Kapitel 3

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Jake ist so schnell aus dem Bus gerannt und zu meiner Überraschung tatsächlich Richtung Heim gerannt. Ich war gerade mal am Eingangstor, als er bereits die riesige alte Eingangstür erreichte.

Kurz schlich sich mir die Frage durch den Kopf, wen er wohl so dringend schnell treffen möchte, doch dann fiel mir ein das es mich doch gar nichts anging. Er war ein Fremder und was er machen will oder machte, hatte mich so gut wie gar nicht anzugehen. Ich spürte das altbekannte unangenehme Gefühl von Selbsthass in meinem Magen, was mich dazu veranlasste schneller vorwärts zu gehen.

So leise wie möglich öffnete ich die Tür und schlich schnell hindurch. Ohne weiter darüber nachzudenken lief ich schnell zum praktisch offen da stehenden Fahrstuhl und ließ mich nach oben transportieren. Der junge Mann Jake war mir dabei nicht noch einmal über den Weg gerannt.
Mit leisen, aber leider nassen Sohlen huschte ich den Gang entlang und befand mich endlich vor meiner Tür. Diese war in wenigen Sekunden aufgesperrt und kurze Zeit später wieder mit einem schnellen Ruck zugezogen.

Um es Schwester Liss bei der Reinigung des Zimmers nachher nicht allzu schwer zu machen, zog ich meine Schuhe schon am Eingang aus und laufe auf Socken weiter zum Kleiderschrank. Den relativ nassen schwarzen Trenchcoat hänge ich auf, damit nicht dreckig oder faltig wird und ordentlich trocknen kann. Danach schmeißen ich mich in mein Federbett und schließe die Augen.
Warum ist nur alles so unfair? Wieso dürfen manche ein so beneidenswertes Leben führen und andere müssen um jeden einzelnen Schritt kämpfen? Warum dürfen manche eine Familie haben, während andere dabei nur leidend zuschauen dürfen.
Das Gefühl von gerade eben kommt wieder in mir auf. Ich schiebe meine Ärmel von meinen dünnen Pullover hoch und schaue mir meine vernarbten Arme an. Tränen kommen mir hoch, denn jede Narbe, jede Verletzung schreit mir ihren Grund entgegen. Ich richte meinen Ärmel wieder runter und setze mich auf.
Ich müsste meine Hände jedenfalls verbinden, ging es mir durch den Kopf als ich auf die nun verkrusteten Schicht auf meinen Knöcheln schielte.
Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es gleich Abendbrot geben wird. Wenn ich mich auf meinen Geruchssinn vertrauen kann, dann gibt es heute irgendwas mit Fisch. Das gibt es so gut wie alle zwei Tage, denn der Mann der Köchin ist Fischer und so kommt es ihr und der Kasse ganz gelegen.

Mein Blick schweift durch das vergleichsweise große Zimmer. Eigentlich war es ein Zimmer, welches extra für das Personal ausgelegt war. Dies erkannte man an den vielen Glocken auf der einen Seite des Zimmers, aber auch an dem kleinen Essenslift auf genau der selben Seite. Die feinen Fäden, welche anfangs mit den Glöckchen verbunden waren, habe ich relativ schnell gelernt abzuschneiden, nachdem sich Kinder den Spaß machten und an den Fäden irgendwo im Haus zogen. Der Essenslift wiederum war an einigen Tagen zu meinem Vorteil ausgenutzt worden, beispielsweise wenn vereinsamte Paare vorbei kamen und sich die restlichen Kinder wie frische Ware angucken konnten um am Ende eines auszusuchen. Zu diesen Zeiten habe ich mich in den Lift gesetzt und von innen zugezogen, damit mich Lissy nicht findet. Wahrscheinlich wusste sie von Anfang an, wo ich mich befand als sie die Kinder aus den Zimmern kehrte und unten zur Aufstellung verpflichtete, doch war ihr auch meine enorme Abneigung gegen diese Zurschaustellung bewusst.

Die Gründe warum ich seit so vielen Jahren nun ein Zimmer in der Personaletage bekam waren einfach.
Meine Aufenthaltszeit, mein Alter und das wenige Personal machten es möglich.

Seufzend bewegte ich mich in die Senkrechte und lief dann zum Spiegel, welcher mit vielen Verschnörkelungen und Verzierungen verziert worden war.
Ich wickelte meine blonden Locken zu einem lockeren Dutt und steckte meinen schwarzen dünnen Pullover in meine ebenfalls schwarze Hose. Kurz danach schlüpfte ich gekonnt in meine dunkelgrauen Converse, die auf jedenfall schon bessere Tage sehen durften, bevor ich mich mit einem letzten prüfenden Blick in meinem Zimmer umsah. Von draußen schloss ich wie gewohnt meine Tür ab. Nicht aus dem Grund das ich Angst hatte das mir wer was stehlen konnte. Ich wollte mir selbst einfach meine Privatsphäre an dem kleinen Ort gewähren können.

Gelassen lief ich den langen Gang Richtung Fahrstuhl entlang und ließ meine Blicke über die zahlreichen Bilder ehemaliger Kinder oder Mitarbeiter an den Wänden schweifen. An einem blieben meine Augen einen Moment länger hängen.
Was er wohl gerade tat und wie es ihm ging?

Plötzlich wurde einige Meter vor mir eine Tür mit Schwung aufgerissen und ein aufgeregter Mann trat heraus, gefolgt von der Leiterin Mrs Hanington.
"Ich sag es dir doch, sie ist anders als du es dir vorstellst. Sie hat sich verändert über die Jahre und kaum Anzeichen gehabt!", zischte diese dem jungen Mann, welcher sich als Jake entpuppte, zu.
"Ich weiß genau wie sie aussieht und was sie können muss, keine Angst, Giselle. Du weißt ich habe mich noch nie geirrt.", konterte Jake.
Ich derweil bewegte mich nicht von meinem Platz und hatte tatsächlich die Luft angehalten. Warum überhaupt? Trotzdem traute ich mich nicht Luft zu holen.

Jake sah aus als würde etwas durch ihn fahren, als er sich ruckartig umdrehte und mich augenblicklich mit seinen Augen in einen Bann zog. Ich hätte es nicht geschafft mich von diesem Bann loszureißen, auch wenn ich es gewollt hätte.
Ganz langsam bewegte sich Jake auf mich zu und streckte vorsichtig seine Hand nach mir aus.
Ich wich einen Schritt zurück bevor er mich erreicht hatte. "Keine Angst.", hörte ich ihn sanft flüstern. Ein Schauer durchschoss mich, als er seine kalte Hand auf meine Wange legte, die wahrscheinlich hochrot angelaufen sein muss. Direkt danach durchfuhr mich ein erneuter Schauer, aber dieses Mal lag es an seinen Augen. Es schien als würde die Farbe dunkler und heller zugleich werden. Als würden sie jedes noch so kleines Geheimnis aus mir saugen wollten und es in jedes kleines Detail zersetzen wollen.
Ich spürte eine ungewöhnliche wohlige Wärme durch mich fahren und merkte wie meine Knie langsam in sich zusammensackten.
Bevor ich schmerzhaft und endgültig den Boden erreichte fing mich Jake auf und legte mich sanft zusammen mit ihm auf den Boden ab, sodass mein Kopf gestützt auf seinen Beinen liegen konnte. Seine eiskalte Hand lag derweilen immer noch auf meiner Wange. Ich konnte mich keinen Zentimeter nur bewegen, hätte ich es gewollt.

Mir wurde langsam klar das ich gleich in die Bewusstlosigkeit driften würde.
Warum helfen sie mir denn nicht? Hilfe!

Meine Augen gingen starr in eine Richtung, irgendwo hin in die Ferne. Ich spürte wie mir langsam meine Hör- und Sehkraft schwanden und es sich langsam alles um mich herum zusammenzog.
Ich meinte ganz kurz vor der totalen Bewusstlosigkeit Jakes Stimme zu erkennen.

"Ich denke sie ist es."

Lucina - The RevengeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt