Unschuld und Angst

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„Wirst du das überleben?", fragte Dean mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Nein", sagte Cas. Er erging sich nicht in Erklärungen. Es war eben wie es war. Cas war es gewohnt, die Dinge zu tun, die getan werden mussten und dabei die Folgen in Kauf zu nehmen, und wenn diese Folgen seinen eigenen Tod bedeuteten, dann war das eben so.
„Also wirst du morgen ein toter Mann sein?", fragte Dean und fühlte ein unangenehmes Ziehen in seiner Brust.
„Nun", sagte Cas, „ich bin nicht eigentlich ein Mann, denn auch wenn meine Hülle ein männlicher Körper ist, sind wir Engel spirituelle Wesen und somit geschlechtslos ..."
Deans Blick belehrte ihn, dass das im Augenblick gerade nicht von Bedeutung war.
Also nickte Cas und sagte einfach: „Ja."

Dean ging es nicht gut damit. Gar nicht gut. Doch er ließ sich das nicht anmerken.
„Deine letzte Nacht auf Erden ... wie sehen deine Pläne aus?"
Cas hatte keine Pläne.
„Ich werde hier still sitzen bleiben. Und warten."
„Oh, nein, nein, nein", sagte Dean. „Irgendwas, was dir Spaß macht. Alkohol?"
Cas reagierte nicht.
„Glücksspiel?"
Wohl nicht.
„Sex?"
Cas zuckte zusammen und schaute weg.
Dean hakte nach. „Cas, du hast doch schon mal ... Sex ... oder?"
Cas schaute verlegen zu Boden und antwortete nicht.
„Willst du mir erzählen, du hast noch nie ...? Ernsthaft?"
„Ich ... es hat sich eben nie ergeben."

„Okay", sagt Dean sehr bestimmt und nahm seine Jacke. „Es gibt zwei Dinge, die weiß ich ganz bestimmt. Erstens: Earnie und Bert sind schwul, und zweitens: du wirst nicht als Jungfrau sterben. Nicht, wenn ich es verhindern kann."

Eine halbe Stunde später waren sie in diesem ... Etablissement. Das Bier war teuer, die Damen ganz ansehnlich, die Atmosphäre ... na ja, was konnte man schon erwarten.
„Das hier ist eine Lasterhöhle, ich sollte nicht hier sein!", stöhnte Cas und schien völlig verängstigt.
„Komm schon", sagte Dean. „Du hast schon so viel getan, was nicht in deinem Missionsbefehl stand ... da kannst du dir auch mal ein paar Sünden gönnen."

Eine der jungen Frauen interessierte sich für Cas. Ihr Name war Chastity. Keuschheit. Ausgerechnet.
Sie zeigte, was sie hatte und war dabei doch erstaunlich stilvoll, jedenfalls nach Deans Meinung.
Cas dagegen schaute wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
Dean sah ihm ins Gesicht, in die waidwunden, völlig verängstigten Augen und begriff: Nein, das hier war nicht das richtige. Nicht so.
„Ich glaube, wir sollten gehen", sagte Dean und steckte Chastity einen Zwanziger in den BH.
Dann zog er Cas hinter sich her zum Ausgang. Der Engel wirkte erleichtert.

Doch zu Cas' Überraschung fuhr Dean nicht mit ihm zurück zu dem verlassenen Gebäude, von wo sie vorhin aufgebrochen war, sondern hielt vor einem Motel.
Er zerrte Cas hinter sich her zur Rezeption, buchte dort ein Zimmer, „Ein Zweibettzimmer bitte für mich und meinen Bruder!", und übersah geflissentlich das Zwinkern des Angestellten, der bei dem Wort „Bruder" zu schmunzeln begann.

Als die Zimmertür hinter ihnen zufiel und Dean sie verschlossen hatte, kam Cas endlich wieder zu Atem, und er fragte:
„Dean! Was tun wir hier?"
Dean schluckte.
Er war selber ein wenig unsicher bei dem, was jetzt folgen sollte. Doch er nahm sich zusammen.
„Also, Cas. Ich habe dir versprochen, dass du nicht jungfräulich stirbst. Doch ... diese Damen dort in dem ... Haus, ich hatte den Eindruck, das war nichts für dich. Das waren Fremde, und ich glaube, dein erstes Mal ... solltest du mit jemandem haben, dem du vertraust."
Cas schaute verwirrt.
„Ich verstehe nicht ..."

Dean schluckte, und dann sprach er es aus.
„Mit mir, Cas."
„Oh ..."
Cas starrte Dean an und schien überhaupt nicht zu wissen, wie er mit der Situation umgehen sollte.

Dean nahm ihn in den Arm.
Die Umarmung schien den Engel ein wenig zu beruhigen. Er zitterte nicht mehr so sehr, wie er das eben noch getan hatte. Dean streifte ihm vorsichtig den Trenchcoat ab.
„So", sagte er. „Ich schlage vor, wir ziehen uns aus. Ein Teil nach dem anderen, und immer abwechselnd. Okay?"
Cas öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen, doch dann nickte er nur. Er begann, die Krawatte zu lockern und hängte sie über den Stuhl. Dann sah er Dean erwartungsvoll an.
Der zog die Lederjacke aus und warf sie zur Seite. Damit waren sie erst einmal gleich auf.

Also weiter.
Cas' Hemd. Deans Hemd.
Cas' Unterhemd. Deans T-Shirt.
Wow, Cas nackter Oberkörper war ... anziehend. Er war ein Nerdy Angel, und doch ... das feine Muskelspiel war ansehnlich.

Cas Anzughose. Deans Jeans.
Dann die Socken.
Cas wurde knallrot. Es war ungewohnt für ihn. Nicht, dass er in seiner viele Jahrtausende währenden Existenz nicht immer mal wieder mit Nacktheit in unterschiedlichstem Kontext konfrontiert worden wäre. Doch so wie hier, sich bewusst zu entkleiden, zum Zwecke der Kopulation, das war ... neu. Und irgendwie beängstigend. Aber auch aufregend, denn immerhin war das hier Dean. Dean, dem er in der Tat vertraute, und der ihm ... etwas bedeutete.

Nun trug Dean nur noch seine Boxershorts und Cas seine eng anliegenden Pants.
„Na komm, den letzten Schritt machen wir jetzt auch noch, okay? Du musst keine Angst haben, Cas. Ich werde sanft mit dir umgehen. Es wird dir gefallen, ich bin sicher."
Dean war sich da eigentlich gar nicht so sicher, immerhin war es bei ihm auch schon ewig her, dass er mit einem Mann ... nun, egal, nach außen Zuversicht ausstrahlen, auch wenn er sie innerlich nicht empfand, war etwas, was er seit seiner Kindheit verinnerlicht hatte.
Also streifte er seine Shorts ab und stand nun splitternackt vor Cas.
Cas' Augen glitten an seinem Körper entlang und es schien ihm zu gefallen, was er sah.
Dean räusperte sich.
„Oh, ähm, ja ...", sagte Cas, verlegen grinsend und zog sich ebenfalls das letzte Kleidungsstück aus.
„Gut", sagte Dean und streckte seine Hände nach Cas aus. Er sah ihn an, um Zustimmung bittend. Cas, der zwar immer noch ängstlich war, den aber Deans Gegenwart doch zumindest sicherer fühlen ließ, nickte und trat langsam auf ihn zu.

ChastityWo Geschichten leben. Entdecke jetzt