~America~
„Die Mädchen kommen!", hörte ich von unten rufen.
Plötzlich fing mein Herz an, schneller zu klopfen.
„Wie wär's, wenn du jetzt nach unten gehst, Liebling?", sagte Maxon und nahm meine Hand. „Ich erledige den Rest. In Ordnung?"
Es dauerte eine Weile bis ich realisierte, was genau er gesagt hatte. „Ja, natürlich."
Es dauerte noch weitere Sekunden bis ich den Antrieb fand zu gehen. Hinter mir hörte ich noch ein Seufzen, der von Maxon kam. Ich war mir sicher, dass Maxon froh sein würde, wenn der ganze Trubel vorüber war. Egal, ob mit oder ohne Caitlyn. Ich selber konnte es nicht einschätzen, wie ich mich danach fühlen würde.
Unten angekommen sah ich alle Zofen und Diener bereit stehen. Ich nahm den gleichen Platz ein wie vorhin. Als dann die Türen geöffnet wurden, konnte ich meine Nervosität nicht verbergen. Marlee, die sich unbemerkt hinter mich gestellt hatte, musste mich mehrmals daran erinnern, dass ich mich unter Kontrolle haben musste.
Endlich kam der erste Wache, dicht gefolgt vom ersten Mädchen. Meine Augen weiteten sich. Ein perfekt aussehendes Mädchen stolzierte selbstbewusst vor sich hin. Ihr Blick galt die ganze Zeit mir, als wolle sie meine Aufmerksamkeit gewinnen. Natürlich hatte sie blonde Haare, aber mir kam der Verdacht auf, dass sie gefärbt waren. Ich hoffte sehr, dass die anderen nicht so waren. Das Mädchen machte einen sehr eleganten Knicks und lächelte breit. Ich sah ihr in die Augen und wusste, dass sie nicht Caitlyn war. Mein mütterlicher Instinkt würde mich nicht enttäuschen.
Das nächste Mädchen kam herein, anders als das erste Mädchen galt ihr Blick nicht mir. Sie betrachtete alles ganz genau und fand alles bestimmt aufregend. Es freute mich, sie so interessiert zu sehen. Sie machte mir einen sehr natürlichen und sympathischen Eindruck. Das beruhigte mich ein wenig, da ich befürchtete, dass alle Mädchen nur an der Krone und an der Aufmerksamkeit interessiert waren.
Nun kam das dritte Mädchen. Sie machte mir einen sehr schüchternen Eindruck, was sie mir sehr sympathisch machte. Außerdem überzeugte ihr natürliches, wunderschönes Aussehen. Als sie langsam zu mir kam, konnte ich ihre Angst in ihren Augen ablesen. Zu gern hätte ich ihr gesagt, dass sie sich nicht zu fürchten brauchte. Doch ich schaffte es nicht. Stattdessen sah ich ihr minutenlang hinterher, als sie auf dem Weg in den Damensalon war, wo sich alle Mädchen treffen sollten.
Die darauffolgenden Mädchen waren alle verschieden. Die einen waren eher schüchtern, die anderen waren vollkommen aufgeregt. Eines der Mädchen wagte es sogar, einen so sehr tiefen Ausschnitt zu tragen, sodass ihre Brüste förmlich hervorquollen. Ich nahm mir vor, sie so schnell wie möglich wegzuschicken.
Nachdem der erste Ansturm der Mädchen vorüber war, lief ich mit schnellen Schritten in mein Zimmer. Zutiefst erschöpft warf ich mich auf mein Bett. Dass mich das so fertig machen würde, hätte ich nicht gedacht. Fünfundzwanzig Mädchen waren nun im Damensalon und warteten auf Anweisungen. Noch weitere fünfundsiebzig würden heute noch kommen. Ich wusste nicht, wie ich das meistern sollte.
„Alles in Ordnung, Liebling?", fragte mich Maxon, der unauffällig das Zimmer betreten hatte.
Sofort stellte ich mich aufrecht hin und sagte, dass es mir gut gehen würde. Dann erzählte ich ihm meine ersten Eindrücke der Mädchen.
„Es wird schon die Richtige dabei sein. Wir müssen nur ein wenig Geduld haben, dann klappt es schon irgendwie. Der Grund, wieso ich gekommen bin, ist, dass ich mit einigen weiteren Begleitern die Liste mit den Anforderungen fertig gemacht haben", sagte Maxon.
„In so kurzer Zeit?", fragte ich erstaunt.
Maxon lächelte über meine Aussage.
„Manchmal müssen wir Dinge in einer noch kürzeren Zeit erledigen. Es wird ein grobes Ausschussverfahren sein. Von hundert Mädchen dürfen heute nur zwanzig bleiben und auf die Genesung von Dr Parker wart..."
„20?", unterbrach ich ihn.
„Ja, Liebling. Alle können nicht bleiben. Dazu kommt, dass die Mädchen in Gruppen aufgeteilt werden."
„Oh. Gut, dann lese ich die Liste erst einmal durch und gehe dann anschließend zu den Mädchen."
Ich seufzte. Maxon gab mir den Zettel und ich fing an zu lesen. Während des Lesens, fing ich lautstark an zu lachen.
„Was ist los?", fragte Maxon, der verwundert über meine Reaktion war.
Ich suchte die Stelle erneut heraus und zeigte sie Maxon.
„‚Alle Mädchen, die nicht das gleiche Talent zum Singen wie Königin America haben, werden umgehend nach Hause geschickt'", las ich laut vor und musste mir das Lachen verkneifen.
Doch Maxon fand es überhaupt nicht witzig.
„Leider müssen wir so verfahren. Was schlägst du denn anderes vor? Und Umgang mit Kameras ist auch dabei."
Doch jetzt ließ sich eine Spur von einem Lächeln in seinem Gesicht wiedererkennen.
„Und ihr sagt, ich würde nur auf verrückte Ideen kommen", entgegnete ich höhnisch.
„Gut. Gut. Als König muss man ab und zu auch improvisieren können. Eine andere Wahl ist nicht möglich."
Wir schwiegen eine Weile, weil niemand von uns recht wusste, was wir sagen sollten. Schließlich nahm Maxon meine Hände und schaute mir in die Augen.
„Du solltest nach unten zu den Mädchen gehen und den Gesangstest machen. Marlee wird dir helfen, die Mädchen zu beurteilen. Die ersten müssen gleich durch sein, denn die zweite Welle ist auf dem Weg", sagte er mit sehr sanfter Stimme.
Ohne ein Wort zu sagen, legte ich meinen Kopf aus seine Brust. Sofort umschlugen mich Maxons kräftige Arme. In diesem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher, als mit Maxon alleine zu sein. Ich hätte mich so gerne in sein Arme gekuschelt. Ich brauchte einfach mehr Zeit für uns. Zeit, welche wir seit Tagen nicht mehr hatten.
„Ich wäre jetzt so gerne mit dir allein", säuselte ich an seiner Brust.
„Ich weiß. Ich weiß."
Schon zehn Minuten später stand ich vor dem Eingang des Damensalons. Noch einmal holte ich tief Luft, bevor ich den Saal betrat. Maxon und ich hatten beschlossen, den Mädchen nichts über den „Test" zu sagen, sodass sie alle ahnungslos waren. Die zwanzig Mädchen, die es heute schaffen würden, würden bleiben und auf die Genesung von Dr Parker warten. Dann würde man ihnen ein Stück Haar abschneiden und Blut abnehmen. Es mochte sich einfach anhören, war jedoch eigentlich unheimlich kompliziert.
Als ich die Mädchen mich bemerkten, versteiften sie sich alle. Ich mochte solche Reaktionen nicht, da ich wie ein normaler Mensch behandelt werden wollte. Ich war nun einmal Königin, aber niemand würde ihnen den Kopf abreißen, wenn sich nicht gerade saßen. Ich überlegte, ob ich eine kleine Rede halten sollte, aber ich entschied mich dagegen. Stattdessen setzte ich mich hin und wartete bis die Mädchen sich wieder ihren Tätigkeiten zuwandten. Ich musterte sie alle gründlich, doch mein Gefühl sagte mir, dass Caitlyn unmöglich unter diesen Mädchen sein konnte. Den Grund dafür wusste ich nicht, aber es fühlte sich nun einmal so an. Dann erblickte ich das sehr schüchterne Mädchen von vorhin und beschloss, zu ihr zu gehen. Sie saß mit einem weiteren Mädchen am Fenster. Als sie mich erblickten, standen sie auf und machten einen Knicks.
„Es ist nicht nötig, dass ihr euch vor mir verbeugt", sagte ich ehrlich.
Das eine Mädchen öffnete ihren Mund, aber verschoss ihn gleich darauf wieder.
Ich seufzte und fragte: „Könntet ihr bitte eure Namen nennen?"
Das Mädchen, das von ihnen selbstbewusster war, antwortete: „Ich heiße Emilia und das ist Xenia. Eure Majestät."
Xenia nickte bekräftigend und gab ein kleines „Ja" von sich.
„Xenia, du scheinst sehr nervös zu sein. Warum denn? Es gibt doch keinen Grund dafür?" Ich versuchte, meine Stimme möglichst ruhig und sanft klingen zu lassen, damit ich ihr ein wenig von ihrer Nervosität abnehmen konnte. Zudem lächelte ich sie an und schaute ihr in die Augen.
„Das hängt noch ein wenig mit meiner Aufregung zusammen... ähm... Eure Majestät", entgegnete sie möglichst gefasst.
Doch mich ließ das Gefühl nicht los, dass sie etwas anderes hatte. Deshalb beschloss ich, Xenia auf jeden Fall hierzubehalten.
Jetzt wandte ich mich auch Emilia zu: „Kannst du mir, etwas über dich erzählen? Was machst du gerne?"
Emilia schien, eine Weile zu überlegen, was sie genau antworten sollte. So kam mir die Befürchtung, dass sie genau das sagen könnte, was ich hören wollte.
„Ich reite furchtbar gerne. Ich habe auch ein Pferd namens Cassiopeia, aber wir nennen sie alle nur Cass." Ihre Augen funkelten während des Sprechens. „Streng genommen ist Cass gar nicht mein Pferd. Er gehört dem Kinderheim, in dem ich wohne."
Sie brachte es sehr glaubwürdig herüber. Damit das eine Lüge wäre, müsste sie eine sehr gute Schauspielerin sein.
„Singst du auch? Oder spielst du ein Instrument?", fragte ich gespannt.
„Nein! Ich kann nicht singen. Ich hasse das Klavier im Kinderheim. Es knirscht immer, wenn ich auf eine Taste drücke."
Ich weiß nicht, ob ich mir erhoffte, dass Caitlyn musikalisch war, aber ich wusste, dass Emilia nach Hause gehen würde. Auch wenn es mir leid tat, sie konnte nun einmal nicht Caitlyn sein. Nicht jeder konnte Caitlyn sein.
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Selection - The lost princess
أدب الهواةAmerica und Maxon haben geheiratet. Als auch noch die wundervolle Caitlyn auf die Welt kommt scheint alles perfekt zu sein. Doch das passiert ein schreckliches Ereignis: Prinzessin Caitlyn wir in der Nacht ihres ersten Geburtstages entführt. Eine We...