•▪Kapitel■1▪•

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Der riesige Halbdämon ging auf und ab und ein paar Illidari wichen ihm aus und knieten nieder, als er sie passierte.
So viel Einfluss hatte er also.

Die neuen Rekruten sahen sich nervös an.

Illidan war sicherlich einschüchternd und ebenso abstoßend wie auch machtversprechend.
Aber wegen Macht war niemand hier.

Senan merkte, wie alle auf einen Rekruten starrten.
Der einzige, thalassische, Rekrut, der offenbar schon ein dämonisches Ich angenommen hatte.

Seine Haut an seinen breiten Schultern schien geriffelt, doch wenn man genauer hinsah, waren dort Schuppen, die den Eindruck erweckten.
Er hatte schulterlange blonde Haare und seine Augen waren hinter einer dunkelbraunen Augenbinde versteckt, doch ein grünes Glühen verriet, wo sie wirklich saßen.
Auch trug er schon eine der Illidari-typischen Lederhosen und selbstverständlich Stiefel und Handschuhe, bei denen die Finger noch frei waren.

Sie konnte sich den Sinn dahinter gut vorstellen: dass die Gleven, die offenbar jeder Illidari besaß, nicht aus den Händen rutschten.

Der Rekrut sah zu ihr.
Offenbar hatte sie zu viel gestarrt.
Aber weder sie noch der andere hörten auf zu starren.

Bis sich eine Elfe mit roten Locken zwischen sie schob.

Sie schien nach vorn zu wollen.
Und das schaffte sie.

"Lord Illidan!" Sie rannte näher und fiel kurz vor ihm auf die Knie.
Senan beobachtete sie, besorgt zitternd.
Sie merkte dem Halbdämon an, dass er sie ganz leicht töten könnte.

Mit einer kurzen Handbewegung und einem "Was willst du?" fragte er jedoch nach einem Grund.
"Ich habe eine Biographie über Euch gelesen, Lord Illidan." Mit hoffnungsvoll glitzernden Augen sah die junge Elfe zu ihm auf - wofür sie ihren Kopf sehr weit in den Nacken legen musste. "In dem Buch stand, Ihr wärt einmal Arkanist gewesen. Ich habe immer gehofft, ich könnte Euch finden und um Unterricht bitten."

Erwartungsvolles Schweigen erfüllte den Raum.

Illidans Augen glühten stärker durch seine hellbraune Augenbinde.
Kein gutes Zeichen, das wusste jeder.

"Das war vor zehntausend Jahren, wie du sicher weißt, bevor mein eigener Bruder mich einsperrte. Und selbst davor hatte ich die Magie längst hinter mir gelassen. Wozu ein Arkanist sein, wenn..." Mit einer weiteren Geste entfachte er eine grüne Flamme über seiner Hand. "...weder der Quell der Ewigkeit mehr ist, noch die Nötigkeit, da man mehr Macht erlangt hat. Und jetzt zurück zu den Rekruten."

Enttäuscht wandte sie sich ab und schlurfte wieder in die Gruppe, neben Senan.
Die älteren Illidari sahen erstaunt zu ihrem Anführer auf.
Ganz offensichtlich hatten sie eine so sachte Erwiderung nicht erwartet.
Also war bei Illidan besonders viel Vorsicht geboten.

"Mannooo...", jammerte die Elfe leise und als Senan zu ihr schielte, merkte sie, dass sie krampfhaft Tränen unterdrückte.
Eine Abfuhr vor so vielen Leuten war sicher nichts, was ihr perfektes Elfengedächtnis je vergessen würde.

Senan griff unauffällig nach ihrer Hand und drückte sie sanft. "Es wird alles gut. Von den Illidari hab ich gehört, dass man hier ganz leicht die Vergangenheit hinter sich lassen kann. Es gibt nichts, was ich mir mehr wünschen könnte. Warum tust du das nicht auch?" Als sie merkte, dass die andere zuhörte, beugte sie sich leicht vor. "Ich heiße Senan, mal so nebenbei."
"Loxyn.", schniefte die andere Elfe und drückte ebenfalls ihre Hand. "Vielleicht versuche ich das mal."
"Sehr gut." Senan strahlte und setzte sich dann mit dem Rest der Truppe in Bewegung.

Kor'vas, eine sehr trainierte Illidari-Nachtelfe, führte sie in einen Nebenraum, der von einem großen goldenen Stein beleuchtet wurde.

"Das Ritual ist kurz und einfach. Es wird euren Körpern zusetzen, schließlich wird viel an euch in etwas dämonisches verwandelt, das wäre also klar." Kor'vas sah in die Runde. "Ist irgendjemand - außer Rhaen - " Sie zog den schon recht dämonischen Elf aus der Gruppe an ihre Seite. " - der schon irgendwie mit Teufelsblut in Kontakt gekommen ist?"

Zögerlich schob Senan sich durch die Reihen nach vorn.

"Erzähl uns, wie.", forderte Kor'vas.

Senan nickte. "Meine Eltern führen seit ein paar Jahren Experimente an mir durch, heute wieder. Aber heute haben mich Dämonen gerettet." Sie umklammerte ihre linke Hand, die plötzlich zu zittern begann. "Sie haben mir Wasser gegeben, in dem Teufelblut schwamm. Ich wollte das gar nicht, ich habe es nur zu spät gesehen." Vorsichtig hob sie ihren Kopf und suchte in Kor'vas' glühenden Augen nach einer Reaktion. "Ich konnte fliehen, nach Shattrath, obwohl ich die Welt draußen zum allerersten Mal gesehen habe. In Shattrath traf ich auf A'dal, der mich jedoch für einen Dämon hielt, woraufhin ich die Stadt wieder verließ. Irgendwie bin ich dann hierher gekommen und das fühlt sich...richtig an."
"Sei den Dämonen bloß nicht dankbar dafür. Du wirst sie nachher jagen müssen." Kor'vas nickte langsam. "Du hast also Teufelsblut getrunken, das mit Wasser vermischt wurde. Es könnte sein, dass deine Verwandlung nicht ganz so dämonisch ausfällt. Das beeinträchtigt allerdings nichts, wäre dementsprechend nicht tragisch. Also. Sonst noch jemand?"

Kein Mucks ertönte.

"In Ordnung. Rhaen..." Kor'vas drückte ihm zwei schwarze Dolche in die Hände und zeigte auf den goldenen Stein, der flach wie eine Glasscheibe im Boden verankert war. "Zeigen wir ihnen das Ritual. Alle anderen sammeln sich bitte um den Stein herum."

Gesagt, getan.

Der Sin'dorei namens Rhaen stand auf dem Stein und wartete auf weitere Anweisungen.

"Arme ausstrecken.", ertönte Kor'vas' Stimme. "Seitlich."
Rhaen tat es.
"Dolchspitzen sollen nach oben zeigen."
Sie taten es.
"Augen schließen."
Rhaen tat es.
"Bleib auf alle Fälle so stehen.", warnte Kor'vas und Rhaen nickte nur.

Als der Stein hell zu leuchten begann, merkte Senan, dass die Arme des Elfen zu zittern begannen.
Ob vor Nervosität, Schmerz oder Anstrengung vermochte sie nicht zu sagen.
Aber sie hoffte, dass es nicht allzu schmerzhaft für ihn wurde.

Und er schrie tatsächlich nicht.
Und das, obwohl sich gerade sein Schädel zu verformen schien, Hörner aus seiner Stirn wuchsen, die sich wie ein 'O' formten, leuchtend grüne Tätowierungen sich in sein Fleisch fraßen und grünes Feuer in seinen Augen entfacht wurde.

Der Stein hörte auf zu leuchten.
Rhaen sackte in sich zusammen.

"Glückwunsch." Kor'vas trat mit einem leichten Lächeln zu ihm, band ihm eine Augenbinde um und half dem Elf auf die Füße. "Ruh dich aus, Rhaen. Dort hinten wurden Lager vorbereitet."
Senan und Loxyn streckten sich, um das 'dort hinten' zu sehen, doch es standen viel zu viele größere Elfen im Weg.

Kor'vas räusperte sich.
Augenblicklich war die Aufmerksamkeit wieder bei ihr.

"Verzeih, ich weiß deinen Namen nicht." Ihr Blick lag ganz klar auf Senan. "Sagst du ihn mir?"
"S-Senan.", stotterte sie.
"Komm hierher, Senan." Kor'vas winkte sie näher und fast ängstlich trat Senan auf die glatte Oberfläche des Steins.

'Verwandelt'. 'Dämonisches Werkzeug'. 'Sehr schmerzhaft', erzählten ihr die weißen Zeichen, was sie automatisch zögern ließ.

"Senan?"
Sie sah zaghaft zu der Illidari auf.
"Was ist los?"
"Die Zeichen sagen, dass da- "
"Zeichen?"
"Meine Augen zeigen mir mit weißen Zeichen die Eigenschaften von Wesen und Gegenständen...", murmelte sie.

Kor'vas schwieg.

Dann drückte sie ihr die Dolche in die Hände. "Bringen wir es hinter uns, dann prüfen wir deine Augen."

Senan nickte nur, befolgte ihre Anweisungen zum Ritual und kam überraschenderweise schmerzfrei wie auch schnell durch.
Sie wollte sich gerade zu den Lagern begeben, als goldenes Licht hinter ihr aufflammte und ein schmerzerfüllter Schrei durch den Raum hallte.

Loxyn.

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