Morgensonne und Kerker

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Deal hin oder her, Dean behielt Crowley vorsichtshalber im Auge, als sie sich am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe auf den Weg machten. Der Ort im Wald war in der Morgenfrühe ein stilles, ruhiges Plätzchen. Die Morgensonne ließ den Tau von den Blättern dampfend aufsteigen. Die Vögel in den Zweigen zwitscherten, als könne nichts böses geschehen.
Eine richtige Idylle war das.
Eine trügerische Idylle.

Sie untersuchten den Platz und ließen sich Zeit damit. Sie teilten sich auf, blieben jedoch in Rufweite. Sie wollten nichts übersehen. Dean hielt sich immer in Crowley Nähe, Sam dagegen arbeitete mit Cas zusammen. Das war ganz gut, denn so konnte Dean sich konzentrieren. In Cas' Nähe fiel ihm das einfach schwer. Die Tatsache, dass der Engel aktuell so menschlich und hilfsbedürftig schien, brachte sein Herz einfach noch mehr zum Klopfen, als ohnehin schon in des Engels Gegenwart. Er sehnte sich einfach unfassbar danach, Cas an sich zu ziehen und zu küssen, sich an ihn zu schmiegen, ihm übers Haar zu streichen, und zu sagen: alles wird gut.
Cas jedoch zeigte keinerlei Anzeichen, dass seine Zuneigung für Dean über eine Freundschaft, die sicher etwas besonderes hatte, hinaus ging.

Sicher, sie hatten Sex gehabt, damals, in jenem Motel. Doch das schien nach allem, was sie inzwischen durchgemacht hatten, Ewigkeiten her zu sein, und Dean konnte nicht sagen, ob es Cas mehr bedeutet haben könnte, als ein Akt der Verzweiflung, eine Stunde des Abschieds angesichts des für sicher gehaltenen Todes.
Und wenngleich Dean auch vor keinem Geist zurückschreckte, kein Dämon ihn in die Knie zwingen konnte, ja, er sich selbst einem heidnischen Gott ohne zu zögern stellte.
Wenn es um Gefühle ging, war er ... nun, wie soll man sagen ... er mochte solche „Chick flick-Momente" nicht, wollte nicht gerne darüber nachdenken.
Also fokussierte er sich auf das, was es hier an diesem seltsam friedlich erscheinenden Ort zu bekämpfen galt.

Es dauerte nicht lange, und sie fanden den Abstieg in eine Art Kellerraum, und bei näherer Betrachtung erwies es sich, dass der durch ein System von Gängen mit anderen unterirdischen Räumen verbunden war und das ganze beinahe eine Art Labyrinth bildete.
Wieder teilten sie sich auf, und während Cas und Sam die Tür zur linken nahmen, schritten Dean und Crowley in den rechts gelegenen Gang und machten sich dort auf die Suche nach was auch immer.

Kalt war es hier unten und feucht. Es gab Spinnweben, und das Geräusch von kleinen trappelnden Füssen ... Mäuse? Ratten?
Es roch modrig und irgendwie ... alt.
Nicht nach Schwefel oder dergleichen, aber das war auch nicht zu erwarten. Der einzige Dämon hier unten schien tatsächlich Crowley zu sein.
„Und?", sagte der in diesem Moment.
„Irgendeine Idee, wie es weitergeht, wenn wir die Gottheit erst einmal gefunden haben?"
Dean schnaubte verächtlich.
„Wir werden sehen", sagte er.
Plötzlich legte sich Crowleys Hand auf seine Schulter.
„Warte, Dean. Da vor uns ... da ist was."
Sie duckten sich und schlichen langsam vorwärts.

Sie erreichten eine hölzerne Tür, schwer und massiv. Sie war verschlossen.
Darunter her schimmerte eine Art Licht hervor. Ein helles, goldenes Licht.
Dean und der Dämon sahen sich an und nickten sich zu.
Doch noch ehe Dean fragen konnte: „Und was jetzt?", hörten sie hinter der Tür ein Gepolter, und dann Sams Stimme, und das, war das nicht Cas, der da schmerzhaft aufschrie?
Verdammt!
Ohne zu zögern warf sich Dean sich gegen die wuchtigen Türflügel, doch sie gaben nicht nach.
„Scheiße!", schimpfte er. Dann spürte er, wie er von Crowley zurück gerissen wurde.
„Lass mich mal", sagte der Dämon und legte seine Hände gegen den Knauf.
Er murmelte etwas, und der Knauf begann anscheinend zu glühen.
Dann flog die Tür auf mit einem lauten Knall und Dean stürzte sofort in den dahinter liegenden Raum.

Es war eine Art Kerker.
Sam und Cas waren mit schweren eisernen Banden an die Wände gefesselt. Cas schien nicht bei sich zu sein, Sam dagegen schon, und er zerrte an den Ketten und fluchte. Als er seinen Bruder sah, rief er:
„Vorsicht!", doch es war zu spät. Einen Moment später schwanden Dean die Sinne.

Als er zu sich kam, war auch er an die kalte feuchte Steinwand gekettet.
Er blickte sich im Raum um.
Links von ihm hingen Sam und Cas, der nun wieder bei Bewusstsein war, in ihren Fesseln. Rechts sah er Crowley – in einer Devils Trap.
Gegenüber war eine weitere Tür, die weit auf stand, und hinter der eine breite Treppe nach oben führte. Von dieser Treppe schien dieses goldene ... göttliche ... Licht herabzufließen.

„Verdammt!", fluchte Dean.
„Da haben wir schon einen Dämon dabei, der sich König der Hölle schimpft, und auf dessen Übersinnlichkeit ich mich verlassen habe. Und nun hängen wir trotzdem in der Scheiße!"
„Wenn du auch wie ein Idiot hier herein stürmen musst!", motzte Crowley zurück.

„Leute, das bringt doch jetzt nichts", rief Sam dazwischen.
„Und was machen wir jetzt?", fragte Cas, der sichtlich Schmerzen hatte. Eine kleine Kopfwunde schien ihm zu schaffen zu machen.

„Ihr ergebt euch einfach in Euer Schicksal", ertönte plötzlich eine volle, schöne Stimme durch den Raum.
Eine weibliche Stimme.
Sie kam Dean bekannt vor.

Schritte ertönten von der steinernen Treppe.
Und dann kam jemand – etwas? - heruntergeschritten.
Zuerst kamen die Beine ins Blickfeld der gefesselten Männer. Schöne, schlanke Beine.
Dann die Hüften - die Brüste ...
Ein schöner schlanker Frauenkörper, umflossen von diesem klaren Licht.

Und schließlich stand das Wesen voll und ganz im Raum und durchflutete ihn mit ihrer schieren Präsenz.

Das Gesicht. Dieses schöne, weibliche, beinahe liebevoll schauende und doch auch wieder eiskalte und berechnende Gesicht.

Dean kannte es.

Er war „ihr" schon einmal begegnet.

ChastityWo Geschichten leben. Entdecke jetzt