öffnet um erneut etwas zu sagen. »Was auch immer je zwischen uns war, es ist vorbei, Grayson! Es waren sowieso alles nur Lügen!«, sagt sie, wobei ihre Stimme wie scharfkantige Eissplitter klingt. Ich sehe sie wahrscheinlich ziemlich blöd an, vielleicht auch ziemlich verletzt. »Lass mich los!«, sagt sie leise. Ich reagiere nicht. Ich bin zu geschockt und versuche immer noch ihre Worte zu verarbeiten und zu begreifen. »Lass mich los, habe ich gesagt, oder ich breche dir alle Knochen!«, schreit sie mich an. Ich lasse sie los, ohne wirklich zu begreifen, was hier geschieht, und sie stürmt davon. Sie lässt mich einfach stehen. Ganz langsam begreife ich und schlage meinen Kopf gegen einen der Spinde. Ich bin so unfassbar blöd! Ich wusste doch, dass es ein scheiß Plan war und habe es trotzdem durchgezogen! Wie blöd kann man eigentlich sein? Und obwohl ich noch eine Ewigkeit darüber nachdenken könnte, wie blöd ich bin schweifen meine Gedanken wieder zu Lillian. Was ist bloß mit ihr los? Warum ist sie so wütend auf mich? Was habe ich getan, dass sie plötzlich so verdammt wütend reagieren lässt? Was zum Teufel ist mit ihr passiert? Ich kann es mir nicht erklären, egal wie oft ich darüber nachdenke. Dafür weiß ich einfach zu wenig über sie.
»Die hat dir aber ganz schön den Kopf verdreht«, sagt eine mir durchaus bekannte Stimme hinter mir. Ich fahre herum und blicke geradewegs in die Gesichter von Sammy und Miles. »Pass bloß auf Kumpel, die bricht dir noch das Herz«, fährt Sammy fort. »Das hat sie doch schon«, erwidert Miles. Sammy ignoriert ihn und ergänzt düster: »Oder die Knochen.« »Wie bitte?«, frage ich verwirrt. »Ich hab sie Gestern in der Sporthalle gesehen. Die hat auf die Boxsäcke eingeschlagen, als gäbe es kein Morgen. Sah so aus als wäre sie schon eine ganze Weile da. Einer von den Jungs hat sich über sie Lustig gemacht und meine Güte, die hat ihn so fertig gemacht, das glaubst du gar nicht. Sieht aus, als wäre das eins ihrer Hobbies. Danach haben wir sie lieber in Ruhe gelassen, aber die war noch richtig lange da«, schildert Sammy die Ereignisse. Faszinierend was man alles so für Seiten an Lillian Moore entdeckt, wenn man nur ein bisschen mehr Zeit mit ihr verbringt, denke ich bitter. »Mir wär's lieber, wenn Sie mir die Knochen brechen würde, davon hab ich immerhin 206, aber nur ein Herz«, füge ich hinzu. Sammy klopft mir noch einmal auf die Schulter, dann gehen er und Miles zum Unterricht, sie wollen mir noch ein paar Minuten Zeit zum Nachdenken lassen, und ich bleibe bei meinem Spind zurück. Zum ersten Mal in meiner gesamten Schullaufbahn denke ich ernsthaft darüber nach zu schwänzen.

Nein, was sich vorhin gedacht habe stimmt nicht. Ich hatte keine Angst, dass sie mich schlägt, eigentlich hatte ich nur Angst, dass sie noch genau so ist wie gestern im Café. Ich hatte Angst vor dem, was sie mir sagen würde. Verbittert renne ich die Flure entlang bis zu meinem Spind. Tja, ich schätze, diese Ängste sind real geworden.


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