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Ich rausche an Leni vorbei nach oben, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
Sofort ziehe ich mich um, schließe mein Handy an die Lade und warte auf eine Meldung von Aaron.
Irgendwie haben andere Jungs die Angewohnheit, ewig zu warten, bis sie schreiben, doch Aarons Nachricht kam schon wenige Minuten später.
"I'm home now, how are you?"
"I'm fine, how are you?"
"I'm good thanks for asking."
Stille in der Leitung.
Anscheinend weiß keiner, was er jetzt noch sagen soll.
Schließlich versucht er es mit dem Smalltalk weiter.
Er fragt, was ich nach dem Abi machen will und ich berichte ihm von dem freiwilligen sozialen Jahr im örtlichen Kindergarten, das nach den Sommerferien abbrechen wird.
Plötzlich fällt mir etwas ein.
Der Abiball.
Über all das Rätseln über Aaron hatte ich den total verdrängt.
Nur noch anderthalb Wochen, in denen ich kaum noch zur Schule muss und noch kein Partner, super gemacht Izzy.
Muss ich dann da noch überhaupt hin?
Wie aufs Stichwort schreibt mich Jule an.
"Du, ich, Kleider kaufen, morgen. Treffen am Bahnhof, sagen wir um zehn."
Ich berichte ihr von dem Problem mit dem Partner und sie schlägt mir vor, doch Aaron einzuladen und hinterher schickt sie einen 'Winkyface'-Smiley.
Ich verdrehe die Augen, doch stimme nach langer Diskussion zu, am Tag darauf mit Jule Shoppen zu gehen.
Ich lese noch ein wenig bevor ich einschlafe.
Am nächsten Morgen verschlafe ich fast das Treffen und komme noch ein bisschen wuschig am Bahnhof an.
Generell mag ich shoppen nicht wirklich.
Es lässt mich meine Makel deutlicher sehen, besonders wenn ich Kleidung einkaufen gehe.
Jule kann einfach alles tragen und es ist eher schwierig, das Beste als überhaupt ein passendes Kleid zu finden.
Ich habe einige Probleme beim Wählen meines Kleides, da ich es für Blödsinn halte, ein Kleid für nur einen Anlass zu kaufen, also etwas halbwegs neutrales suche.
Außerdem will ich weder zu elegant aussen noch wie eine Prostituierte.
Und dann kommt auch noch das Problem dazu, das alle Kleider, die ich mag, in Jules Augen entweder Babyhaft oder Omalike wirken.
Wieso bin ich so kompliziert?!
Letztendlich finden wir ein Kleid, das sowohl meinen Ansprüchen genügt als auch Jules.
Es ist mitternachtsblau, mit Perlenverzierung am Oberteil, welches so ausgelegt ist, das der runde Ausschnitt in durchsichtigem Stoff gefasst ist und man so denken soll, das Kleid habe einen Ausschnitt ohne Ärmel und einem bauschigen Tüllrock, der sich anfühlt wie Fliegennetz, aber zum Glück nicht an den Beinen kratzt.
Jule besteht darauf, ein Foto von mir zu machen, welches ich später in meinen Whatsappstatus stelle, und kaum bin ich Zuhause, schreibt mich jemand deswegen an.
"Hey, that's beautiful! What is that for?"
Aaron.
Holy shit.
"Prom night."
"Oh, really? Have fun!"
"I actually don't have a partner."
Plötzlich ist er offline.
Ich denke mir nichts dabei und beende mein Tagwerk, bevor ich abends schlafen gehe.
Doch auch die nächsten Tage lang ist Aaron nicht erreichbar.
Er kommt nicht online, schreibt nie und auch sein Status ist stillgelegt.
Auch treffe ich ihn nicht mehr.
Weder am See noch sonstwo im Ort.
Nach fünf Tagen halte ich es nicht mehr aus.
Aarons Oma ist die Nachbarin von meiner und so beschließe ich, ihr Mal einen Besuch abzustatten.
Sie ruft mich sofort herein, als ich klopfe.
Meine Großeltern wohnen in einer Gartenkolonie und so drücke ich die Holztür des Hauses von Aarons Oma auf und gehe rein.
Die alte Dame sitzt am Tisch.
"Hallo?", begrüßt sie mich fragend.
"Ähm, ich bin eine Freundin von Aaron und... Wollte nur wissen, ob es ihm gut geht."
Sie sieht mich kurz verwirrt an, dann scheint sie es zu verarbeiten.
"Oh Schätzchen das tut mir leid aber Aaron ist nicht da."
"Wo ist er denn?"
"Also das weiß ich nicht genau, er sagte, er geht zurück nach Amerika zu Sam. Weißt du, wer das ist?
Ach ja, wo bleiben meine Manieren? Willst du einen Kaffee? Tee? Einen Saft?"
Mich erfüllt entsetzliche Leere.
Irgendwie dumpfer Schmerz.
Schreck und Angst, meine Brust zieht sich zusammen.
Aaron ist zurück zu Sam?!
Wieso?
Das kann doch einfach nicht sein!
Doch natürlich kann das sein, Izzy, du dummes Kind!
Die beiden haben sich einfach vertragen und werden jetzt wieder glücklich!
Wie konnte ich nur jemals überhaupt denken, das ich eine Chance hätte?!
Hab ich nicht.
Werd ich niemals haben.
Aaron gehört zu Sam, wann kapiere ich das endlich.
"N-nein danke...", nuschele ich und renne dann weg, ohne mich zu verabschieden.
So schnell es geht, radele ich nach Hause, stoße die Haustür mit einem Knall auf und renne die Treppe hoch.
In meinem Zimmer werfe ich mich auf das Bett und ersticke mein Weinen mit dem Kissen.
Nach kaum einer Minute kommt Leni hoch.
Sie klopft.
"Isa? Ist alles in Ordnung?"
Ich kann nicht antworten.
Die Schluchzer schnüren mir die Worte ab.
Leni kommt rein.
"Hey Schwesterherz..."
So nennt sie mich nur, wenn wirklich die Welt zusammenbricht, sie totkrank ist oder sie was will.
Ich muss furchtbar aussehen.
Leni legt sich neben mich und schlingt mir die Arme um.
Auch wenn man es nicht denken mag, sie kann wahnsinnig gut trösten.
"Was ist?"
"Aaron ist wieder bei Sam, in Amerika!", jammere ich.
"Was?!"
Sie lässt mich los.
"Wegen so einem Scheiß heulst du?
Das war klar! Dummes Ding!"
Sie steht auf und verlässt das Zimmer, als wäre ich eine Zeitverschwendung gewesen.
Wieder kommen mir die Tränen.
Es lässt mich auch jeder im Stich, oder?

Sorry Izz! Ich versuche, so schnell wie möglich weiterzumachen!

Actual fuck? Why me?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt