Tyson
Ich lehnte an der feuchten, kahlen Wand, zusammen mit Dom im Untergrund. Irgendwo im Nirgendwo bei einem Freund waren wir untergekommen und es stank wie sonst was. Trotz dessen ich in diesem Milleu lebte, was sich das Kartell und die Straße nannte, war ich sauber.
Wir waren in ein tiefes Loch gerannt, waren vor den Cops geflüchtet und ich bemerkte überhaupt nicht, dass meine Knöchel noch stärker bluteten und mein weißes T-Shirt schon voll mit Blut war. Plötzlich sträubte sich meine Haut und das Szenario spielte sich vor meinen Augen wieder ab. Als sie mein Blut gesehen hatte, war sie so in Panik geraten. Was dachte sie wohl?
Ich spannte mich an, knackte mein Nacken und schnalzte mit der Zunge. Was interessierte mich das?
So gut ich konnte, versuchte ich die Blutung zu stoppen und richtete mich dann schnell wieder auf. Ich war so außer Atem und meine Lungen fühlten sich betäubt an. Eigentlich hätte ich jetzt eine geraucht, aber das würde so nicht funktionieren, wenn man nicht mal richtig Luft bekam. Ich hechelte und schaute zu Dom, der sich erschöpft auf das Sofa gelegt hatte und nun in die Luft starrte. Wahrscheinlich dachte er über sein eigenes Kind nach. Er hatte eine kleine Tochter, das hatte er vor kurzem erfahren und nun wusste er nicht, wie er damit umgehen sollte. Er war schon um die 40 Jahre alt, sein graues Haar glänzte an manchen Stellen. Es symbolisierte viele Jahre von dem, was er alles gesehen hatte. Heute war er bereit für ein Kind, eigentlich. Aber er wusste es irgendwie selbst nicht.
Ich holte mir ein Verbandskasten aus dem Bad und wickelte es mir entsprechend um die Hände. Ich kannte den Schmerz, war daran gewöhnt und deswegen hatte ich kein Problem damit, das Verband zu stramm zu ziehen. Es tat mir nicht mehr weh. Dabei kam mir plötzlich noch was durch den Kopf geschossen.Hatte die keine Eltern oder so? Wie konnte ein Mädchen mitten in der Nacht allein durch den Park laufen?
Am liebsten hätte ich sie mitgenommen und auf meine Schulter geschmissen, damit ich sie irgendwo hinbringen konnte, wo sie sich zumindest wohl fühlte. Aber wahrscheinlich fühlte sie sich jetzt auch nicht mal mehr wohl bei mir. Shit. Die Bullen war auch auf sie zu gerannt. Das hatte Dom gesagt. Ich musste sie finden, damit sie kein Stress bekommt.
Aber eine Frage beschäftigte mich so sehr. Warum hatte sie geweint? Warum war ihr Gesicht so geschwollen gewesen? Hatte sie stundenlang dort gesessen und geweint? So sehr hatte ich noch niemanden weinen sehen und es war ungewohnt. Niemand weinte bei uns. Obwohl es genug Mädchen gegeben hatte, die wegen mir viel viel Tränen vergossen hatten. Stolz darauf war ich nicht, aber im Nachhinein wussten die Mädchen ja auf was sie sich mit mir einließen. Also hatte ich auch nicht viel Mitleid. Ich hatte mit niemandem Mitleid. Gefühle, Mitleid. Dies sind Dinge, die einen Menschen kaputtmachen. Denn wenn ein Mensch Gefühle für etwas entwickelt, ist er immer auf dieses oder jenes angewiesen. Deswegen binde ich mich an nichts und bleibe einfach kalt. So ist es am besten. Aber ohne meine Jungs könnte ich nichts anfangen, die brauchte ich. Immer. Sie waren meine Familie. Aber auch unter uns sprachen wir nie über Gefühle.Mittlerweile bekam ich auch etwas Hunger und drehte mich zu Dom, der nun schlief.
Er hatte zu viel gesehen, mehr als ich mir je hätte erträumen lassen. Er war in allen Bereichen der Kriminalität, kannte jede Ecke von Dealern und wusste als erster Bescheid, wenn sich jemand in der Hood gegen uns sträubte. Wir waren die, die Geld hatten. Die, die alle bewunderten.
Aber nicht für die guten Taten. Und das machte mich entsprechend zu dem Menschen, der ich heute bin. Manchmal war ich stolz darauf, manchmal nicht. Dom hatte mich wie seinen eigenen Sohn aufgenommen und mich in seinen Kreisen reinwachsen lassen, sodass ich jetzt sogar einer der Größten war. Einer der größten Boxer. Ich hatte keine Angst, vor niemandem hier, denn wenn mich jemand provozierte, provozierte er Dom. Und provozierte jemand Dom oder die Jungs, war es genauso auch bei mir. Ich regelte alles, in dem ich zuschlug. Es war schon fast wie meine Sprache, denn anderes konnte ich nicht.
Aber auch nicht das war immer so schön gewesen. Denn mittlerweile, nachdem ich die Kleine gerade vor mir gesehen hatte, frage ich mich, ob ich jemanden wirklich nur mit Schläge schützen könnte.
Als ich sie eben so weinen gesehen hatte, wollte ich nur, dass sie sich beruhigt. Mein Inneres bekam ein bedrängendes Gefühl, sodass ich den Drang hatte rauszugehen. Und das machte mich unruhig. Weil mich ein Mädchen in der Regel nicht so aus meiner Fassung brachte.
Ich richtete mich auf und lief zum Waschbecken, in dem ganz viele schmutzige Teller lagen. Der Freund schlief auf dem Tisch, hatte sich vorher eine Line gezogen und man könnte denken, dass er tot war. Aber er schlief, das hörte man durch seinen kratzigen Atem.
Ich wusch mir meine Hände und trocknete sie an meiner Short ab, dann tastete ich mein Handy in meiner Hosentasche ab. Ich hatte noch 10%, als ich auf mein Handy sah. Und unzählige Nachrichten. Scheiß drauf.
Wieder fuhr ich mir durch die Haare und lief kurz hin-und her. Ich konnte das Mädchen doch nicht draußen lassen! Aber du kennst sie nicht! Bis mir etwas einfiel. Wer war sie? Woher wusste ich, dass sie nicht nur irgendein Scheiß von sich gab und einer meiner vielen Feinde mit ihr einen Plan hatten um irgendwie an mir Rache zu nehmen, wenn ich auf sie reinfiel?
Morgen würde ich vielleicht merken, dass das, was ich gerade halluzinierte, dumm war. Aber es könnte möglich sein.
Völlig gefickt von meinen Gefühlen, die nie sortiert waren und nur Aggressionen in mir auslösten, zündete ich mir eine Zigarette an und ging ans kleine Fenster. Dort blies ich den Rauch aus und es formte sich eine Figur. Es war wie ein weißer Schatten, der durch das Gitter schliff. Und auch ich ähnelte diesem Schatten. Fast unsichtbar und doch überall. Überall und nirgendwo.
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Was geht abbb?
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Die With Me
Romance„Du bist mein Untergang", flüsterte sie. „Ich weiß", flüsterte er zurück.