"Ich geb zu, ich hab gedacht, den letzten Ball krieg ich nicht mehr", bemerkte Ron. Ich verdrehte die Augen. Harry, Ron und ich saßen im Gemeinschaftsraum auf der Couch vor dem Feuer.
Heute morgen hatte das erste Quidditchtraining des neuen Schuljahres stattgefunden. Es war ein besonders wichtiges Training gewesen, bei dem die Quidditchspieler für die Hausmannschaften auserwählt wurden. Ron war Hüter geworden, hatte sich aber heftig mit Cormac McLaggen um diesen Platz gestritten. Am Ende hatte er ein Tor mehr als Cormac abgewehrt, aber nur, weil ich mit einem Verwechselungszauber nachgeholfen hatte, was aber außer Harry niemandem aufgefallen war. Ron offensichtlich auch nicht, er war voll und ganz von seinem eigenen Talent überzeugt.
"Ich hoffe, Cormac ist nicht zu enttäuscht", säuselte Ron jetzt. "Übrigens, er steht auf dich, Hermine." Er grinste mich arrogant an und erinnerte mich dabei irgendwie an Malfoy. Ich blickte von meinem Buch, 'Zaubertränke für Fortgeschrittene', auf und schnaufte wütend. "Cormac ist widerlich. Und jetzt hör auf zu schwafeln, ich muss lernen."
Ich hörte ein Seufzen und drehte mich zu einem Sessel am anderen Ende des Gemeinschaftsraums. Lavender Brown saß dort und gaffte Ron an. Igitt.
"Frag doch Harry, ob er dir hilft, er ist Klassenbester. Sogar besser als du, Hermine", meinte Ron.
"Es reicht, Ron! Halt die Klappe!", brüllte ich ihn an.
"Hey, ganz locker, Hermine", mischte sich jetzt Harry ein, der gerade in seiner Ausgabe des Lehrbuchs für Zaubertränke blätterte. Er tat seit zwei Wochen nichts anderes. Seit er die Phiole mit dem flüssigen Glück bekommen hatte, legte er das Buch nicht mehr aus den Händen. Ich fragte mich, warum.
"Wem hat das Buch eigentlich vor dir gehört, Harry?", fragte ich neugierig. Doch Harry gab keine Antwort, er war durch das Lesen abgelenkt. Da kam Ginny zu ihm und riss ihm das Buch aus den Händen.
"Dieses Buch gehört dem Halbblutprinzen", las sie vor. "Wer ist der Halbblutprinz?"
"Das finde ich heraus", sagte ich fest entschlossen.
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Es war nach Mitternacht und wir durften die Schlafsäle schon längst nicht mehr verlassen, aber das war mir egal. Ich musste in die Bibliothek. Der Hinweis von Granger war zugegebenermaßen nicht schlecht gewesen, vielleicht gab es dort wirklich eine Anleitung für die Herstellung von flüssigem Glück.
Langsam öffnete ich die Tür zur Bibliothek und schlich hinein.
"Lumos", flüsterte ich und die Spitze meines Zauberstabs begann zu leuchten. Kurz darauf war ein ebenfalls geflüstertes Nox zu hören. Es war noch jemand hier. Ich ging in die Richtung, aus der ich die Stimme gehört hatte und erschrak, als das Licht meines Zauberstabes plötzlich ein Gesicht erleuchtete.
Granger begann zu lachen. "Hat sich der große Malfoy etwa gerade erschreckt?"
"Sehr witzig. Was hast du hier verloren?" Ich wollte, dass sie verschwand, damit ich in Ruhe nach der Anleitung suchen konnte.
"Das Gleiche könnte ich dich fragen."
"Geht dich nichts an", erwiderte ich.
"Mh, lass mich raten. Der einzige Grund, weshalb DU dich in eine Bibliothek verirren würdest: du suchst nach etwas. Handelt es sich zufällig um ein Rezept für einen gewissen Zaubertrank?"
"Kann sein." Für ein Schlammblut war sie wirklich ausgesprochen schlau, das musste man ihr lassen.
Sie seufzte. "Überlegst du gerade, wie du mich loswerden kannst, damit du deine Nachforschungen ungestört betreiben kannst? Vergiss es, ich suche auch nach Antworten."
"Nach welchen Antworten suchst du?", fragte ich neugierig.
"Geht dich nichts an", erwiderte sie.
Unwillkürlich musste ich grinsen. Sie war gar nicht mal so übel, wenn sie bissig wurde.
Nicht so übel? Ihre Eltern sind beide Muggel, vergiss das nicht.
Ich sah Granger prüfend an. Es schien sie nicht weiter zu stören, dass ich hier war, sie las konzentriert in einem dicken Buch. Ich erinnerte mich an etwas.
"Danke für die Hilfe neulich."
Sie sah von ihrem Wälzer auf und schaute mir überrascht in die Augen. Auch ich sah in ihre, sie waren haselnussbraun und glänzten im Licht meines Zauberstabs.
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Ich starrte in silbergraue Augen, die mich ebenfalls musterten. Hatte Malfoy sich gerade wirklich bedankt, schon wieder?
"Wer bist du, und was hast du mit Draco Malfoy gemacht?"
Das Grinsen, das sich nach meiner bewusst schnippischen Antwort in sein Gesicht geschlichen hatte, vergrößerte sich jetzt.
"Ich bin nicht nur ein Arschloch, Granger." Das war das Lächerlichste was ich je gehört hatte.
Tatsächlich war Malfoy die schrecklichste Person, die ich kannte. Und doch saß ich hier in der Bibliothek und er stand vor mir und grinste mich an. Vielleicht gab es wirklich einen Teil von ihm, der nicht so schrecklich war wie der Rest. Und dieser Teil schien sich mir in letzter Zeit häufiger zu zeigen, was mich überraschte.
"Hat es dir jetzt die Sprache verschlagen?", fragte Malfoy und riss mich damit aus meinen Gedanken. "Hör auf, mich anzustarren, Granger."
Oh Gott. Ich wendete schnell den Blick von ihm ab und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf das Buch vor mir. Am Rande nahm ich war, wie Malfoy sich auf den Stuhl neben mich setzte.
Plötzlich berührte sein Knie mein eigenes unter dem Tisch. Ich zuckte zusammen, ließ mein Bein aber, wo es war. Angestrengt versuchte ich, die Buchstaben in meinem Buch in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen, doch ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. Seufzend sah ich erneut von meinem Buch auf und Malfoy an. Er musste mich die ganze Zeit beobachtet haben, seine Augen musterten mich unablässig und er machte keine Anstalten, sein Knie unter dem Tisch wegzuziehen. Als unsere Blicke sich jetzt trafen, atmete er tief ein, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen.
"Ich weiß nicht, was ich von dir halten soll, Granger", gestand er, was mich noch mehr überraschte als die Tatsache, dass er das Wort 'Danke' kannte.
"Ach wirklich? Die letzten fünf Jahre schien dir immer sehr deutlich klar zu sein, was du von mir hältst. Du hast mir deine Meinung diesbezüglich oft genug mitgeteilt."
"Es...", begann Malfoy, doch er unterbrach sich und schluckte. Dann löste er seinen Blick von mir und starrte stattdessen auf die leuchtende Spitze seines Zauberstabs, der auf dem Tisch vor ihm lag. Ich ließ ihn nicht aus den Augen und wartete darauf, dass er wieder etwas sagte.
"Warum hast du mich gewarnt?", fragte er nach einer Weile.
"Das weiß ich selbst nicht so genau", antwortete ich ehrlich. Er nickte verständnisvoll. Das Grinsen war schon lange aus seinem Gesicht verschwunden, jetzt zog er die Stirn in Falten und sah irgendwie.. traurig aus. Mir fiel wieder ein, dass er alleine am Tisch in der großen Halle gesessen hatte.
"Warum distanzierst du dich in letzter Zeit so von allen, sogar von deinen Freunden?"
"Ich habe keine Freunde", antwortete er trocken.
"Was ist mit Crabbe und Goyle?"
"Die zwei sind Idioten, mehr nicht."
"Und Zabini und Parkinson?"
"Zabini ist ein arrogantes Muttersöhnchen und Parkinson eine dämliche Ziege."
"Wie nett", bemerkte ich.
"Es ist die Wahrheit", entgegnete Malfoy. Jetzt sah er wirklich traurig aus. Ich konnte nichts dagegen tun, ich empfand Mitleid mit ihm. Er hatte niemanden in Hogwarts, er war allein. Bestimmt gab es Zeiten, in denen er sich sehr einsam fühlte.
"Darf ich dir einen Tipp geben?", fragte ich.
"Wird das jetzt zur Gewohnheit von dir, Granger?", fragte er und ich sah, wie einer seiner Mundwinkel zuckte. Da war sie wieder, Malfoys gar nicht so schreckliche, zerbrechliche Seite.
"Wenn du nicht dauernd herumlaufen und Leute beleidigen würdest, sondern so wärst wie jetzt gerade, dann würden dich mehr Leute mögen und du sie vielleicht auch."
Er schien über meine Worte nachzudenken, angestrengt zog er die Augenbrauen zusammen.
Seine nächsten Worte waren nicht mehr als ein leises Wispern: "Könntest du mich jemals mögen, Granger?"
Das tue ich vielleicht schon, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf.
Er interpretierte mein Schweigen falsch, holte tief Luft und stand auf.
"Die Bibliothek gehört dir. Ich komme ein andermal wieder."
Er nahm seinen Zauberstab und wollte zum Ausgang.
"Draco!", rief ich, um ihn am Gehen zu hindern. Er hielt hörbar die Luft an und drehte sich zu mir um. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich von meinem Stuhl aufgesprungen war.
"Ja. Ja, ich könnte dich mögen", sagte ich leise, nicht sicher, ob er mich verstehen konnte.
Das Zucken seines rechten Mundwinkels verriet mir, dass er das konnte."Gute Nacht, Granger", sagte er, machte kehrt und verließ die Bibliothek.
Ich blieb in der Dunkelheit des Raumes stehen, mein Licht hatte mich verlassen.
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Time Turner (Dramione)
FanfictionDie Veränderung der Geschichte führt zu einer Veränderung der Gefühle. •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• Draco Malfoy ist hingerichtet worden. Im letzten Todesserprozess wurde er wie viele andere zum Tode verurteilt. Hermine Granger erfährt...