»Einen Kaffee Latte und zwei kalte Cola«, sagt Colin und stellt ein Tablett mit unserer Bestellung vor uns auf den Cafétisch. »Danke, dass ist genau das, was ich jetzt brauche«, erwidere ich und sehe Colin dankbar an. Nachdem ich Lillians Brief gelesen habe, habe ich eine Nachricht an Sammy und Miles geschickt, damit wir uns im Betty's, dem Café, in dem ich an drei Tagen in der Woche arbeite, treffen können. Es fühlt sich gut an hier zu sein. Besser als im Coffee and Cupcakes, wo ich mich mit Lillian gestritten habe. Außerdem hatte ich dort die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen, weil ich durchs Kaffee trinken dort gewissermaßen die Konkurrenz unterstützt habe. Zumdem brauche ich jetzt dringend die Unterstützung von Sammy und Miles und einen Plan. Einen guten Plan. Einen richtig guten Plan. Ich trinke ein paar Schlucke von meinem Kaffee Latte und starre währenddessen aus dem Fenster auf die Straße. Ich beobachte die Leute, die gerade auf dem Weg zur Arbeit sind. »Jetzt guck doch nicht die ganze Zeit so deprimiert, Mann«, fordert mich Miles auf. Mich muss der Streit mit Lillian wirklich noch mehr mitnehmen, als ich bis jetzt dachte, denn wenn ich so lustlos aussehe, dass es sogar Miles auffällt, muss es wirklich schlimm sein. Miles ist nämlich ziemlich schlecht, wenn es darum geht, die Gefühle anderer Leute zu erahnen und zeigt ziemlich selten echtes Mitgefühl. »Du kennst sie doch gerade Mal eine Woche und zwei ein halb Tage. Du musst einfach nur über sie hinweg kommen«, will mich Sammy überzeugen. Ich lache freudlos auf. »Das musst du gerade sagen. Du hattest wegen Celiné mindestens ein halbes Jahr Liebeskummer und seitdem läuft rein gar nichts mehr in deinem Liebesleben. Man könnte also fast meinen, du müsstest langsam mal über sie hinwegkommen. «
»Das ist was ganz Anderes«, murmelt Sammy und schlürft seine Cola, »Sie hat mir nicht mit Absicht das Herz gebrochen. Außerdem hat sie nicht gedroht alle meine Knochen zu brechen.«, meint er mit hochgezogenen Augenbrauen. Celiné Laurent ist die französische Austauschschülerin, die kaum Englisch spricht und uns vor anderthalb Jahren für sechs Monaten besucht hatte. Groß, schlank, lange goldblonde Haare, große blaue Augen und volle rote Lippen. Zugegeben, sie war hübsch, aber einfach nicht mein Typ. Dafür aber Sammys. Er hatte sich Hals über Kopf in sie verliebt und sie sich, zur Überraschung aller, auch in ihn. Sie waren sogar ganze fünf Monate und drei Wochen zusammen gewesen. Ihre Beziehung hätte der Inbegriff von perfekt sein können. Es gab bloß ein Problem: Sammy sprach kein Wort Französisch. Während ihrer Zeit in England hatte das ganze trotzdem mehr oder weniger geklappt. Zum Teil durch Miles und mich, da wir beide französisch sprachen und vor allem am Anfang das meiste für Sammy übersetzt hatten. Irgendwann waren wir dann ziemlich überflüssig geworden. Die beiden hatten gelernt sich irgendwie zu verständigen ohne viel zu reden. Ich bin mir zwar bis heute nicht ganz sicher, ob sie ohne Miles und mich noch mehr als zwei Worte gewechselt haben oder ob sie überhaupt viel geredet hätten, selbst, wenn sie gekonnt hätten. Die meiste Zeit hatten sie einfach nur rumgeknutscht. Immer und überall. Eine regelrechte Gefahr für die Öffentlichkeit. Am Flughafen hatten sie sich sehr lange und emotional voneinander verabschiedet, ich hatte mich dabei diskret weggedreht, zum einen, weil ich mir sonst unhöflich vorkam und zum anderen, weil ich ihr ständiges rumgeknutsche wirklich nicht mehr ertragen konnte und weil ich zu dem Zeitpunkt eine wirklich bedauerliche Phase hatte, in der ich mir ständig selbst leid tat und nicht wieder einmal vorgehalten bekommen wollte, dass ich immer noch Single war. Wie auch immer, Sammy hatte versprochen sie jeden Tag anzurufen und ich bin mir sicher, dass er das auch getan hätte, wenn er denn mittlerweile Französisch gelernt hätte. Das hatte er nur leider nicht getan. Er hatte einfach nicht gewusst, was er sagen sollte. Aber weil er nun mal Sammy war, hatte er eine Woche damit verbracht ein Liebesgedicht auf Englisch für sie zu schreiben und es dann auf Französisch zu übersetzen. Natürlich nicht mit Google-Übersetzer, denn der war schließlich absoluter Mist. Aber er war bereits zu spät gewesen. Celiné hatte ihm nach fünf Tagen eine WhatsApp geschrieben und mit ihm Schluss gemacht. Der Arme hätte sich das natürlich nie träumen lassen und Celinés Nachricht zuerst völlig Ahnungslos von einem Übersetzungsprogramm übersetzen lassen. Schließlich, als er verstanden hatte, was sie ihm da mitteilte, hatte er mich völlig aufgelöst angerufen. Das war keine schöne Zeit gewesen. Sagen wir einfach, ich konnte nach diesem halben Jahr mit Sammys Liebeskummer sämtliche Liebes- und amerikanische Highschool Filme mitsprechen. Das Einzige, was Sammy aus der Beziehung mit Celiné zurückbehalten hatte, waren ein gebrochenes Herz, ein paar Brocken Französisch und ein deutlich besserer Kleidungsstil. Immerhin hatte er etwas gelernt. Das kann man von mir nicht behaupten. Obwohl Lillian und ich eigentlich nie eine richtige Beziehung gehabt haben. Sie sollte mir verdammt noch mal nicht so sehr das Herz brechen. »Reden wir hier etwa von Celiné Laurent?«, fragt Miles und zieht eine Augenbraue hoch, »Ich dachte, du wärst über sie hinweg. Eure Beziehung hat schließlich nicht besonders gut gehalten.« »Bin ich auch«, erwidert Sammy, »Aber sag du mal besser gar nichts zu dem Thema Beziehungen. Celinés und meine Beziehung hat immerhin fünf Monate und drei Wochen gehalten. Ich erinnere dich nur mal kurz daran, dass Esther letzten Monat nach nur einer Woche mit dir Schluss gemacht hat, weil du dich außer in der Schule nie mit ihr getroffen hast, da du nie Zeit hattest, weil du Nachmittags fast immer bei deinen ganzen Sprachkursen warst. Und wenn du dann doch mal Zeit hattest, hast du lieber Playstation gespielt anstatt dich mit ihr zu treffen. Das ist nicht gerade das, was ich unter der perfekten Beziehung verstehe.« Miles zuckt gleichgültig die Schultern: »Man muss eben Prioritäten setzen.« »Genau. Meine Priorität ist jetzt erstmal mit Lillian zu reden und das, was zwischen uns ist, zu klären.«
»Darf ich dich daran erinnern, dass zwischen euch rein gar nichts ist außer Streit, Todesdrohungen und ein Besuch im Café, bei dem es zu besagtem Streit kam?«, fragt Miles und zieht eine Augenbraue hoch, während Sammy murmelt: »Ich such besser schon mal die besten Liebesfilme raus.«
»Danke, Leute. Ihr macht mir wirklich unglaublich viel Mut«, erwidere ich augenrollend. »Klar, das ist unsere besondere Stärke.« Sammy zwinkert mir zu. »Miles und ich gehen jetzt ins Kino. Da läuft nämlich im Moment ein richtig guter Highschool Film und auch wenn sie vielleicht doch ganz nett ist möchte ich trotzdem nicht unbedingt dabei sein, wenn du und Miss Murderous eure Differenzen regelt.« Er steht auf und zieht Miles mit sich, der mir noch einen letzten verzweifelten Blick der Sorte Bitte-bitte-hol-mich-hier-raus zuwirft. Ich nehme mein Handy zur Hand und tippe: Lillian, wir müssen reden. Bitte melde dich bei mir.Falls ihr irgendwann mal mit einem ziemlich hübschen Mädchen euren Streit beiseite räumen wollt und sie danach, wenn alles geklärt ist (falls es das denn ist), zu einem Date einladen wollt, dann empfehle ich irgendein nettes Café/Restaurant/Bistro oder einen schönen Park. Auf gar keinen Fall irgendeine verlassene, dunkle Seitengasse. Nein, auch nicht, wenn sie es als Treffpunkt vorgeschlagen und schon gar nicht, wenn sie euch möglicherweise heute morgen noch eine Todesdrohung gemacht hat. Macht es nicht, Leute! Denkt nicht mal daran! Tja, blöd nur, dass ich es selbst tue. Ich muss zugeben, dass ich ein wenig, okay, das ist vielleicht untertrieben, nervös bin. Warum können wir uns nicht einfach an irgendeinem warmen Ort treffen? Warum muss es in dieser eiskalten, dunklen Gasse im Nirgendwo sein? Alle meine wirren Gedankengänge stoppen sofort, als eine in schwarz gekleidete Person am anderen Ende der Gasse auftaucht. Zuerst erschrecke ich mich fürchterlich, doch dann fällt mir auf, dass es Lillian ist. Sie kommt langsam auf mich zu und mir fällt zum ersten Mal auf, dass sie ziemlich muskulös ist. Muskulöser als ich. Okay, es ist nicht so, als ob ich so besonders viele Muskeln hätte, aber ich würde mich selbst auch nicht gerade als Bohnenstange bezeichnen. Lillian steht nun direkt vor mir und mustert mich. »Hi.« Hi?. Ernsthaft? Das ist alles, was du herausbringst, Grayson? »Hi«, antwortet sie. Mir ist es schon öfter passiert, dass ich fast genau wusste, was Leute als Nächstes tun oder sagen würden, aber bei Lillian habe ich wirklich keine Ahnung und ich wünschte, es wäre anders. Denn dann wüsste ich jetzt, ob ihre nächsten Worte mein Herz noch einmal brechen werden oder es vielleicht wieder zusammenflicken. »Um das gleich mal klarzustellen, hier geht es nicht um uns.«
»Nicht?«, frage ich verwirrt. Schließlich ist genau das der Grund, aus dem ich mit ihr reden wollte. »Nein«, bestätigt sie, »Und auch nicht um unsere Beziehung.« Sie stockt kurz.
»Die wir nicht haben«, fügt sie dann hastig hinzu. Zugegeben, das war nicht unbedingt das, was ich gehofft hatte. »Worum geht es dann?«, will ich von ihr wissen. »Es geht um Leben und Tod«, antwortet sie ernst. Das ist jetzt doch ein wenig beunruhigend. Ich schlucke. »Wessen Leben und Tod?«, frage ich vorsichtshalber nach. »Um Aller Leben und Tod.« Sie blickt mir in die Augen.
Auf irgend eine Weise verunsichert und fesselt mich ihr Blick zugleich.
»Darf ich erwähnen, dass das ziemlich beunruhigend und irgendwie unglaubwürdig klingt? Ich meine, du machst ständig so komische Andeutungen über Leben, Tod, Massenmord, Amseln...«
»Amseln?«, fragt sie stirnrunzelnd. »Ja, Blackbird.«
»Gut, dass du das erwähnst«, antwortet sie. »Blackbird ist ein guter Anfang für diese Geschichte. Hör zu, es mag vielleicht verwirrend, unglaubwürdig und blutig sein, aber ich rate dir zuzuhören. Es ist nämlich alles wahr.«
»In Ordnung«, antworte ich, unsicher was mich erwartet. Sie holt tief Luft und beginnt zu erzählen. »President Blackbird hat meinen Zwillingsbruder vor einem halben Jahr getötet«, erklärt sie mir. Ich sehe sie bestürzt an. Es muss unglaublich schlimm sein seine Geschwister zu verlieren, und dann auch noch den Zwillingsbruder. Ich will ihr mitteilen, dass es mir unglaublich leid tut und dass ich das nicht wusste. »Ich...es...es tut...«, ist alles was ich herausbringe, bevor sie abwinkt und weiter redet. »Blackbird hat also meinen Zwillingsbruder getötet. Das ist der Grund, aus dem ich ihn hasse. Nicht aber der Grund, aus dem ich mich vor ihm fürchte. Dies hat einen anderen Grund.« Ich warte darauf, dass sie mir diesen Grund nennt, aber sie wendet sich von mir ab und blickt an mir vorbei in die Dunkelheit. Zum wiederholten mal wünsche ich mir, ich könnte in ihren Kopf sehen und ihre Gedanken lesen, dann würde ich mir nicht immer so ratlos vorkommen. Ich will sie gerade vorsichtig fragen, was denn nun der Grund ihrer Angst ist, als sie sich wieder zu mir dreht und mir direkt in die Augen sieht. Wie schon früher habe ich das Gefühl unter ihrem Blick regelrecht zu erstarren. Ihr Augen sind einschüchternd, aber jetzt sehe ich ein Mal genauer hin und kann neben ihrer Schönheit und der einschüchternden Wirkung auch etwas Anderes darin sehen. Die Augen dieses Mädchens sind die Augen eines gebrochenen Mädchens. Dieses Mädchen vor mir ist ein gebrochenes Mädchen. Und ich wüsste zu gerne, was ihr wiederfahren ist. Ihr Gesicht zeigt keine Gefühlsregung, als sie die nächsten Sätze ausspricht: »Sich zu fürchten, Grayson, das ist in Ordnung. Denn jeder Mensch hat Ängste. Aber damit umzugehen, das ist das schwieriger. Ich glaube nicht, dass ich diese Angst vor ihm jemals überwinden werde. Aber ich probiere es täglich. Schon allein die Tatsache, dass ich morgens aufstehe und in den Spiegel blicke, kostet mich Überwindung. Und trotzdem tue ich es. Mir bleibt nichts anderes übrig, als der Angst in die Augen zu blicken. «
Sie hält inne, dann holt sie tief Luft. »Ich kann nicht weglaufen vor dieser Angst und vor dem, was geschehen ist. Deswegen muss ich mich ihr stellen. Das ist der einzige Weg zu gewinnen. «
Ich nicke, aber ich kann nur denken: Was ist es, Lillian? Was ist deine Angst?
Gerade als ich den Mund öffne, um sie danach zu fragen, redet sie plötzlich weiter.
»Vor gerade mal zwei Wochen hat er mir den Grund gegeben ihn zu fürchten. President Blackbird hat mich getötet.«
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Das Netz der Zeit #StarAwards_2019 #iceSplinters19 #CA19
AdventureWas, wenn es mehrere Wirklichkeiten gibt? Wenn du dazu bestimmt bist, die Zukunft zu verändern? Wenn du versagst? Was, wenn es eine Möglichkeit gibt alles zu retten? Und wenn du dafür die Liebe deines Lebens aufgeben musst? Als Lillian bei einer Mi...